Berlin. . Schon vor seinem Erscheinen sorgt das neue Buch von Ex-Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin für Wirbel. In dem Buch mit dem Titel „Europa braucht den Euro nicht“ setzt Sarrazin den Holocaust und den Euro in Verbindung. Die Kritiker reagieren sofort.
Das Buch ist noch nicht auf dem Markt. Aber dass es nichts anderes als den schärfst möglichen Verriss verdient, das steht für Wolfgang Schäuble schon jetzt außer Frage. „Entweder redet und schreibt Sarrazin aus Überzeugung einen himmelschreienden Blödsinn“, grollt der Finanzminister, „oder er macht es mit einem verachtenswerten Kalkül.“
Der Zorn des Ministers lässt sich nachvollziehen. Zählt doch Schäuble zu jenen, die sich von Thilo Sarrazins Furor direkt betroffen fühlen müssen. Dessen Kernthese in seinem neuen Buch „Europa braucht den Euro nicht“ lautet: Der Euro ist aus Sicht seiner Befürworter nicht einfach eine Währung. Er war stets ein von, wie Sarrazin sich ausdrückt, „reiner Ideologie“ getriebenes Projekt.
Ist Europas Einheit nur Religionsersatz?
Als ideologisch empfindet Thilo Sarrazin die Vorstellung eines immer engeren Zusammenwachsens der europäischen Völker trotz real existierender Unvereinbarkeiten mit dem Endziel der „Vereinigten Staaten von Europa“. Und die Überzeugung, dass es auf diesem Wege immer nur vorwärts gehen dürfe. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“, ist seit zwei Jahren die Parole der Euroretter. Für Sarrazin ist solches Denken „europäische Eschatologie“, Heilserwartung, „Religionsersatz“.
Wieder also ein neues Buch des vom Boulevard zum „Klartext-Autor“ Geadelten. Wieder ein knalliger Titel. Vor zwei Jahren: „Deutschland schafft sich ab“. Diesmal: „Europa braucht den Euro nicht“. Am Dienstag soll das Werk in Berlin der Öffentlichkeit enthüllt werden. Doch schon jetzt ist der mediale Wellenschlag gewaltig.
Am Sonntagabend war der Sozialdemokrat Sarrazin mit seinem Parteifreund Peer Steinbrück zum Disput bei Günther Jauch geladen. Gleichzeitig liegen seine Thesen als Vorabdruck im „Focus“ vor. Sagen lässt sich zumindest: Das Buch kommt inmitten der neu aufgeflammten Krisendebatte nach den Wahlen in Griechenland und Frankreich exakt zum richtigen Zeitpunkt.
Dabei enthält es dem Vorabdruck nach zu urteilen kaum originelle Erkenntnisse. Nichts, was man aus der bekannten Riege der Euro-Skeptiker von Hans-Olaf Henkel über Joachim Starbatty bis Peter Gauweiler nicht bereits gehört hätte: Das Klagelied über die „Ideologen des europäischen Bundesstaates“, die mit ihrem „Wunschdenken“ den Kontinent in die Krise geführt und die stabilitätsbewussten Deutschen zu „Geiseln“ liederlicher Südländer gemacht hätten.
Ein Satz mit Erregungspotenzial
Wer seine Einwände nicht teilt, mit dem geht er eifernd ins Gericht. Das trifft nicht zuletzt die Befürworter von „Eurobonds“, gemeinsamen europäischen Anleihen, bei den Grünen und in seiner eigenen Partei, der SPD. Hier ist der Punkt, wo sich der Zahlen- und Faktenhuber ins Gelände der Spekulation wagt: Sie seien „getrieben von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unser Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben“, mutmaßt er. Gäbe es nirgends sonst einen Satz mit Erregungspotenzial: Dies ist einer.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar "Sarrazin provoziert mal wieder mit Kalkül" von Wilhelm Klümper.