Berlin. Wegen des Verdachts auf “nachrichtliche Wirtschaftspionage“ hat die Schweiz angeblich Haftbefehl gegen drei Steuerfahnder aus NRW erlassen. Das berichtet eine Zeitung. Während Finanzminister Wolfgang Schäuble den Vorgang für “nachvollziehbar“ hält, spricht sein Vorgänger Peer Steinbrück von einem “Skandal“.
Die Schweiz ermittelt gegen drei Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen wegen Wirtschaftsspionage. Das hat die Bundesanwaltschaft in Bern bestätigt. Die Ermittlungen stehen in Zusammenhang mit dem Ankauf einer CD mit den Namen und Kontonummern von 1100 deutschen Steuersündern durch das Land NRW im Februar 2010. Die Daten waren zuvor durch den 26-jährigen Bankangestellten Sina L. aus den internen Netzen der Großbank Credit Suisse gestohlen worden.
Außerdem drängen die Schweizer Behörden nach Informationen der WAZ-Mediengruppe auf die Herausgabe eines Teils der 2,5 Millionen Euro, die NRW für die Daten bezahlt hatte. Das Geld liegt bisher auf deutschen Konten und ist damit sicher vor dem Schweizer Zugriff.
NRW könnte Schwierigkeiten bekommen
Den Berner Bundesanwälten liegt nicht nur die Zeugenaussage des Datendiebs L. vor, sondern auch umfangreiches schriftliches Belastungsmaterial, das das Land Nordrhein-Westfalen noch in große Schwierigkeiten bringen könnte. Es wurde im Herbst 2010 in Wil im Kanton St. Gallen im Haus des Österreichers Wolfgang U. beschlagnahmt, der nach den bisherigen Ermittlungen der Schweizer Fahnder den Datenhandel zwischen L. und dem Land NRW vermittelt hat. U. kann dazu nicht mehr weiter befragt werden. Er hat sich kurz nach seiner Festnahme im Gefängnis von Bern mit einem Fernsehkabel erhängt.
Bei dem bei der Durchsuchung beschlagnahmten Material handelt es sich um „verschiedene Listen“ mit Bankkundendaten, die U. für die damalige schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen zusammengestellt haben soll. Die fortlaufende Erstellung der Listen konnte von den Berner Ermittlern chronologisch nachvollzogen werden, heißt es in einer Anklageschrift gegen Sina L., die der WAZ-Mediengruppe vorliegt. L. ist im letzten Dezember vom Bundesstrafgericht der Schweiz in Bellinzona zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden.
Hat NRW Datendiebe beauftragt?
Brisant und für den Vorwurf der Wirtschaftsspionage möglicherweise ausschlaggebend: Die Berner Ermittler sind überzeugt, dass das Land NRW nicht nur eine CD gekauft hat, sondern über einen längeren Zeitraum in den Jahren 2008 und 2009 „Aufträge“ an den Datendieb erteilt hat, auch interne Papiere der Bank zu stehlen. Dabei geht es unter anderem um „zwei bis drei“ Powerpoint-Dokumentationen über den grundsätzlichen Umgang der Credit Suisse mit der deutschen Kundschaft.
Dass die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen für den Datenkauf Geld überwiesen hat, ist für die Schweizer bewiesen. Bern ist im Besitz einer Bestätigung der Zahlung einer größeren Summe an Wolfgang U., die vom Chef der Oberfinanzdirektion Rheinland in Köln, Ulrich Müting, persönlich unterzeichnet ist.
NRW-Finanzminister kritisiert Haftbefehl
NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft verwahrte sich auf dem Sonderparteitag der NRW-SPD dagegen, dass Mitarbeiter der NRW-Finanzbehörden in eine kriminelles Licht gerückt würden. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hält den Ankauf von Steuer-CDs durch die NRW-Finanzbehörden für angemessen. „Wer sein Geld an der Steuer vorbei in die Schweiz schickt, ist nicht nur asozial. Der ist ein Straftäter“, sagte Gabriel in Düsseldorf. „Das ist der wirkliche Sozialmissbrauch in unserem Land. Darüber müssen wir reden.“
NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) hat den Haftbefehl der Schweizer Justiz gegen drei NRW-Steuerfahnder kritisiert. „Ich verurteile diesen einmaligen Vorgang“, sagte Walter-Borjans der WAZ-Mediengruppe. Das Verhältnis zwischen den Ländern werde empfindlich gestört, wenn die, „die dafür eintreten, dass Steuerflüchtlingen das Handwerk gelegt wird, als Täter verfolgt werden“. Walter-Borjans bedauerte, dass das Vorgehen der Schweizer Justiz die Verhandlungen über ein Steuerabkommen „sicher nicht erleichtert“.
Finanzminister Wolfgang Schäuble hält Haftbefehl für nachvollziehbar
Bundesfinanzminister Schäuble hält die Ausstellung von Haftbefehlen gegen drei deutsche Beamte dagegen für nachvollziehbar. "Die Schweiz hat ihr Strafrecht, und in der Schweiz ist die Verletzung des Bankgeheimnisses mit Strafe bedroht", sagte der CDU-Politiker nach einem Treffen mit EU-Ressortkollegen in Kopenhagen. Das geplante Steuerabkommen mit der Schweiz sei durch die Haftbefehle "gar nicht" betroffen.
Die Schweiz und Deutschland verhandeln derzeit über die Nachversteuerung von Altvermögen deutscher Kunden auf Schweizer Banken. Schäuble wies darauf hin, dass sich bei der Verabschiedung des Abkommens derartige Vorfälle vermeiden ließen. Denn darin werde geregelt, dass die Schweiz Deutsche nicht mehr wegen des Ankaufs von Datensammlungen strafrechtlich verfolge.
Trittin und Steinbrück reagieren empört auf Haftbefehl
Dagegen ist der Haftbefehl gegen deutsche Steuerfahnder für den Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, "ein bodenloser Skandal". Offensichtlich wolle die Schweiz im Kampf gegen Steuerhinterziehung nicht mit Rechtsstaaten kooperieren. "Schlimmer: Jetzt wird offensiv der Schweizer Staat zum Schutz von Kriminellen eingesetzt", sagte Trittin in Berlin. Das müsse Auswirkungen auf die Verhandlungen zum Steuerabkommen haben.
Der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück sagte dem Schweizer Radio DSR am Rande des SPD-Landesparteitags in Düsseldorf: "Die Schweiz verwechselt Ursache und Wirkung. Was die nordrhein-westfälischen Finanzbeamte machen, ist die Wirkung davon, dass die Schweiz beziehungsweise die Schweizer Bankinstitute vorsätzlich deutsche Steuerbürger zum Steuerbetrug einladen. Das ist der Skandal."