Essen. Nach dem Schweizer Haftbefehl gegen deutsche Steuerfahnder bekommt der Fall „Credit Suisse“ eine neue Schärfe. Wie kam es zum Kauf der Steuersünder-CD? Deutsche und Schweizer Behörden widersprechen sich. Hier die Hintergründe.
Die Empörung ist bundesweit groß. Deutsche Steuerfahnder als Straftäter? Das geht nicht. Die Haftbefehle, die der Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber gegen drei NRW-Beamte ausgestellt hat, werden in Deutschland als Retourkutsche für die zögerliche Verabschiedung des Steuerabkommens gedeutet. Möglich. Doch hinter dem Vorgang könnte mehr stecken: Gab es eine Rechtsverletzung durch deutsche Behörden? Der Fall Credit Suisse ist offen.
Was passierte 2010?
Ende Februar des Jahres erklärte der damalige Düsseldorfer CDU-Finanzminister Helmut Linssen, seine Behörde habe für 2,5 Millionen Euro eine von Unbekannt angebotene Daten-CD mit Namen und Konten deutscher Steuersünder gekauft. Diese Darstellung wird auch von der seit Mai 2010 regierenden rot-grünen Landesregierung gehalten. In der Folge flogen 1100 Steuerflüchtlinge auf – 200 von ihnen aus NRW. Sie mussten 400 Millionen Euro nachzahlen.
Wie lief der Vorgang aus Schweizer Sicht ab?
Völlig anders. Nach den der WAZ vorliegenden Berner Ermittlungsergebnissen ist die Daten-CD nicht auf einen Schlag aufgekauft, sondern in einer weit über ein Jahr währenden „Zusammenarbeit“ zwischen dem deutschen Bundesland, dem Österreicher Wolfgang U. als Vermittler und dem Züricher Credit Suisse (CS)-Bankangestellten Sina L. als dem eigentlichen Datenhacker beschafft worden. Danach haben die deutschen Behörden, nachdem U. den Handel im Frühjahr 2008 angeboten hatte, mehrere „Aufträge“ zum Datendiebstahl in der Bank erteilt – und auch, „zwei bis drei“ Powerpoint-Präsentationen zu beschaffen. In diesen standen Angaben zum Umgang der CS mit deutschen Kunden. Für die Powerpoint-Präsentationen erhielt der Hacker L. von U. sogar 2000 Franken Extra-Honorar.
Sind die Ermittlungsergebnisse Anlass des Haftbefehls gegen die Steuerfahnder?
Der Berner Bundesanwalt Lauber spricht von einem „konkreten Verdacht“ der Spionage. Sollte es sich so abgespielt haben, wie die Schweizer Ermittler glauben, handelt es sich anders als beim simplen Ankauf einer gestohlenen CD tatsächlich um einen Fall von wirtschaftlichem Nachrichtendienst. Das verstößt gegen internationales Recht und möglicherweise gegen Paragrafen des deutschen Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG). Auch Anstiftung wäre strafbar.
Was sagen U. und L. dazu?
Wolfgang U. ist tot, Sina L. abgetaucht. Der Vermittler U., ein 42-jähriger österreichischer Grafikdesigner, der im schweizerischen Wil nach dem „Ankauf“ durch NRW festgenommen wurde, wurde am 29. September 2010 im Gefängnis an einem TV-Kabel erhängt aufgefunden. Datendieb L. wurde im Dezember 2011 zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er lebt wohl unter neuem Namen.
Waren auf deutscher Seite auch andere Behörden an dem Ankauf beteiligt?
Eine spannende Frage. Bei der Enttarnung des früheren Postchefs Klaus Zumwinkel als Steuersünder 2009 war beispielsweise der Bundesnachrichtendienst (BND) führend. Tatsächlich wurde bei den CS-Daten der Kaufpreis von 2,5 Millionen Euro dem Land zu einem Teil durch den Bund erstattet. Auch betreibt Berlin mit dem Bundesamt für Steuern in Bonn eine Behörde, die den Ländern bei schwierigen Steuerfahndungen hilft.
Wie geht der Streit weiter?
In Berlin liegt ein Antrag aus Bern, wonach die Schweiz den auf Konten in Deutschland ruhenden Teil des an U. gezahlten Kaufpreises von 2,5 Millionen Euro beschlagnahmen lassen will.