Berlin. Joachim Gauck ist neuer Bundespräsident. Hatte er sich in den letzten Wochen noch öffentlich rar gemacht, so ließ er am Sonntag in Interviews durchblicken, welche Schwerpunkte er setzen will. Die Freiheit bleibt Gaucks Hauptthema. Aber auch die Integration will er vorantreiben.
Joachim Gauck hat es geschafft. Im zweiten Anlauf ist er am Sonntag im Reichstag zum Bundespräsidenten gewählt worden. Seit seiner Nominierung vor vier Wochen trat Gauck mit Interviews kaum in Erscheinung. Mit Spannung wurden daher seine ersten Äußerungen erwartet, wie er seine fünfjährige Amtszeit angehen möchte. Erste Leitlinien ließ er nach seiner Wahl erkennen. Zugleich machte er deutlich, dass er sich entgegen der Ansicht seiner Kritiker einer breiten Themenpalette widmen möchte.
Joachim Gauck und die Freiheit
Freiheit ist Gaucks Hauptthema und soll es auch bleiben. Dies machte der 72-Jährige in den vergangenen Wochen mehrfach deutlich. In seiner Rede nach der Wahl im Reichstag verwies er darauf, wie er auf den Tag genau am 18. März vor 22 Jahren im Alter von 50 Jahren zum ersten Mal bei der Wahl zur Volkskammer an einer freien und geheimen Abstimmung teilnehmen durfte. "In jenem Moment war da neben der Freude ein sicheres Wissen in mir: Ich werde niemals, niemals eine Wahl versäumen."
Freiheit bedeutet für Gauck immer Freiheit "für etwas und zu etwas", wie er auch in seiner ersten Rede als Präsident erklärte. Im Interview mit der ARD machte er zudem deutlich, er wünsche sich, dass die tiefe Sehnsucht Osteuropas nach Freiheit im Herzen der Deutschen ankomme. Die erste Auslandsreise will Gauck nach Polen machen.
Joachim Gauck will Bürger und Politik versöhnen
Kritiker haben Gauck wegen seiner Fokussierung auf das Thema Freiheit in den vergangenen Wochen eine Verengung im Denken vorgehalten. Sie fürchten, dass andere Themen während seiner Präsidentschaft zu kurz kommen könnten, etwa die soziale Gerechtigkeit. Der neue Hausherr im Schloss Bellevue versicherte am Sonntag jedoch, er wolle sich "neu auf Themen, Probleme und Personen einlassen". Dies bedeute auch eine "Auseinandersetzung mit Fragen, die uns heute in Europa und der Welt bewegen". Zudem wolle er an einer Annäherung zwischen den Regierenden und der Bevölkerung mitwirken.
Dass er sich dem Thema soziale Gerechtigkeit bislang nicht schwerpunktmäßig gewidmet habe, habe damit zu tun, dass er dieses bislang in guten Händen sah. Doch liege ihm das deutsche Sozialstaatsmodell am Herzen. Auch den Holocaust als dunkles Kapitel der deutschen Geschichte will Gauck weiter ansprechen, wie er dem ZDF sagte.
Joachim Gauck und die Integration
Gaucks Vorgänger Christian Wulff hatte sich das Thema Integration auf die Fahnen geschrieben und genoss dafür hohes Ansehen bei Migrantenverbänden. Gaucks Worte zu dem wegen seiner Thesen zu Ausländern in der Kritik stehenden früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin hatte bei ihnen dagegen Irritationen ausgelöst.
Gauck betonte in TV-Interviews, er werde Wulffs Bemühungen mit eigenen Worten fortsetzen. Er habe in den USA Menschen aus Afrika oder Asien kennengelernt, die nach einem halben Jahr in den Staaten freudig gesagt hätten, sie seien amerikanische Bürger. "So etwas möchte ich auch hier erleben". An anderer Stelle fügte er hinzu, es könne nicht sein, dass Menschen, die in Deutschland lebten und gebraucht würden, "sich so vorkommen, als müssten sie sich immer entschuldigen, dass sie bei uns sind". Deshalb sei zu erwarten, "dass hier kein Richtungswechsel erfolgt".
Joachim Gauck und die Tagespolitik
Weitgehend herrscht die Überzeugung, dass der parteilose Gauck kein bequemer Präsident sein wird. So wird damit gerechnet, dass er durchaus auch den ihn tragenden Parteien auf kurz oder lang die Leviten lesen bzw ihnen den Spiegel vorhalten wird. Gauck ließ nach der Wahl erkennen, dass er sich auch politisch zu diversen Themen positionieren möchte.
Einen Vorgeschmack gab er bereits: So forderte er Änderungen am Solidarausgleich, damit die Gelder auch benachteiligten Regionen im Westen zugutekommen können. Skeptisch äußerte er sich zu einem NPD-Verbotsverfahren, da er hier kein Scheitern erleben wolle und man sich gegen die "Verächter der Demokratie" auch so verteidigen könne. Darüber hinaus will sich Gauck nach eigenen Worten auch Gedanken zum umstrittenen Thema Mindestlohn machen.
Joachim Gauck - der Bürgerrechtler
Kritiker werfen dem neuen Präsidenten vor, ihm werde das Etikett Bürgerrechtler zu Unrecht angeheftet. Gauck sei nur vom Mangel an Freiheit geprägt worden, nicht vom Kampf für deren Durchsetzung und habe erst 1989 die schützenden Mauern der Kirche verlassen.
Gauck, der sich selbst als "oppositionellen Geistlichen" bezeichnet, kritisierte in der ARD, hier würden Fakten oft absichtlich nicht gewürdigt. So habe er sämtliche Themen der DDR-Opposition in seine Jugend-, Gemeinde- und Kirchentagsarbeit integriert. "Nur an meinem Klingelschild stand nicht Bürgerrechtler, sondern Pastor."
Joachim Gauck und die Protestkultur
Gauck relativierte seine Äußerungen zur "Occupy"-Bewegung, die er als "unsäglich albern" bezeichnet hatte. Diese Worte hätten sich auf den Slogan zur Besetzung der EZB bezogen. In der selben Veranstaltung habe er jedoch die "Haltung von Protest" gewürdigt.
Schließlich komme er selbst aus einem Land, wo Menschen aufgestanden und auf die Straße gegangen seien. "Aber ich hätte gerne ein paar Inhalte." Unter anderem wegen Gaucks Worten zu der Bewegung hatte der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele angekündigt, Gauck nicht zu wählen. (rtr)