Berlin. Lange als Provinzpolitiker verschrien brachte es Christian Wulff an die Spitze des deutschen Staates. Nach Ansicht vieler Kritiker blieb er auch als Bundespräsident blass und konturlos. Zu Fall brachten ihn die privaten Beziehungen, die er während der Regierungszeit in Niedersachsen knüpfte.

Neun Wochen hat Bundespräsident Christian Wulff versucht, seine Kredit- und Medienaffäre zu überstehen. Zuletzt bemühte er sich beim Staatsbesuch in Italien, Vertrauen zurückzugewinnen. Doch die Negativschlagzeilen rissen nicht ab. Dann kam der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Die Staatsanwaltschaft Hannover beantragte, Wulffs Immunität aufzuheben, um gegen ihn zu ermitteln - ein bislang einmaliger Vorgang in der Geschichte der Republik. Am Freitag um kurz nach 11.00 Uhr zog der 52-Jährige im Schloss Bellevue mit ernster Miene und im Beisein seiner Ehefrau Bettina den Schlussstrich und besiegelte die bisher kürzeste Amtszeit eines deutschen Präsidenten.

Wulff wurde am Ende ein ganzes Bündel an Vorwürfen und Ungereimtheiten zum Verhängnis - angefangen vom privaten Haus-Kredit in Höhe von 500.000 Euro der Unternehmergattin Edith Geerkens über den Nachfolgekredit bei der BW Bank zu besonders günstigen Konditionen und Gratisurlauben bei Unternehmerfreunden bis hin zur versuchten Einflussnahme auf die Medienberichterstattung durch einen Anruf auf der Mobilbox von "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann. Und nicht zuletzt die Ermittlungen gegen seinen ehemaligen Sprecher und langjährigen Vertrauten Olaf Glaeseker setzten dem Staatsoberhaupt zu.

In diesen Fällen konnte Wulff bislang aber rechtlich nichts vorgeworfen werden, Vorprüfungen von Staatsanwaltschaften ergaben nie einen Anfangsverdacht. Doch der gemeinsam mit dem Filmunternehmer David Groenewold verbrachte Sylt-Urlaub des Ehepaars Wulff 2007 erweckte an größere Aufmerksamkeit der Behörde - zumal das Land Niedersachsen einer Firma Groenewolds später eine Bürgschaft gewährte.

Erste Patzer gehen als Anfangsfehler durch

Wulff selbst klammerte sich in den vergangenen Wochen beharrlich ans Amt. In seiner politischen Karriere hat es der gebürtige Osnabrücker nie an Steherqualitäten vermissen lassen. Auf dem Weg an die Spitze der niedersächsischen Landesregierung etwa ließ sich der viele Jahre als Provinzpolitiker abgestempelte Jurist auch von zwei Niederlagen gegen Amtsinhaber Gerhard Schröder nicht abschrecken. 2003 gelang es ihm dann, das Image des "braven Verlierers" abzustreifen und nach einem Sieg gegen Ministerpräsident Sigmar Gabriel erster katholischer Landesvater im protestantisch geprägten Niedersachsen zu werden.

Nach dem überraschenden Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler 2010 fiel die unter Zeitdruck geführte Kandidatensuche von Union und FDP schnell auf den damaligen niedersächsischen Regierungschef und stellvertretenden CDU-Vorsitzenden. Doch Wulffs Start ins Präsidentenamt gestaltete sich nicht einfach. Drei Anläufe braucht der Niedersachse in der Bundesversammlung, bevor er als jüngster Bundespräsident feststand.

Der neue Hausherr im Schloss Bellevue fasst anfangs schwer Tritt. Schon zu Beginn gerät er wegen eines Urlaubs im Domizil seines Unternehmerfreundes Carsten Maschmeyer auf Mallorca in die Kritik. Auch sonst erlaubt sich Wulff einige Patzer, die ihm als Anfangsfehler jedoch weitgehend verziehen werden. Unter anderem wird ihm vorgeworfen, sich völlig zu Unrecht in die Entlassung des einstigen Bundesbank-Vorstands Thilo Sarrazin eingeschaltet zu haben.

Mit Aussagen zu Islam Debatte angestoßen

Wulff gilt anfangs als blass und konturlos - nach Ansicht seiner Kritiker ist er dies seine gesamte Amtszeit über geblieben. Lob findet dagegen seine freundliche und bescheidene Art. Mitarbeiter des Bundespräsidialamts schwärmen über den neuen offenen Stil, der mit Einzug der Wulffs ins Schloss Bellevue einkehrte. Zudem gelten Christian und Bettina Wulff mit ihren kleinen Kindern vielen als Vertreter einer modernen Generation, die Job und Karriere in Einklang zu bringen versucht und um die Alltagsnöte vieler Eltern weiß.

Hohe Wellen schlägt Wulffs Rede zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit am 3. Oktober 2010, der bedeutendsten Ansprache seiner Amtszeit. Für Diskussionsstoff sorgt sein Satz, auch der Islam gehöre neben Christentum und Judentum inzwischen zu Deutschland. Zugleich warnt er bei dieser Gelegenheit vor der Ausgrenzung von Migranten, der Zementierung von Vorurteilen und dem Auseinanderdriften der Gesellschaft. Konservative Kreise der Union distanzieren sich von seinen Islam-Äußerungen und haben ihm diese bis dato nicht wirklich verziehen. Wulff aber hat ein Thema für sich gefunden: der Zusammenhalt der Gesellschaft. Diesen zu stärken, bezeichnete er auch am Freitag rückblickend als "Herzensanliegen" seiner Zeit im höchsten Staatsamt.

"Nicht durch die Wahl zum Universalgenie"

Zur Euro-Schuldenkrise, zu der er anfangs lange Zeit sprachlos blieb, meldete sich Wulff seit dem vergangenen Jahr wiederholt zu Wort. Bei einer Konferenz von Wirtschaftsnobelpreisträgern geißelte er im Sommer den Ankauf von Anleihen von Schuldenstaaten durch die EZB. Auch zuletzt in Italien standen die Euro-Krise und die Herausforderungen im Mittelpunkt. Dieses Thema sollte ihm auch in der weiteren Amtszeit dazu dienen, Profil zu gewinnen. Weithin auf Unverständnis stieß aber, dass er im vergangenen Jahr auf eine Berliner Rede verzichtete, der seit Roman Herzogs "Ruck-Rede" hohe Bedeutung zukommt.

Für das Bundespräsidentenamt hatte Wulff vor seiner Wahl angekündigt, er wolle dies zu einer Denkfabrik machen. "Das Staatsoberhaupt wird ja nicht durch die Wahl zum Universalgenie, sondern ist auf den Rat von klugen Leuten angewiesen", gab er sich bescheiden. Dies wurde auch als Ankündigung verstanden, sich vom Schloss Bellevue aus stärker in die Politik einmischen zu wollen. Gute drei Jahre hätte er dafür eigentlich noch Zeit gehabt. Doch auch ohne die Entscheidung der Staatsanwaltschaft waren seine Glaubwürdigkeit und seine Integrität zuletzt erheblich beschädigt. Seine Lebensplanung muss er nun umstellen. (rtr)