Berlin. Wer hat das Zeug zum Bundespräsidenten? Ob Norbert Lammert, Klaus Töpfer oder Joachim Gauck: Potenzielle Namen kursieren zuhauf - doch die Kanzlerin braucht jemanden, der das Amt ausfüllen kann UND von der Opposition akzeptiert wird - sonst könnte die Wahl auch für Merkel zur Niederlage werden.

Die Suche nach einem Nachfolger für den zurückgetretenen Bundespräsidenten soll nach dem Willen der Regierungskoalition möglichst rasch abgeschlossen werden. Die drei Parteivorsitzenden der schwarz-gelben Koalition haben am Freitagabend erste Beratungen über die Nachfolge des zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff beendet. Nach gut vier Stunden im Kanzleramt gingen Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Philipp Rösler (FDP) auseinander, ohne eine Stellungnahme abzugeben. Am Samstagmorgen soll die Runde erneut tagen, dann erweitert um die Fraktionschefs, hieß es in Koalitionskreisen erfuhr.

Die Linke empört sich über die Weigerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), auch die Linkspartei in die Suche nach einem parteiübergreifenden Bundespräsidentenkandidaten einzubeziehen. Linke-Chefin Gesine Lötzsch sprach am Freitagabend in der ARD von einem "undemokratischen Verhalten" und einer "gravierenden Fehlentscheidung". Auch hätte sie von der SPD erwartet, dass diese sage, die Linke gehöre auch zur Opposition. Die Linke werde schließlich bei anderen Themen auch vielfach ins Kanzleramt eingeladen. Die Linke werde nun schauen, wer als Kandidat präsentiert werde, sagte die Parteivorsitzende. Die Zeit sei reif für eine Frau im höchsten Staatsamt. 2010 hatte die Linke ihre Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen ins Rennen geschickt.

Aus der FDP hieß es, sie begrüße das Zugehen auf SPD und Grüne. Die Liberalen seien bereit, gegebenenfalls den ehemaligen Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, Joachim Gauck, zu unterstützen. Der 72-Jährige war 2010 nach dem überraschenden Rückritt von Bundespräsident Horst Köhler von SPD und Grünen als Kandidat gegen Wulff ins Rennen geschickt worden und war erst im dritten Wahlgang geschlagen worden. Der evangelische Theologe genießt auch in der Koalition hohes Ansehen. Allerdings dürfte er in der Union nur sehr schwer durchsetzbar sein - da seine Nominierung das Eingeständnis wäre, mit Wulff einst aufs falsche Pferd gesetzt zu haben. Zur Frage einer Kandidatur erklärte Gauck am Freitag vor einer Lesung in Koblenz: "Ich sage nichts zu Wulff und zu Gauck". Der 72-Jährige wollte nichts kommentieren. "Mein Terminkalender ist gut gefüllt und ich bin ein beschäftigter, glücklicher Mann", sagte er.

Schäuble, von der Leyen, Töpfer, Lammert und ....??

Als weitere mögliche Kandidaten waren auch Verteidigungsminister Thomas de Maiziere, Finanzminister Wolfgang Schäuble, Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, Ex-Umweltminister Klaus Töpfer, Bundestagspräsident Norbert Lammert sowie die frühere Hannoveraner Landesbischöfin Margot Käßmann genannt worden. Als aussichtsreich wurde in Regierungskreisen der einst von der SPD nominierte Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle (49) genannt. Sein Vorteil: Er ist Repräsentant einer Institution, die größtes Vertrauen bei den Bürgern genießt.

Auch interessant

Von Wilhelm Klümper

Finanzminister Wolfgang Schäuble dürfte kaum wirklich Ambitionen auf das Amt haben - er ist 70 Jahre alt und hat schon häufiger anklingen lassen, dass er die Rettung des Euro in der Rolle als Finanzminister als sein letztes großes politisches Projekt ansieht. Zudem braucht ihn die Kanzlerin als Schwergewicht im Kabinett.

Ursula von der Leyen galt schon als Kronprinzessin für Schloss Bellevue - bis ihr Merkel ihre Unterstützung entzog. Sie sah stattdessen in der Nominierung Wulffs eine Chance, ihren letzten Widersacher aus der einstigen CDU-Phalanx der machtbewussten Landesfürsten ruhig zu stellen. Von der Leyen könnte Außenseiterchancen haben - weil sie in der Vergangenheit politisch keine typischen CDU-Positionen vertreten hat, Frau ist - und Merkel möglicherweise allmählich zu selbstbewusst im Kabinett wird. Klaus Töpfer hat Chancen, weil er zwar CDU-Mann ist, aber aufgrund seines umweltpolitischen Engagements bei der UNO inhaltlich den Grünen und Teilen der SPD sehr nahe steht.

Verteidigungsminister de Maiziere nennt Spekulationen über seine Wulff-Nachfolge "abwegig"

Norbert Lammert hat sich als Bundestagspräsident großes überparteiliches Ansehen erarbeitet - und als Anschieber gesellschaftlicher Debatten. Thomas de Maiziere wiederum ist Merkels Geheimwaffe, die sie immer einsetzt, wenn politisch Not am Mann ist. Der Verteidigungsminister will jedoch offenbar nicht für die Nachfolge des zurückgetretenen Bundespräsidenten kandidieren. "Das ist in jeder Hinsicht abwegig", sagte der CDU-Politiker am Freitag vor Journalisten bei einem Besuch in Washington über entsprechende Spekulationen. Die Entscheidung Wulffs verdiene seinen vollen Respekt, sagte de Maiziere.

Ob er tatsächlich Chancen hätte, von Merkel nominiert zu werden? Wohl eher nicht: De Maiziere agierte bisher eher unauffällig effektiv. Die bisherige Stärke könnte sich bei der Suche nach einem Kandidaten für Bellevue nun ins Gegenteil verkehren: Der Präsident hat nämlich im wesentlichen nur ein Mittel, Politik zu machen - durch Reden notwendige gesellschaftliche Debatten anzustoßen. Abgesehen von seinen Finanz-Affären, war dies der größte Vorwurf, dem man im übrigen Wulff macht: Er war in keinster Weise präsent.

30 Tage Frist - Ein eng gesteckter Zeitplan bis zur Bundesversammlung 

Der Zeitplan zur Kür seines Nachfolgers ist aus rechtlichen Günden eng gesteckt: Nach dem Rücktritt von Christian Wulff muss die Bundesversammlung spätestens nach 30 Tagen zur Wahl eines Nachfolgers zusammentreten, also bis zum 18. März. So schreibt es Artikel 54 des Grundgesetzes vor. Die Versammlung, die von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) einberufen werden muss, ist ein Gremium, das nur zur Wahl des Präsidenten zusammenkommt. Sie besteht aus den Bundestagsabgeordneten und ebenso vielen Vertretern der Bundesländer, darunter auch Bürger, die von den Parteien nominiert werden.

Seit der Wahl Wulffs zum Bundespräsidenten 2010 haben sich nach Niederlagen bei den Landtagswahlen die Mehrheitsverhältnisse für Schwarz-Gelb in der Bundesversammlung verschlechtert. Damals bestand die Bundesversammlung noch aus 1244 Wahlleuten. Union und FDP wurden 644 Stimmen zugerechnet, also 21 Stimmen mehr als die bei 623 beginnende absolute Mehrheit. Nach Hochrechnungen würde sich derzeit die Bundesversammlung aus 1240 Wahlleuten zusammensetzen, die absolute Mehrheit würde also bei 621 Stimmen beginnen. Auf Union und FDP entfallen 622 bis 624 Mandate. Das hieße, Schwarz-Gelb kann sich im Grunde nicht auch nur einen Abweichler leisten, um aus eigener Kraft den Bundespräsidenten zu bestimmen.

Ohrfeigen für die Liberalen

Mit dem Stichtag 18. März dürften sich zwar die derzeitigen Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung nicht ändern. Eine Woche später - am 25. März - steht die Landtagswahl im Saarland an, die die Machtbalance in dem Gremium wahrscheinlich verschieben wird. Dennoch unterliegt die Wahl des Bundespräsidenten eigenen Unwägbarkeiten: Bei der Wahl von Horst Köhler zum Bundespräsidenten 2004 etwa hatte die CSU Fürstin Gloria von Thurn und Taxis in die Bundesversammlung geschickt. Die aber machte keinen Hehl daraus, für die SPD-Kandidatin Gesine Schwan gestimmt zu haben. Es ist aber auch nicht sicher, dass die Wahlleute für den Kandidaten ihrer eigenen Partei oder Koalition stimmen. Groß ist die Verlockung, den eigene Oberen einen Denkzettel zu verpassen. Dies hatte auch schon Wulff bei seiner Wahl im Juni 2010 gespürt. Erst im dritten Anlauf wurde er gewählt, obwohl rechnerisch eine komfortable schwarz-gelbe Mehrheit bestand.

Diese Unwägbarkeiten bergen auch für die Bundeskanzlerin Risiken. Merkel steht unter Erfolgsdruck, denn schon der Vorgänger von Wulff, Horst Köhler, hatte vorzeitig das Amt aufgegeben. Beide Männer waren ihre Kandidaten. Zudem gilt auch die Bundespräsidentenwahl als ein Indikator dafür, über welche Machtfülle ein Regierungschef verfügt. So erscheint wenig verwunderlich, dass Merkel den Schulterschluss mit SPD und Grünen sucht, um das Risiko einer Niederlage bei der Kür des Staatsoberhaupts zu meiden.

Piratenpartei könnte auch Präsidentschaftskandidaten aufstellen

Für den kleinen Koalitionspartner FDP allerdings war diese Entscheidung ein Schlag ins Gesicht. Merkel machte deutlich: Euch brauche ich für die Wahl des Bundespräsidenten nicht, Euch traue ich nicht zu, dass ihr die Mehrheit sichert. Die Verhandlungen über die Nachfolge Wulffs mit Grünen und SPD werden so schon mal zu einem kleinen Lackmustest für die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2013.

Unterdessen hält sich auch die Piratenpartei die Option offen, bei der kommenden Bundesversammlung einen eigenen Kandidaten als Wulff-Nachfolger vorzuschlagen. Der Parteivorsitzende Sebastian Nerz sagte laut einer Vorabmeldung der Zeitung "Bild am Sonntag": "Wir Piraten sind offen für Vorschläge der Regierungskoalition und der anderen Bundestags-Parteien. Aber wir können uns auch vorstellen, einen eigenen Kandidaten zu nominieren". (dapd, rtr, afp, WE)