Essen. Zwei Studien zum Thema Betreuungsgeld verleihen den politischen Gegner Rückenwind. Demnach würde das Betreuungsgeld vor allem Frauen mit geringer Qualifikation davon abhalten, berufstätig zu bleiben und ihr Kind in der Krippe anzumelden.
Über das Für und Wider des Betreuungsgeldes tobt ein heftiger Streit in der Berliner Koalition. Und auch in der Öffentlichkeit wird heftig über die „Herdprämie“ debattiert. Nun liefern zwei Studien wissenschaftliche Beurteilungen dazu. Beide stützen die Gegner der umstrittenen Zahlung. Die Wissenschaftler sind sich einig: Das Betreuungsgeld hat gravierende negative Effekte. Und: Es kostet den Staat viel mehr Geld, als die Regierung bisher errechnet hat.
Warum lehnen Forscher das Betreuungsgeld ab?
Sie sagen: Das Betreuungsgeld hält vor allem Frauen mit geringer Qualifikation davon ab, berufstätig zu bleiben und ihr Kind in der Krippe anzumelden. „Frauen mit einer höher qualifizierten Ausbildung oder Akademikerinnen haben in der Regel ein höheres Einkommen. Für sie spielt das Betreuungsgeld keine entscheidende Rolle“, sagt Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Der Leiter des Forschungsbereichs Arbeitsmärkte und soziale Sicherung ist einer der Autoren, die dazu eine Studie erstellt haben. Für Frauen, die wenig verdienen – gering qualifizierte deutsche Frauen und Frauen mit Migrationshintergrund –, seien 150 Euro ein starker Anreiz, den Beruf an den Nagel zu hängen und das Kind zu Hause zu lassen. Aber gerade für kleine Kinder aus Familien mit geringem Bildungsniveau sei die Kita besonders wichtig. Sein Fazit: Ein falscher Anreiz.
Wieso schadet das Betreuungsgeld auch Frauen?
„Es verfestigt die traditionelle Arbeitsteilung in der Familie“, begründet Holger Bonin vom ZEW. Also: Der Mann verdient, die Frau steigt früher aus dem Beruf aus. Aber das Gesetz erwarte heute, dass Frauen erwerbstätig sind, so der Wissenschaftler, beispielsweise sei das im neuen Unterhaltsrecht so vorgesehen. Die Prämie beeinträchtige die gesellschaftliche Stellung dieser Frauen und steigere ihr Armutsrisiko im Rentenalter.
Wieso soll das Betreuungsgeld plötzlich für den Staat teurer werden?
Wenn das Betreuungsgeld kommt, lassen nicht nur die Mütter ihr Kind daheim, die es auch jetzt nicht in die Kita geben, sagt das ZEW. Auch gering qualifizierte Frauen, deren Kind jetzt in die Kita geht, melden es dann wahrscheinlich wieder ab. Zum anderen sagen die Forscher: Wenn die Regierung es bis 2013 nicht schafft, für 35 Prozent der unter Dreijährigen einen Kita-Platz vorzuhalten, bleiben auch Kleinkinder von Müttern zu Hause, die lieber arbeiten gehen und das Kind in die Kita bringen würden.
Danach würden Eltern von 1,1 Millionen Kindern die Prämie fordern, das wären 445 000 Eltern mehr, als die Regierung einkalkuliert hat.
Wie hoch sind die Mehrkosten für den Staat?
Das ZEW sagt, das Betreuungsgeld kostet den Staat ab 2014 rund zwei Milliarden Euro im Jahr. Die Regierung rechnet ab 2014 mit 1,2 Milliarden Euro.
In Thüringen gibt es die umstrittene Prämie bereits seit 2006. Wie wirkt sie sich aus?
„Das Betreuungsgeld führt einmal dazu, dass weniger Kinder in die Kitas gehen und mehr zu Hause betreut werden“, fasst Christina Gathmann zusammen. Die Professorin für Arbeitsmarktökonomie und Neue Politische Ökonomie an der Universität Heidelberg ist Co-Autorin der Studie über Thüringen. Der Anteil der Kinder dort, die nun zu Hause bleiben, sei um 20 Prozent angestiegen, erklärt sie. Die Frauen-Erwerbsquote sei um 15 bis 20 Prozent gesunken. Die Auswirkungen träfen vor allem Familien mit geringer Bildung und geringem Einkommen.
Hat es den Kindern geschadet, dass sie nicht in die Kita gehen?
„Es hat negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder, vor allem der Mädchen“, erklärt Christina Gathmann. Denn Mädchen profitierten insgesamt am meisten vom Kita-Besuch. Frühkindliche Defizite könnten jedoch später nur sehr schlecht aufgeholt werden. „Wir wissen aus der Forschung, dass das sehr langfristige Effekte sind, die manchmal bis ins Erwachsenenleben andauern“, sagt die Wissenschaftlerin. Es wirke sich auf den erreichten Bildungsabschluss und später auch auf den Arbeitslohn aus.
Landkreistag: Betreuungsgeld richtet sich gegen den Ausbau von Kitas
Der Spitzenverband der deutschen Landkreise hat sich gegen das geplante Betreuungsgeld ausgesprochen. Die von der Regierung ab 2014 jährlich eingeplanten 1,2 Milliarden Euro seien besser in die Erweiterung von Betreuungsangeboten investiert, sagte die Sozialbeigeordnete des Deutschen Landkreistages, Irene Vorholz, am Mittwoch im ZDF-"Morgenmagazin". Die geplante Prämie sei "eine Sozialleistung, die im Ergebnis gegen den Ausbau gerichtet ist." Ohnehin fehle an Geld und Zeit, um den ab 2013 geltenden Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz gewährleisten zu können.
DIHK will kein Betreuungsgeld
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) lehnt die geplante Einführung des Betreuungsgeldes ab. Wenn Eltern dafür Geld bekämen, dass sie ihre Kinder zu Hause betreuen, könne dies gerade Familien aus bildungsfernen Schichten zum Verzicht auf frühkindliche Bildung bewegen, sagte DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann der "Passauer Neuen Presse". Die frühkindliche Förderung sei jedoch entscheidend für den weiteren Bildungsweg.
"Deshalb plädiere ich dafür, sich auf den ohnehin stockenden Ausbau der Kinderbetreuung zu konzentrieren", sagte Driftmann. "Zudem konterkariert das Betreuungsgeld tendenziell das Ziel einer höheren Erwerbstätigkeit von Frauen."
FDP mit rechtlichen Bedenken gegen Betreuungsgeld
In der FDP sind verfassungsrechtliche Bedenken gegen das umstrittene Betreuungsgeld laut geworden. Sie bezweifle, dass der Bund für die Einführung einer solchen Familienförderleistung überhaupt zuständig sei, sagte die Vorsitzende des Familienausschusses im Bundestag, Sibylle Laurischk, der "Rheinischen Post" vom Mittwoch. Die Voraussetzungen dafür könne sie nicht erkennen. "Die FDP-Fraktion wird einem Gesetz, das verfassungsrechtlich zweifelhaft ist, nicht zustimmen können." Das vor allem von der CSU vorangetriebene Betreuungsgeld ist auch in der CDU umstritten.
Der Bund der Steuerzahler forderte die Bundesregierung auf, auf die Familienleistung zu verzichten. Die Maßnahme sei ein "weiteres Ausgabenfass ohne Boden", sagte Verbandsvizepräsident Reiner Holznagel dem "Hamburger Abendblatt". Denn die jährlichen Mehrausgaben für das Betreuungsgeld ab 2013 würden wegen des geringen Angebots an Kita-Plätzen höher ausfallen als von der Regierung geplant.
Auch Migrantenverbände sprechen sich gegen Betreuungsgeld aus
Gegen das umstrittene Betreuungsgeld regt sich nun auch Widerstand seitens Migrantenverbänden. "Wir sind grundsätzlich gegen das Betreuungsgeld", sagte Berrin Alpbek, Bundesvorsitzende der Föderation türkischer Elternvereine, der "Bild"-Zeitung vom Mittwoch. Sollte es doch zu einer Einführung der Zahlung kommen, dürfe das Betreuungsgeld keinesfalls bar, sondern nur zweckgebunden, etwa in Form von Gutscheinen, ausgezahlt werden. Das Geld müsse dort ankommen, "wo es hingehört: bei den Kindern", sagte Alpbek demnach.
Kritik in der CDu am Betreuungsgeld wächst
Am Wochenende hatte sich eine Gruppe von 23 CDU-Abgeordneten in einem Schreiben an Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) gegen das Vorhaben ausgesprochen. Wie das "Hamburger Abendblatt" weiter berichtete, schloss sich am Dienstag auch der Hamburger CDU-Abgeordnete Jürgen Klimke den Kritikern an. Klimke kritisierte demnach, dass das Betreuungsgeld in der geplanten Form gerade für einen großstädtischen Wahlkreis wie seinen eine Fehlsteuerung von Sozialleistungen bedeute.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Weiß, der ebenfalls zu der Gruppe der Unterzeichner gehört, verteidigte den parteiinternen Widerstand gegen das Erziehungsgeld. "Eine solche Frage muss in der Fraktion auch ausdiskutiert werden", sagte Weiß im Deutschlandfunk. Eine Barauszahlung wäre "eine falsche Botschaft". Stattdessen plädierte Weiß dafür, das Geld in einen Rentenanspruch für die Eltern fließen zu lassen.
Der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Norbert Barthle (CDU), brachte eine Verschiebung des Betreuungsgelds ins Gespräch. Er könne sich vorstellen, die Leistung zu beschließen, sie aber später als jetzt geplant auszuzahlen, sagte Barthle der Berliner "tageszeitung".
Döring machte deutlich, dass die FDP kein Veto einlegen würde, wenn das Vorhaben begraben würde. "Wenn die Union dieses Projekt aufgibt, werden wir nicht im Wege stehen", sagte er. Die Union müsse sich klar darüber werden, was sie wolle.