Berlin. Hört man sich in den Parteizentralen um in Sachen Europawahl, dann vernimmt man nur Stöhnen. "Superschwer auszurechnen" sei das, was da an Ergebnissen auf die Parteien zukommt. Zumindest kommt in den lustlosen Wahlkampf zum Ende hin noch mal ein wenig Schwung.
Er ist rastlos. Heute trat Franz Müntefering in Hamburg und Berlin auf. Morgen redet er morgens in Hamburg, mittags in Dortmund und abends - gleich zweimal - in Mönchengladbach. Im Endspurt eines bislang lauen EU-Wahlkampfs kämpft nicht nur der SPD-Chef. Alle besinnen sich darauf, dass im Wahlkampf das Wörtchen Kampf steckt und die Wähler sich immer später entscheiden; wenn sie sich überhaupt einen Ruck geben.
64,3 Millionen Bürger sind aufgerufen. In sieben Ländern finden auch Kommunalwahlen statt. Das könnte helfen, die Wahlbeteiligung - das große Rätsel - zu erhöhen. 43 Prozent waren 2004 ein Minusrekord. Dieser Wahlsonntag, stöhnen sie in allen Parteizentralen, sei `superschwer auszurechnen".
Ein Wahlkampf mit drei Gesichtern
Ein lustloser Wahlkampf geht zu Ende. So richtig begonnen hat er vor zwei Wochen. Obwohl er der größte Stimmungstest vor der Bundestagswahl ist, führten die Parteien ihn gebremst und nicht mit letztem Einsatz. Die SPD gab zehn Millionen Euro aus. Fast drei Mal so viel legt sie für die Bundestagswahl zurück.
Dieser Wahlkampf hatte drei Gesichter: die von Angela Merkel, Silvana Koch-Mehrin und Martin Schulz. Die Kanzlerin steht gar nicht zu Wahl. Schulz wurde von der SPD als EU-Kommissar vorgeschlagen. Es war der Versuch einer Personalisierung. Nach den Plakaten ist Koch-Mehrin das Gesicht der Wahl. Dementsprechend hart traf es die FDP, als die Konkurrenz Koch-Mehrin mit dem Vorwurf attackierte, sie habe oft die parlamentarischen Sitzungen "geschwänzt". Eher ins Fach "Schaukampf" gehört, dass der Spitzenkandidat der CDU, Hans-Gert Pöttering, und SPD-Mann Schulz den Streit über einen EU-Beitritt der Türkei aufwärmten.
EU-Wahlkampf ohne Europathemen
Um Europa ist es bei den EU-Wahlkämpfen selten gegangen. Schulz kann sich erinnern, wie es 2004 um die `Agenda 2010" und 1999 um den Kosovo-Krieg ging. Das Phänomen 2009 ist, dass ein zentrales Thema fehlte. Bei FDP und Grünen ist keine Gefahr in Verzug. Auch bei den Linken deutet wenig auf einen Existenzkampf hin. Die CDU hat ihre Kampagne stark auf Merkel zugeschnitten. Mal schauen, ob ihre Popularität der CDU nützt.
Für zwei Parteien ist die Wahl entscheidend, ja schicksalhaft: für CSU und SPD. Die CSU muss in Bayern so viele Stimmen gewinnen, dass sie bundesweit über fünf Prozent kommt. Machbar ist es, aber ein Selbstläufer ist es nicht mehr. Im Freistaat sind Pfingstferien. Das erschwert die Mobilisierung. Die Freien Wähler dürften der CSU Stimmen kosten.
Ärzte, Milchbauern, Arcandor-Mitarbeiter
Generell ist die Stimmung aufgeladen: Die Ärzte sind unzufrieden, die Milchbauern haben einige Kundgebungen aufgemischt. Aktuell sorgt der Existenzkampf des Arcandor-Konzerns für Unruhe. In Franken sitzt das Versandhaus "Quelle", ein großer Arbeitgeber. "Karl-Theodor, sei helle, erhalte uns die Quelle", war auf einem Transparent bei einer CSU-Kundgebung zu lesen. Da wird sich CSU-Wirtschaftsminister zu Karl-Theodor Guttenberg schon einen Reim darauf machen.
Mit 21,5 Prozent geht die SPD ins Rennen. Das war 2004. War da was? Es war das Agenda-Jahr, und bei der Europawahl wurde dem Reformkanzler ein Denkzettel verpasst. 1999 hatte die SPD 30,7 Prozent erzielt. Daran sollte sie anknüpfen. Ihr Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier braucht dringend ein Erfolgserlebnis, um eine Aufholjagd bis zur Bundestagswahl realistischer erscheinen zu lassen. Die SPD geht davon aus, dass die Union ihr Ergebnis von 2004 (44,5 Prozent) nicht wiederholen kann und der Abstand zwischen den Volksparteien schmilzt. Keck erklärte Müntefering, man solle die Vasen unterm Fernseher wegschieben, weil der schwarze Verluste-Balken unten aus dem Bildschirm rausschlagen werde. Was noch zu beweisen wäre.