Essen. . Wer Thema Gauck für 'durchgetalkt' hält, erfuhr am Tag der Bundespräsidentenwahl bei ARD-Sonntagstalker Günther Jauch, dass längst Gesagtes ruhig nochmal wiederholt werden kann. Und erlebte einen betagten Ex-SPD-Chef Hans-Jochen Vogel im vitalen Rhetorik-Clinch mit Linken-Chefin Lötzsch.

Günther Jauch (55) hatte den Joker gezogen. Er war der erste ARD-Talker, der sich an dem frisch gewählten Bundespräsidenten Joachim Gauck (72) abarbeiten durfte. Jauch blickte zurück: Welche Taktik verfolgte die FDP, die Gauck der Kanzlerin Merkel aufgezwungen hatte? Jauch blickte auf den Präsidenten: Welches Weltbild hat er? Und Jauch blickte nach vorn: Wie macht Gauck seinen Job? Nur wenige Stunden nach der Wahl blieben große Antworten naturgemäß aus. Stattdessen gab es kleine Erkenntnisse, die dennoch bemerkenswert sind.

Zunächst Hans-Jochen Vogel. Bemerkenswert ist zunächst die Präsenz, die der 86-jährige Sozialdemokrat noch hat. Der Mann mit der beeindruckenden Polit-Laufbahn wirkte deutlich jünger, als es sein Lebensalter vermuten lässt. Er gab sich zunächst ganz so, wie man es von einem Polit-Profi vermuten könnte, der schon lange nicht mehr im Tagesgeschäft mitmischt: überparteilich. Er bedachte Vizekanzler Philipp Rösler (39) mit einem vergifteten Lob. Aus taktischen Gründen hätte der Chef der schwächelnden FDP mit der Wahl Gaucks für ein gutes Ergebnis gesorgt.

Gucks Aufgabe ist "Mut zu machen"

Vogel lobte neben Rösler auch den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (70; CSU) stellvertretend für die schwarz-gelbe Koalition, die mit der Gauck-Wahl den Wulff-Irrtum korrigiert hätte. Vogel hob die breite Zustimmung für Gauck hervor. Dabei erinnerte er an Amtsvorgänger wie Gustav Heinemann (SPD) und Richard von Weizsäcker (CDU). Das Votum für Gauck als Nachfolger von Christian Wulff (52) sei „für unsere Demokratie ein guter Tag“. Gaucks Aufgabe, sagte Vogel, sei, „Mut zu machen“.

Doch je länger Jauchs Gesprächskreis dauerte, desto mehr brach aus Vogel der Grantler hervor, der denn doch nicht von Parteipolitik lassen konnte. Dabei mühte sich Vogel nach Kräften, sich von Linken-Chefin Gesine Lötzsch (50) abzugrenzen. Lötzsch hatte die Gelegenheit genutzt, ihre Partei als Schutzpatronin der sozial Schwachen dazustellen – ein klassisches SPD-Thema. Dabei brachte sie ihre bekannten Vorbehalte gegen Gauck vor; ihm seien soziale Themen nicht so wichtig. Sie mögen für den Präsidenten wichtiger werden: So lautete die umgekehrte Botschaft der Politikerin aus dem Osten Berlins.

Gauck "erst mal machen lassen"

Zugleich ging Lötzsch auf Vogel zu, in dem sie seine Wertschätzung von Heinemann und Weizsäcker teilte. Vogel jedoch ließ sie schroff abfahren. Der ehemalige protestantische Pastor Gauck predige „Freiheit“, und damit habe die Linke nichts zu tun. Was aber Gauck mit Freiheit meint, blieb nebulös. Lisa Spies, mit 19 jüngste Wahlfrau in der Bundesversammlung, brachte es auf den Punkt: „Unter Freiheit versteht jeder etwas anderes.“ Klar wurde nur, dass Gauck seit der Wende seine Wahlfreiheit nutzt; er sehe sie als Geschenk, auf das er 50 Jahre warten musste, hieß es.

Während die Inhalte von Gaucks Mission bestenfalls formelhaft umrissen wurden, schien die versammelte Talk-Runde zu wissen, welche Form der neue Präsident wählt. „Spiegel“-Chefredakteur Georg Mascolo, der inzwischen zu den üblichen Verdächtigen des öffentlich-rechtlichen Talks gehört, glaubt, Gauck widerstehe Stimmungen, lasse sich von den Medien nicht treiben und werde sich „Mahner und Ermahner“ positionieren. Mascolo will Gauck „erst mal machen lassen“.

FDP-Chef Rösler gibt sich treuherzig

Als Präsidenten-Macher wurde der Ober-Liberale Rösler präsentiert. Verblüffend ehrlich bekannte er, Gauck beim ersten Anlauf vor zwei Jahren nicht gewählt zu haben, weil er von den „falschen Leuten“ vorgeschlagen worden sei. Zudem behauptete er treuherzig, seine Partei habe die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW platzen lassen, weil es ihr beim Haushalt um „Glaubwürdigkeit“ ging. Was Rösler jedoch zu Gaucks künftiger Rolle sagte, war kaum mehr als wirres Geblubber. Ausgerechnet der brillante Rhetoriker Gauck werde sich in der Mediendemokratie auf wenige Reden beschränken, meinte Rösler.

Aufschlussreicher war ein Einspieler aus des Vizekanzlers Auftritt bei Markus Lanz. Gerade der gern als Dampfplauderer geschmähte Mainzelmann hatte sichtlich Spaß daran, den, wie so oft, schulbubenhaften Rösler in die Enge zu treiben. Genüsslich arbeitete Lanz heraus, dass das taktische Spiel der FDP die Kanzlerin bis aufs Blut gereizt haben muss. Damit zeigte Lanz das, was Günther Jauch in der Allen-wohl-und-keinem-wehe-Runde fehlte: Biss.

P.S. Heute Abend nimmt sich auch Jauchs Kollege Frank Plasberg die Gauck-Wahl im Ersten zur Brust. Wenn er dem Thema wirklich neue Erkenntnisse abringt, macht er das Runde eckig.