Berlin. . Deutschland gilt als das Land, das am schnellsten und radikalsten Lehren aus der Atomkatastrophe von Fukushima zog. Ein Jahr nach dem Gau in Japan ist die Energiewende in Deutschland nach dem Atomausstieg tatsächlich noch fern. Ein Zwischenbericht.
Die Energiewende sollte ein Prestigeobjekt der schwarz-gelben Koalition werden. Doch ein Jahr nach Fukushima fällt die Bilanz ernüchternd aus. In entscheidenden Punkten wie dem Netzausbau oder dem Energiesparen geht die Wende kaum voran. Nach wie vor fehlt der Koalition und damit den Ministerien, die den Umstieg zu sauberer Energie regeln sollen, eine klare Linie. Deshalb werden Rufe nach einem Energieministerium oder einem Koordinator für die Wende immer lauter.
Netze und Speicher
Hier geht es kaum voran. Um Deutschland mit erneuerbarer Energie jederzeit zu versorgen, sind Speicher nötig. Neben Pumpspeichern gibt es kaum ausgereifte Technologien. Zudem fehlen Trassen, die den Windstrom von Nord- nach Süddeutschland transportieren. Laut Deutscher Energieagentur (Dena) braucht man bis 2025 weitere 4000 Kilometer. Davon sind angeblich 160 Kilometer gebaut. Bei jedem zweiten von 24 wichtigen Trassenprojekten gibt es Verzögerungen, auch wegen Widerstands in der Bevölkerung vor Ort. Der dürfte nicht geringer werden, da die Regierung auf beschleunigte Genehmigungen für die Trassen setzt. Wie sie dabei die Bürger beteiligen will, bleibt schleierhaft.
Erneuerbare Energien
Deren Anteil steigt kontinuierlich, hier hat die Energiewende etwas Form angenommen. 20 Prozent unseres Stroms stammen aus regenerativen Quellen – acht aus Windkraft, fünf aus Biomasse und drei aus Photovoltaik. 2010 waren es noch 16 Prozent, 2020 soll der Anteil 35 Prozent betragen.
Doch nun droht der Ausbau zu stocken. Zum einen will Schwarz-Gelb auf Drängen von Wirtschaftsminister Rösler (FDP) die Solarförderung um bis zu 30 Prozent kürzen. Eine Kappung ist zwar notwendig – wegen des Solarbooms, immer billiger werdender Anlagen und der so resultierenden Überförderung. Der Opposition und vielen unionsgeführten Ländern geht das aber zu weit. Sie befürchten, dass die heimische Solarbranche kaputt geht.
Zum anderen kommt der Ausbau der Windparks auf dem Meer nicht recht in Gang – trotz Milliardenförderung und hoher Einspeisevergütung. Denn hier ist der Netzbetreiber mit dem Aufbau der Stromtrassen überfordert.
Energiesparen
Sparen ist ein ganz zentrales Element der Energiewende, weil es unter dem Strich auch am billigsten ist. Doch hier geht es nicht schnell genug voran. 2011 sank der Stromverbrauch um gerade einmal 0,3 Prozent. Dabei will Deutschland bis 2020 20 Prozent Energie einsparen. Dennoch sträubt sich die Regierung gegen die europäischen Einsparziele. Die EU will die Länder verpflichten, jährlich 1,5 Prozent weniger Energie zu verbrauchen. Das trägt Deutschland so nicht mit. Zuvor tobte ein Streit zwischen Umweltminister Röttgen (CDU) und Wirtschaftsminister Rösler (FDP), der gegen die Pläne mobil machte.
Energiesparen gelingt vor allem durch die Sanierung von Altbauten. Die Regierung will nun die jährliche Sanierungsrate bei den Altbauten von einem auf zwei Prozent verdoppeln. Doch dazu mangelt es an Anreizen für die Bürger. Nach wie vor streiten Bund und Länder über die steuerliche Absetzbarkeit von Sanierungskosten. Immerhin wird das Gebäudesanierungs-Programm nun doch nicht gekürzt.
Endlagersuche
Noch gibt es kein Endlager für den Atommüll. Umweltminister Röttgen will mit den Ländern bis Sommer das Endlagersuche-Gesetz auf den Weg bringen. Strittig ist, wie es mit Gorleben weitergeht. Atomkraftgegner fordern den Verzicht auf den Salzstock. Heikel sind auch die Fragen, ob konkrete Kriterien für die Standortsicherheit ins Gesetz kommen und neue Behörden für die Auswahl geschaffen werden.
Drei Gesteinsschichten kommen als Lagerstätte in Betracht: Salz, Ton und Granit. Potenzielle Standorte befinden sich in Norddeutschland, vor allem in Niedersachsen. Hinzukommen der Norden von NRW, Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen.
Kohle und Gas
Da die alten Atommeiler seit Fukushima vom Netz sind und Solar- und Windanlagen nicht immer Strom erzeugen können, sind weitere Gas- und Kohlekraftwerke nötig. Im Bau befinden sich derzeit Anlagen mit 13 Gigawatt Leistung, weitere zehn Gigawatt sollen bis 2020 hinzukommen. Doch hier hakt es. Denn der Bau von Kraftwerken lohnt sich nicht, wenn sie nur kurzfristig Stromlücken stopfen sollen.
Atomkraftwerke
Der letzte Meiler soll 2022 vom Netz. Neun Reaktoren sind noch in Betrieb. 2011 haben sie 18 Prozent des Stroms erzeugt. Trotz AKW-Aus ist der befürchtete Blackout im Winter ausgeblieben – auch wegen vieler wind- und sonnenreicher Tage. Allerdings müssen die Netzbetreiber immer häufiger eingreifen, damit das Stromnetz nicht zusammenbricht.
Die Macher der Wende
An der Energiewende werkeln das Umwelt-, Wirtschafts-, Forschungs-, Bau-, Verbraucher- und Finanzministerium mit. Immer wieder gibt es Streit zwischen Röttgen und Rösler. Sei es bei der Kürzung der Solarförderung oder beim Energiesparen. Eine einheitliche Linie ist nicht in Sicht. Auch deshalb werden immer wieder Rufe nach einem Energieministerium oder einem Koordinator für den Umstieg laut.
AKW-Protest in Essen