Straßburg. Die Diskussion um die Präsenzquote der FDP-Abgeordneten Silvana Koch-Mehrin im Europaparlament schwelt weiter. Werner Langen (CDU) unterstellt ihr, sie habe vor Gericht eine falsche eidesstattliche Erklärung abgegeben. Koch-Mehrin verliert Rechtsstreit gegen FAZ.

Auf den Wahlplakaten der FDP verkündet die Spitzenkandidatin für die Europawahl mit strahlendem Lächeln «Für Deutschland in Europa». Doch tatsächlich ist Silvana Koch-Mehrin wohl das Lachen vergangen. Seit Wochen steht sie in den Medien im Kreuzfeuer der Kritik. Die Rede ist davon, dass die medienwirksame Frontfrau der Liberalen vor allem in Talkshows und auf den Seiten bunter People-Magazine glänzt, weit weniger hingegen durch politische Arbeit im Europaparlament.

So berichtete DerWesten vor wenigen Tagen über den Clinch von Koch-Mehrin mit dem Blogger David Schraven von der Internetseite ruhrbarone.de. Während Schraven der FDP-Europaabgeordneten unterstellt, sie habe vor Gericht eine falsche eidesstaatliche Erklärung abgegeben, bestreiten ihre Anwälte die Vorwürfe. Der Blogger betonte jetzt noch einmal, dass ihm wegen seiner Texte über Koch-Mehrin mit diversen Klagen gedroht worden sei. Zudem hätten FDP-Wahlkampfhelfer die Kommentar-Funktion auf der Internetseite benutzt, um anonym Schmäh-Kritiken loszuwerden

Streit um Artikel in der FAZ

Auslöser war unter anderem ein Bericht der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) im April über eine Studie, die die Präsenz der Europaabgeordneten unter die Lupe nahm. Demnach schnitt die 38-jährige Mutter von drei Kindern mit eine Präsenzquote von 38,9 Prozent unter allen 99 deutschen Euro-Parlamentariern am schlechtesten ab. Obwohl der Artikel darauf hinwies, dass dabei zwei Mutterschaftsurlaube nicht berücksichtigt wurden, zog Koch-Mehrin vor Gericht und erzielte zunächst eine einstweilige Verfügung.

Diese hob das Hamburger Landgericht am vergangenen Freitag nach Studium der Unterlagen aber wieder auf - und machte damit den Weg frei für neue Enthüllungen. Unter dem Artikel «Wie fleißig ist Silvana Koch-Mehrin?» lieferte die FAZ prompt weitere Details. Demnach erzielte Koch-Mehrin nach eigenen Erklärungen an die Parlamentsverwaltung zwischen 2005 und 2008 für «Beiträge und Vorträge» Nebeneinkünfte von 81.400 Euro. Auf ihrer Internet-Seite sind aber nur die Nebeneinkünfte für 2008 vermerkt - 14.000 Euro.

Werner Langen (CDU) kritisiert Ausnahme

Auf der offiziellen Webseite des Europaparlaments war noch Anfang Mai für Koch-Mehrin eine Präsenzquote von 41 Prozent angegeben. Diese wurde mittlerweile erhöht - auf 62 Prozent. Auf Druck der FDP-Politikerin habe die Verwaltung in ihrem Fall eine Ausnahme gemacht und Mutterschutzzeiten in die Präsenzquote einberechnet, erläuterte der CDU-Politiker Werner Langen. Bei anderen Abgeordneten, die wegen Schwangerschaft vorübergehend abwesend waren, sei dies nicht der Fall. Dennoch komme etwa die Vorsitzende des Industrieausschusses, Angela Niebler (CSU), trotz eines Mutterschaftsurlaubs auf eine Anwesenheitsquote von 84 Prozent.

Die vom Europaparlament weiterhin veröffentlichte Präsenzquote von 62 Prozent bei Koch-Mehrin nimmt Blogger David Schraven zum Anlass, weiter den Finger in die Wunde zu legen: "Die eidesstattliche Erklärung liegt im krassen Widerspruch zu den offiziellen Angaben des EU-Parlamentes", schreibt er in einem neuen Text auf ruhrbarone.de. So hatte Koch-Mehrin unter Eid vor Gericht erklärt, dass ihre Anwesenheit bei 75 Prozent gelegen habe.

Blogger David Schraven hakt weiter nach

Schraven erklärt weiterhin, dass Koch-Mehrin ihren Standpunkt zu dem Thema mehrfach verändert habe. "Über ihre Anwälte wurde nicht mehr davon gesprochen, sie sei in 75 Prozent der Fälle als anwesend registriert worden. Stattdessen heißt es, sie sei schlicht da gewesen. Dies würde aus ihren Abstimmungen erkennbar. Denn Koch-Mehrin habe abgestimmt, ohne eingetragen gewesen zu sein. Und wenn man diese nichtregistrierten zu den registrierten Anwesenheiten addiere, dann komme man auf 75 Prozent Anwesenheit." Deshalb kommt der Blogger zu dem Schluss, dass das Brett für Koch-Mehrin immer dünner werde.

Koch-Mehrin wehrt sich vehement gegen die Vorwürfe zu der Präsenzquote. Diese seien «infame Unterstellungen», sagte sie im NDR-Magazin «Zapp». Im ZDF-Morgenmagazin ging sie auf die Kritik nicht näher ein. Alle Daten über ihre Tätigkeit im Parlament seien auf ihrer Web-Seite zu finden. In zwei «eidesstattlichen Versicherungen» für das Hamburger Landgericht beziffert sie selbst ihre Anwesenheitsquote auf 75 Prozent.

Vorwurf: vier von fünf Sitzungen geschwänzt

Für Langen, der die FDP-Frau in mehreren Pressemitteilungen scharf angriff, sind diese Versicherungen schlicht falsch. Koch-Mehrin glänze nicht nur bei Plenarsitzungen oft durch Abwesenheit, sondern vor allen in den Ausschüssen, wo die meiste Arbeit erledigt werde. Im Haushaltsausschuss habe sie vier von fünf Sitzungen geschwänzt, im Haushaltskontrollausschuss sogar neun von zehn. In fünf Jahren habe sie zudem nicht einen Bericht erfasst. Langen hat die Parlamentsverwaltung nun um Aufklärung über die Korrektur der Anwesenheitsliste gebeten.

Kurz vor der Europawahl wächst in der FDP offensichtlich die Nervosität angesichts der Vorwürfe gegen die Spitzenkandidatin. So beschwerte sich nach Informationen der «Süddeutschen Zeitung» FDP-Generalsekretär Dirk Niebel beim Intendanten des Südwestrundfunks (SWR), Peter Boudgoust. In einem Brief warf er dem SWR-Chefreporter Thomas Leif «unkorrekte Arbeitsweise» vor. Der Grund: Leif hatte es gewagt, Koch-Mehrin in seiner Sendung «2+Leif» zur Kritik an ihrer Arbeit im Europaparlament zu befragen. Den Brief hat Blogger David Schraven vorliegen und auf der Internetseite ruhhrbaronne.de veröffentlicht. (mit Material von afp)