Essen. . In aller Eile mussten die NRW-Parteien die Motive für den Straßenwahlkampf in zusammenzimmern. Das ist nicht immer gelungen, wie Marketing-Experten meinen. Vor allem die Kampagne von CDU-Herausforderer Norbert Röttgen erntet Kritik. Röttgen wirke im Gegensatz zu Hannelore Kraft wenig authentisch.

Experten aus der Werbung und der Wissenschaft halten die Wahlplakat-Kampagne von CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen für gescheitert. Der Herausforderer von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) wirke auf den Plakaten wenig authentisch. Dies gelte insbesondere für das Motiv, das den Bundesumweltminister mit einem Kind zeigt: „Es ist schlecht gelungen. Das Herausfordernde, das den Herausforderer Norbert Röttgen kennzeichnen sollte, fehlt. Er wirkt eher wie der nette Onkel“, so Dirk Bittermann, Sprecher der Geschäftsführung der Düsseldorfer Agentur BBDO-Proximity.

Turbo-Wahlkampf

Michael Jochim, Gesellschafter der Essener Werbeagentur BJS, kann den Kampagnen des „Turbo-Wahlkampfs“ insgesamt nichts abgewinnen: „Alle Aussagen sind von Partei zu Partei austauschbar und beliebig. Die Bürger sind schlauer als die Texte.“ Er empfiehlt den Parteien vielmehr einen Faktencheck auf das Wahlprogramm nach dem Motto: „Das haben wir versprochen und das haben wir umgesetzt.“

Wahlplakate am Hauptbahnhof in Duisburg. Foto: Tom Thöne / WAZ FotoPool
Wahlplakate am Hauptbahnhof in Duisburg. Foto: Tom Thöne / WAZ FotoPool

Fast alle Parteien haben vor dieser Wahl weniger Geld für Wahlkampf zur Verfügung als noch 2010. CDU und Grüne gaben an, ihre Wahlkampfkosten halbiert zu haben, auch die SPD sprach von einem billigeren Wahlkampf. Die FDP ist so knapp bei Kasse, dass sie sogar einen Bankkredit aufnahm, um ihre Kampagne zu finanzieren.

Nur zwei Sekunden

Kaum länger als zwei Sekunden nimmt sich ein Passant Zeit für ein Wahlplakat, weiß der Werbepsychologe Alexander Schimansky. In dieser Zeit muss es beim Betrachter „klick!“ gemacht haben, oder die Botschaft verpufft. Die Wahrnehmungsforschung weiß, dass das Auge ein Bild blitzschnell punktuell abtastet. „Bei Röttgens Plakat wird dabei kaum mehr hängen bleiben als die rote Kappe des Kindes und sein Brillengestell“, sagt Schimansky. Zu kompliziert, zu gewollt sei der Slogan.

Insgesamt „zu halbherzig“, urteilt der Marketing-Professor von der International School of Management in Dortmund. Und das habe eine fatale Wirkung, denn bei dem Eindruck der Halbherzigkeit werde man daran erinnert, dass Röttgen sich den Rückweg nach Berlin offen hält.

Röttgen mit lila-kariertem Hemd als Freizeitmensch 

Martin Menkhaus, Geschäftsführer der Duisburger Kommunikations-Agentur H2M, urteilt: „Das Kind schaut Röttgen an, er in die Kamera. Es entsteht keine glaubhafte Beziehung zwischen den beiden.“ Den Umweltminister zudem bewusst ohne Krawatte und mit einem lila-karierten Hemd darzustellen solle ihn weniger als Politikfachmann, sondern als Freizeitmenschen darstellen. Dabei sei sein Fachwissen Röttgens größte Kompetenz.

Anders die Meinungen über die Plakate mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD): Sie wirke tatsächlich so, als ob sie mit den Menschen in einen Dialog tritt. „Eine hoch emotionale Ansprache“, findet Martin Menkhaus, der aktuell eine Kampagne der SPD für die Duisburger OB-Neuwahl betreut. „Kinder, Alte, Kümmern, soziale Gerechtigkeit – das ist ihr Werteumfeld, das kann sie“, sagt Schimansky. Sie wirke authentisch. „Sie verkörpert die Landesmutter. Das ist gut. Inhaltlich jedoch sagt es wenig aus“, findet Dirk Bittermann von der Düsseldorfer Agentur BBDO-Proximity.

Zu kompliziert

Lob erhalten die Macher der FDP-Plakate: Spitzenkandidat Christian Lindner wirke trotz seiner Jugend sehr kompetent, die Manschettenknöpfe demonstrierten seine Nähe zur Wirtschaft. Der Slogan ist aus Sicht von Menkhaus besonders gelungen: „’Das ist meine FDP’, ist emotionalisierend. Die Betonung ist geschickt gewählt. Sie sagt aus: Alles, was an Chaos vorher war, gilt jetzt nicht mehr.“

Weniger begeistert ist Alexander Schimansky: Der FDP-Spruch „Lieber neue Wahlen als neue Schulden“ sei für ein schnelles Verständnis zu umständlich. „Der Betrachter fragt sich spärter verwundert: Wieso will der Lindner neue Schulden machen?“

Die Piratenpartei nutzt die Schwarmintelligenz ihrer Mitglieder und lässt sie über das Internet über die Plakate abstimmen „Dafür, dass sie keine Agentur beauftragt haben, sind ihre Plakate richtig gut“, kommentiert Martin Menkhaus. Die Piraten hätten die wichtigste Regel befolgt: ihre Marke als unkonventionelle Partei „sauber geführt“.

Parolen statt Köpfe bei den Linken

Die Linke verzichtet auf prominente Köpfe. Spitzenkandidatin Katharina Schwabedissen ist nicht im Bild zu sehen. „Stattdessen verwenden sie polemische Parolen. Sehr prägnant. Ihre Stammwähler werden angesprochen“, so Martin Menkhaus. „Mehr aber auch nicht“, kontert Dirk Bittermann. Dazu fehle das Überraschende.

Das treffe auch auf die Plakate der Grünen zu: „Bisher waren sie sehr erfrischend. Was sie in diesem Wahlkampf servieren ist bis auf eine Ausnahme jedoch Hausmannskost“, urteilt Dirk Bittermann.