Berlin. Der neue Bundespräsident Joachim Gauck hat in seiner Antrittsrede klare Worte gefunden. Neonazis und Rechtsextremisten sagt er den Kampf an: “Euer Hass ist unser Ansporn“. Zudem bemühte sich Gauck, seine Kritiker bei den Themen Freiheit und Islam zu beschwichtigen.
Am Ende eine Bitte, am Anfang eine Frage: Das war heute im Bundestag Joachim Gaucks erste große Rede als Präsident. Die Bitte formulierte der Redner für sich selbst, aber auch für seine Zuhörer: Sie möchten ihm das Geschenk ihres Vertrauens machen. Zugleich jedoch damit beginnen, "Vertrauen in sich selbst zu setzen".
Was die Frage am Anfang betrifft: Sie knüpfte an einen Faden an, den Gauck in der kurzen Ansprache nach seiner Wahl in der Bundesversammlung schon gesponnen hatte. Es sei der Mühe wert, so hatte er da geendet, Deutschland "unseren Kindern so anzuvertrauen, dass auch sie zu diesem Land ‚unser Land" sagen können".
Bundespräsident Gauck setzt auf "aktive Bürgerschaft"
So war die zweite auf die erste Rede bezogen. Was Gauck am Sonntag als Appell formuliert hatte, galt es jetzt mit Inhalt zu füllen: "Ja, wie soll es denn nun aussehen", fragte er sich und seine Zuhörer, "dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel einmal sagen sollen: ‚unser Land'?"
Gaucks Antwort: Es soll ein Land sein, in dem sich die Kluft zwischen Regierenden und Regierten wieder schließt. In dem die repräsentative Demokratie sich ergänzt durch eine "aktive Bürgergesellschaft". Ein Land, das "ja" sagt zu Europa und in der derzeitigen Krise bereit ist, "mehr Europa" zu wagen. Wo "alle zu Hause sein können, die hier leben", unabhängig von ihrer Herkunft, und die Werte der Freiheit und der Gerechtigkeit nicht als einander widersprechend, sondern ergänzend und bedingend verstanden werden.
Gaucks Rede im Wortlaut
Erinnerung als "Kraft und Kraftquelle"
Nicht zuletzt wünscht sich der neue Bundespräsident ein Land, in dem beim Blick auf die Vergangenheit nicht nur von den Schattenseiten die Rede ist, von "Schuld und Versagen", sondern auch jener Teil der Geschichte nicht vergessen wird, der in der "Neugründung einer Kultur der Freiheit" bestand.
"Ich wünsche mir mir ein lebendiges Erinnnern dessen, was in unserem Land gelungen ist", formulierte Gauck. Dann sei es möglich, gegen Ängste und Verunsicherung in Zeiten aktueller Krisen die Erinnerung als "Kraft und Kraftquelle" zu nutzen.
Gauck knüpft an Köhlers Idee von Freiheit und Demokratie an
In diesen Passagen erinnerte Gaucks Ansprache an die Rede, in der sein Vorvorgänger Horst Köhler zum 60. Jahrestag des Kriegsendes im Mai 2005 die deutsche Geschichte auch als Entfaltung einer Idee von Freiheit und Demokratie beschrieben und die Deutschen als "zur Freiheit begabt" charakterisiert hatte. Köhler hatte nicht die geringste Resonanz gefunden. Gauck sagte jetzt, ihm gehe es beim Blick auf die Vergangenheit nicht um einen "Paradigmenwechsel", wohl aber um eine "Paradigmenergänzung".
Erkennbar war das Bemühen, Kritiker zu beschwichtigen, die sich vor seiner Wahl gemeldet hatten. Dem Einwand, sein Freiheitsbegriff schließe soziale Gerechtigkeit aus, hielt Gauck entgegen: "Gerechtigkeit ist unerlässlich für die Bewahrung der Freiheit." Freilich dürfe sie nicht "paternalistisch" verstanden werden.
Wuchtige Absage an Neonazis und Rechtsextremisten
Ausdrücklich bezog sich Gauck auch auf seinen Vorgänger Christian Wulff, dessen Satz, der Islam gehöre zu Deutschland, er früher einmal skeptisch kommentiert hat. Jetzt sprach er von einem Deutschland, "in dem sich der Staat immer weniger durch die nationale Zugehörigkeit seiner Bürger definieren lässt", sondern durch das "Streben der Unterschiedlichen nach Gemeinsamkeit".
Und wann hätte man zuletzt eine derart wuchtige Absage an Neonazis und Rechtsextremisten gehört: "Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein, unsere Demokratie aber wird leben", sagte Joachim Gauck.