Bottrop. .
Er förderte den „Extremismus der Mitte“, aber er schuf ihn nicht: Die Thesen und Folgerungen von Thilo Sarrazin, der nach wie vor der SPD angehöre trotz zweier Ausschlussverfahren, beschäftigen den Duisburger Bildungsprofessor Dr. Klaus Ahlheim, Jahrgang 1942. Er war der zweite Gastautor mit einem brisanten Zeitthema, der auf Einladung der hiesigen VHS im wiederum gut besuchten Vortragsraum des Quadrates innerhalb weniger Tage referierte.
Wer eine totale Abrechnung mit dem „Populismus“ Sarrazins erwartet hatte, wurde jedoch enttäuscht. Ahlheim ist Empiriker, also ein Experte für „Wissen aus Erfahrung“ (Umfragen, Interviews, Statements, Statistiken), und diesem Bereich widmete er große Aufmerksamkeit seines einstündigen Referats, an den sich noch eine längere Diskussion anschloss.
Die beiden Stichwörter, zu denen Sarrazin Stellung bezog und insgesamt bemerkenswert viel Zustimmung bekam: Fremdenhass und Neo-Nationalismus. Sarrazin habe ein „typisches“ Untergangs-Szenario entworfen auch die Nazis vor 70 Jahren argumentiert hätten. Deutschland würde von „Fremden“ überrollt, von Menschen, von Muslimen, von einer Religion, die nicht christlichen Traditionen entspreche.
Wie schon Prof. Aly stuft auch Ahlheim die deutsche Mittelschicht als Wurzel für diese Weichenstellung zu „neu erwachtem Nationalstolz“ ein. Aus Angst, definiert der Referent, denn ein Ingenieur, der seine gut bezahlte Arbeit verliere und schnell ins „Bodenlose“ fallen könne, suche sich ein Feindbild. Eben die Migranten und die nicht assimilierten Türken.
Fremdenfeindlichkeit und Nationalstolz hingen, so Ahlheim, eindeutig zusammen. Diese Gefahr nicht gebannt zu haben, sondern noch zu schüren, sei Sarrazin in seinem Buch-Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ vorzuwerfen. Der SPD-Politiker habe Begrifflichkeiten und Themen aus dem NS-Vokabular verwandt und sich nicht von diesen klar abgegrenzt.
Außerdem habe er Umfragen und Statistiken benutzt, deren Herkunft, Gründlichkeit und Relativität Sarrazin nicht überprüft habe. Er sorge sich ausschließlich um Deutschland, ohne einen Blick in andere Staaten geworfen zu haben. Das alles verbinde sich zu einer gefährlichen Melange aus Vorurteil und Fehlinterpretation, aus Oberflächlichkeit und dumpfen „Vernichtungsbildern“.
Anhand eigener oder zumindest gezielt ausgewählter Umfrage-Ergebnissen führte Ahlheim aus, wie das Unbehagen der deutschen Bevölkerung über Probleme der Migration („Deutschland ist aber längst kein Einwandererland mehr!“), über die Feindlichkeit oder Hass auf „Fremde“ (wer ist überhaupt fremd in diesem Land?) innerhalb von rund zehn Jahren anwuchs.
Neo-nationalistische Tendenzen schrieb er nicht nur dem Osten nach der „Wende“ zu, sondern ebenfalls der „alten“ Bundesrepublik. Es habe immer einen Bodensatz von 12 bis 15 Prozent der Bevölkerung gegeben, die fremdenfeindlich eingestellt seien. Die Sarrazin-Theorien seien daher auf fruchtbare Resonanz gerade bei diesen Deutschen gefallen.
Die Zahl derer, die „sehr oder ziemlich stolz“ darauf seien, ein Deutscher zu sein, liege inzwischen bei 74 Prozent. Mit zunehmender Tendenz. Der Extremismus komme also nicht vom rechten Rand, sondern aus der „großen Mitte“. Diesem habe Sarrazins krude Bilanzierung als „Verstärker“ weitere Nahrung vermittelt.
Ein Nebenthema, aus Sicht Ahlheims jedoch ein gesellschaftlich wichtiges Anliegen: Die politische Erwachsenenbildung werde an Universitäten kaum beachtet. Da seien die Gewerkschaften wesentlich klarer aufgestellt.