Fort Meade. Die mutmaßlichen „Regisseure“ der Terror-Anschläge vom 11. September 2001 in Amerika sabotieren den Auftakt des Verfahrens, das mit Todesurteilen für sie enden kann, durch Schweigen und Beten. Eine Kehrtwende um 180 Grad: Vor vier Jahren erklärten sich die Fünf für schuldig und sehnten die Todesstrafe herbei.
Mit einer Totalblockade der fünf mutmaßlichen „Regisseure“ der Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington ist in der Nacht zum Sonntag vor einem Militär-Tribunal auf der Marine-Basis Guantánamo Bay auf Kuba der Auftakt des größten Terror-Prozesses in der amerikanischen Geschichte zu Ende gegangen. Beharrlich verweigerten die des 2976-fachen Mordes angeklagten Muslime über die gesamte Dauer von mehr als zwölf Stunden selbst die geringfügigste Zusammenarbeit mit dem Gericht unter Führung von James L. Pohl. Das Verfahren erwies sich von der ersten bis zur letzten Minute so als zähflüssig und war über weite Strecken von juristisch-bürokratischen Geplänkeln geprägt.
Das Verhalten der Angeklagten stellte eine Kehrtwende um 180 Grad dar. Beim ersten Prozess-Versuch 2008 erklärten sich die Männer um den Anführer Khalid Scheich Mohammed in Guantanamo vorab für schuldig. Sie forderten damals eine das Verfahren abkürzende Verurteilung im Sinne der Anklage und sehnten den Märtyrertod herbei. Bezogen auf die Attentate sagte Mohammed damals: „Unser Erfolg ist die größte Lobpreisung des Herrn.“ Vier Jahre später hüllte sich der Scheich, der einen weißen Turban und einen henna-rot gefärbten langen Bart trug, in penetrantes Schweigen.
„KSM“, wie der seit neun Jahren inhaftierte und in Vernehmungen 183 Mal gefolterte („Water-Boarding“) Hauptdrahtzieher der Terror-Serie in US-Justizkreisen genannt wird, ließ zu Beginn über seinen Zivil-Anwalt David Nevin ausrichten, dass er das Gericht nicht anerkennt. Demonstrativ lehnte er es ab, Kopfhörer zu benutzen, um der Verhandlung via Übersetzung folgen zu können. Der 47-Jährige, der zum ersten Mal seit vier Jahren wieder gerichtsöffentlich in Erscheinung trat, blieb durchgehend stumm. Er las wie seine Mitstreiter, die durch angelegentliches Beten oder vereinzelte Zwischenrufe auf sich aufmerksam machten, regelmäßig den Koran und andere Schriften; darunter das britische Wirtschaftsmagazin “Economist”.
Leibwächter von Osama bin Laden musste an seinen Stuhl gefesselt werden
Mubarak Bin Attasch folgte dem Beispiel. Der frühere Leibwächter von Osama Bin Laden war wegen Widerstands in seiner Zelle am Morgen an seinen Stuhl gefesselt in den Hochsicherheitstrakt des Gerichts gebracht worden. Erst nach seiner Zusicherung, sich „gerichtskonform“ zu verhalten, wurden die Gurte auf Anweisung von Richter Pohl gelockert. Attasch verweigerte jede Äußerung.
Ramzi Binalshib, ein englischsprachiger Jemenit und 2001 enger Verbindungsmann der Hamburger Terror-Zelle um Mohammed Atta, sorgte mit einem Gefühlsausbruch für den einzigen kleinen Zwischenfall. Er sprach dem Gericht jede Zuständigkeit ab und beschuldigte in einem wirren Monolog die Wächter, ihn und seine Mistreiter töten zu wollen und es danach wie einen Selbstmord aussehen zu lassen. „Wir haben einen Muammar Gaddafi hier“, rief Binalshib und bezog sich dabei auf die angebliche Grausamkeit einzelner Sicherheitskräfte in Guantanamo. Er bekam dafür eine Rüge von Richter Pohl. Neben Mohammed, Attasch und Binalshib stehen der Saudiaraber Mustafa Ahmad Al-Hawsawi und der Pakistaner Ali abd Al-Aziz vor Gericht. Alle gelten nach Überzeugung der USA zu den „Schlimmsten der Schlimmen“, wie es der frühere US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld einmal ausdrückte.
"Der Angeklagte weigert sich zu antworten"
Sie müssen sich - neben dem Massenmord – wegen Verschwörung, Gewalt gegen Zivilisten, Mord, Flugzeugentführung und Terrorismus verantworten. Alle Versuche der militärischen wie zivilen Anwälte, die Angeklagten zu einem Mindestmaß an Kooperation zu bewegen, scheiterten. In den Verhandlungspausen wurden die Angeklagten dabei gesehen, wie sie intensiv miteinander redeten - und lachten.
Auf Antrag von Chefankläger General Mark Martins wurden mehrere Arabisch sprechende Simultan-Dolmetscher in den Saal gerufen, um den Angeklagten das juristische Procedere zu erläutern und Reaktionen zu provozieren. Ergebnis: Wieder Fehlanzeige. „Der Angeklagte weigert sich zu antworten“, war der wohl gut 50 Mal gesprochene Standard-Satz von Richter Pohl, der gedämpft ungehalten über die Bemühungen der Angeklagten reagierte, das Verfahren nach Kräften zu hintertreiben. „Man kann sich nicht aussuchen, den normalen Geschäftsablauf zu frustrieren“, sagte der Militär-Richter.
Im Mittelpunkt des Prozessauftakts sollte am späten Abend die Verlesung der 87-seitigen Anklageschrift stehen; mit den Namen aller 2976 Todesopfer der Anschläge von New York Washington und Shanksville. Das Hauptverfahren startet voraussichtlich erst 2013 und wird nach Einschätzung von Anklage wie Verteidigung bis zur Rechtsgültigkeit „mehrere Jahre dauern“. Den fünf seit zum Teil über zehn Jahren festgehaltenen Angeklagten, die in Guantanamo in ausgelagerten Gefängnissen in Einzelhaft untergebracht sind, droht die Todesstrafe. Rechtsexperten in Washington rechnen aber mit einer lebenslangen Inhaftierung; und zwar selbst für den Fall, dass das Gericht die Schuld nicht zweifelsfrei nachweisen sollen könnte. Als Belastung für das Verfahren, das Präsident Obama nach einer “Reform” der Militärtribunale gegen scharfe Kritik von Menschenrechtsgruppen möglich gemacht hat, gilt nach wie vor die von der US-Regierung bereits eingeräumte Tatsache, dass alle Angeklagten im Laufe der Jahre in Verhören, die zum Teil in geheimen CIA-Gefängnissen in Osteuropa und Nordafrika stattgefunden haben sollen, mehrfach gefoltert wurden.
Andrang der Opfer-Angehörigen zu groß - Los musste entscheiden
Im hermetisch abgeriegelten Gerichtssaal in Guantanamo Bay folgten nach Angaben des Verteidigungsministeriums zehn Journalisten in einem durch schalldichte Glaswände abgetrennten Teil den Prozess. 50 weitere waren in einem nahe gelegenen ehemaligen Flugzeug-Hangar über eine interne Kamera-Aufzeichnung in einem improvisierten Pressezentrum zugeschaltet. Das gleiche System praktizierte das Pentagon an sechs Armee-Stützenpunkten auf dem amerikanischen Festland. Dort waren mehrere Dutzend per Lotterie-Verfahren ausgewählte Angehörige von Opfern des 11. September 2001 versammelt, um der Verhandlung zu folgen. Die Boykott-Haltung der Angeklagten stieß dem Vernehmen nach auf “Zorn und Fassungslosigkeit”, wie ein Militärangehöriger sagte. In Fort Meade/Maryland, 50 Kilometer nördlich von Washington, beobachteten weitere 50 Journalisten live den Prozess; darunter der Autor der WAZ-Mediengruppe.
Richter Pohl versuchte trotz der Verweigerungshaltung der Angeklagten das Verfahren Schritt für Schritt abzuwickeln und sich nicht von dem Boykott provozieren zu lassen. Cheryl Bormann, Zivil-Anwältin von Mubarak Bin Attasch, trug “aus Respekt vor meinem Mandanten” eine den
gesamten Körper mit Ausnahme des Gesichts verbergende schwarzen Kleidung und sorgte für ein besonderes Störmanöver. „Es muss sich ja nicht jeder so anziehen, wie ich das tue“, wandte sich die Juristin aus Illinois an Richter Pohl. Aber um ihren Mandanten davor zu schützen, eine Sünde zu begehen, forderte Bormann die weiblichen Mitglieder im Anklage-Team um General Martins auf, sich so zu kleiden, dass ein muslimischer Angeklagte nicht mit den Auflagen seines Glaubens in Konflikt gerät, wenn er sie ansehen muss. Richter Pohl schluckte kurz. Und lehnte den Antrag ab. Vom 12. bis 15. Juni wird das juristische Vorverfahren in Guantanamo fortgesetzt.