Essen. Mit dem Rachefeldzug gegen die SPD hat der Linken-Chef die linke Mitte entscheidend geschwächt. Die Marginalisierung der Sozialdemokratie könnte der ideologisch beweglichen Merkel-CDU für lange Zeit die Macht sichern. Lafontaines Wirken war ein Nullsummenspiel - am Ende wohl noch weniger.

Mag sein, dass die „Zeit” Angela Merkel zuviel Ehre erweist, wenn sie ihr eine Art Masterplan unterstellt. Aber interessant war es schon, was der stellvertretende Chefredakteur Bernd Ulrich jüngst schrieb. Die Kanzlerin wolle die durchmodernisierte und von konservativem Gedankengut weitgehend entkleidete CDU dauerhaft in der Mitte der Gesellschaft positionieren und damit für lange Zeit an der Macht halten, so seine Analyse. Da man bei der Parteichefin auch in Zukunft geringe Prinzipienfestigkeit und eine gewisse Durchtriebenheit voraussetzen darf, kann das durchaus funktionieren. Wenn der Zeitgeist wie derzeit Richtung links marschiert, geht die auf flexibel getrimmte CDU einfach mit. Und soll es, wie in den Jahren vor 2005, mal wieder in die umgekehrte Richtung gehen - bitteschön, auch das ist für die Christlich-Demokratische Union gar kein Problem.

Zu verdanken hat die CDU ihre strategisch so günstige Position aber nicht nur ihrer eigenen inhaltlichen Beliebigkeit, sondern auch einem unfreiwilligen Helfer: Oskar Lafontaine. Der Linken-Chef hat die SPD mit seinem Rachefeldzug so weit marginalisiert, dass eine Rückkehr an die Macht für die gedemütigte Partei für lange Zeit ausgeschlossen erscheint. Vom rein Handwerklichen her war das eine politisch-polemische Meisterleistung. Strategisch war es aber dämlich. „Lafontaine hat die linke Mitte in Deutschland beschädigt aus niederen Motiven”, bemerkte der scheidende SPD-Vorsitzende Franz Müntefering jüngst in einem nachdenklichen Interview ebenso nüchtern wie zutreffend. Die SPD habe sich dagegen „schwer wehren” können, so Müntefering resigniert.

Die SPD kann den Populismus der Linken nicht kontern

Da ist was dran. Die SPD ist bei allem Willen zum gelegentlichen Draufhauen und Polemisieren – man denke an Gabriels Anti-Atomfeldzug – im Allgemeinen doch zu anständig, um mit Populismus aus der untersten Schublade zu punkten. Deshalb konnte sie den Traumtänzereien der Linken nicht beitreten, obwohl das Teile der ebenfalls manchmal traumtänzerischen SPD-Basis gerne gesehen hätten.Die Sozialdemokratie konnte die linke Kampagne aber auch nicht auskontern. Mit schlechtem Gewissen und der bösen Ahnung, der Gegner könnte irgendwie (oder gar völlig) recht haben, lässt sich nicht gut kämpfen.

Gerhard Schröder hatte zwar 2005 die grandiose Frechheit, einen Bundestagswahlkampf gegen seine eigene Sozialpolitik zu machen und konnte seine Kanzlerschaft so beinahe noch einmal retten. Aber diese Nummer war nicht beliebig wiederholbar. Schon gar nicht für Leute wie Müntefering und Frank-Walter Steinmeier, die zwar sehr schüchtern, aber immerhin noch hörbar ihre als richtig erkannte Agenda-Politik verteidigten – obwohl sie wussten, dass sie damit große Teile der SPD-Klientel verärgern.

Die Kraft, einmal richtig auszuholen und die zarte Abkehr vom Hängematten-Sozialstaat durchzudeklinieren, mit Sinn zu füllen und selbstbewusst zu rechtfertigen, hatte die SPD im Grunde nie. Deshalb war sie für den begnadeten Polemiker Lafontaine eine so leichte Beute. Die Sozialdemokratie schleicht durchs politische Leben, gebeugt von ihren eigenen Selbstzweifeln. Derart angeschlagen, war und ist sie einfach kein Gegner für einen selbstgewiss auftrumpfenden Lafontaine. Schon eine halbwegs intakte SPD hätte es gegen einen solchen Sozial-Berserker schwer.

Sozial-Berserker und tragische Figur

Nur: Lafontaine hat in seiner Wut eines übersehen: Die Zertrümmerung der SPD durch die Aufhetzung der sozialdemokratischen Klientel war das eine. Mitgelitten hat aber auch die Regierungsfähigkeit des gesamten linken Lagers. Es ist fast tragisch: Lafontaine ist Initiator eines Nullsummenspiels, und am Ende ist es wahrscheinlich sogar weniger als das. Er hat die SPD schwach geredet und seine neue Partei im gleichen Maße stark, aber diese neue Koexistenz schafft für sich selbst – abgesehen von ostdeutschen Landtagen und Abgeordnetenhäusern – praktisch keine machtpolitische Option.

Im Gegenteil: Eine SPD, die sich nun wie von einem Sog gezogen, ihrerseits nach links bewegt, räumt die Mitte und muss befürchten, dass Teile der Johannes-Rau- und Helmut-Schmidt-Wähler auch beim nächsten Mal zu Merkel oder Guido Westerwelle überlaufen. Diese Wähler aber sind die kritische Masse, ohne die eine Kanzlermehrheit der linken Mitte undenkbar ist.

Der auf seine Art enorm leistungsfähige Lafontaine schaffte aber noch mehr. Er trug entscheidend dazu bei, die Grünen über ihre Verortung im bundesdeutschen Parteiensystems irre zu machen. Die Grünen hängen kaum weniger eng an der SPD wie die FDP an der CDU, doch es nützt ihnen nichts. Denn um überhaupt nur in die Nähe einer Mehrheit zu kommen, braucht es jetzt und in absehbarer Zukunft die Linke. Viele Grüne – sicher nicht alle – fühlen sich aber unwohl in der babylonischen Gefangenschaft mit einer Partei, die ein unklares Verhältnis zu freiheitsfeindlichen Ideologien pflegt. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi fühlte sich jüngst in der „Frankfurter Allgemeinen” ganz ernsthaft und ohne jede Ironie zur Klarstellung genötigt, für eine Diktatur stehe seine Partei nicht mehr zur Verfügung. Dass man das extra sagen muss, ist das Schlimme. Für bürgerliche Grüne, die klar auf dem Boden der freiheitlichen Grundordnung stehen, ist eine solche Partei sicher kein Traumpartner. Das wurde auch in Thüringen deutlich, wo die Grünen nicht den Anstands-Wauwau für SPD und Linke spielen wollten.

Den Grünen wird die Luft im linken Lager zu stickig

So hat die Stärke der Linken den paradoxen Nebeneffekt, dass die Grünen im nunmehr überfüllten linken Lager nach Luft schnappen und auf Fluchtwege Richtung Mitte sinnen. Man muss das Saarland nicht überhöhen, aber dass die erste Jamaika-Koalition auf Landesebene so leicht und deutlich die Hürden der grünen Basisdemokratie nahm, ist ein klares Zeichen. Ironischerweise hängt dies nicht nur indirekt, sondern in diesem Fall sogar ganz direkt mit Lafontaine zusammen. Was sich der Saarländer dabei dachte, zwei Tage vor der entscheidenden Grünen-Sitzung seine Rückkehr in den Saarbrücker Landtag zu verkünden, bleibt sein Geheimnis.

Die Wirkung bei den Grünen war jedenfalls eindrucksvoll. Zweifler zog es gleich reihenweise nach Jamaika. Es ist offenkundig, dass die Linken unter den Grünen inzwischen die „Gefahr” einer nachhaltigen Hinwendung zur CDU spüren. Nicht zufällig führt ein gewiefter Politiker wie Jürgen Trittin, der in seiner Partei das Gras wachsen hört, zurzeit einen publizistischem Feldzug mit dem Ziel, das Saarland noch viel kleiner zu machen als es tatsächlich ist.

Nirgendwo war Lafontaines Radikalisierungskurs aber erfolgreicher als in NRW, wo die Linken jüngst richtig irre Forderungen in ihren Programmentwurf schrieben. Da gibt es die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, eine Verstaatlichung von Großbetrieben und die Abwicklung von Gefängnissen. Schulnoten werden abgeschafft, da sie nur als „Druck-, Disziplinar- und Selektionsmittel” dienen. Das Schulfach Religion wird durch Ethik ersetzt. Dafür Jürgen Rüttgers aber kaum durch Hannelore Kraft, denn mit einem solchen spinnerten Koalitionspartner an der Seite kann eine SPD-Vorsitzende wohl kaum das Ministerpräsidentenamt erringen. Auch in NRW ist die linke Option erst einmal tot.

Die SPD hat den Stolz verlernt, den Müntefering noch hat

Mag sein, dass Oskar Lafontaine selbst ahnt, was er mit seinem politischen Vernichtungsfeldzug angerichtet hat. In den letzten Monaten vor der Wahl hat er die aggressive Rhetorik gegen seine Ex-Partei immerhin deutlich gemildert. Schon wollen ihn viele Sozialdemokraten wieder in die Arme schließen, was Franz Müntefering angesichts des Trümmerhaufens SPD zu Recht "armselig" findet. Aber Stolz ist ja schon lange kein Merkmal der Sozialdemokratie mehr.

Und Lafontaine? Der räumt nun die große Bühne und entschwindet - mal wieder - nach Saarbrücken. Spielzeug kaputt, Oskar kann nach Hause.