Berlin. . Die Opposition will den Rücktritt, die SPD fordert staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, doch noch stützt die Union ihren Verteidigungsminister – allerdings mit offener Kritik: Norbert Lammert spricht von Schlampigkeit mit „erstaunlichen Ausmaß“.
„Der kleine Wählerhasser“ muss vorerst ohne ihn klarkommen. Karl-Theodor zu Guttenberg hätte das neue Buch eines „Bild“-Mitarbeiters gestern vorstellen sollen. Er ist nun mal auch als Laudator erste Wahl. „Was Politiker wirklich über Bürger denken“, so der Untertitel, bleibt der breiten Öffentlichkeit vorenthalten. Die Veranstaltung wurde abgesagt. Termingründe. Seit der Verteidigungsminister am Montagabend auf einer CDU-Wahlkampfveranstaltung den dauerhaften Verzicht auf den Doktorhut ankündigte, haben das politische Berlin und der Verteidigungsminister andere Sorgen als solche, die zwischen zwei Buchdeckel passen.
Die SPD fordert strafrechtliche Ermittlungen wegen der Plagiatsvorwürfe gegen Guttenberg. "Die Staatsanwaltschaft muss in so einem Fall ein öffentliches Interesse bejahen", sagte ihr parlamentarischer Geschäftsführer Thomas Oppermann am Mittwoch in Berlin. Guttenberg habe systematisch fremde Texte in seiner Doktorarbeit verwendet und nicht als solche gekennzeichnet. "Das ist vorsätzlicher Diebstahl und dafür gibt es keine Entschuldigung."
Unterdessen hat die Uni Bayreuth dementiert, dass Guttenberg seinen Doktortitel zu früh geführt habe. Guttenberg habe nach der bestandenen mündlichen Prüfung im Februar 2007 einen Antrag auf vorzeitiges Führen des Titels gestellt, dem stattgegeben worden sei, erklärte der Bayreuther Jura-Professor Diethelm Klippel am Mittwoch auf Nachfrage. Voraussetzung sei gewesen, dass Guttenberg einen Verlagsvertrag vorweisen konnte. Damit sei gesichert gewesen, dass die Arbeit veröffentlicht wird. Klippel sprach von einem "ganz üblichen Verfahren".
Der ehemalige Bundeswehroffizier Markus Kühbacher hatte einem Zeitungsbericht zufolge Strafanzeige gegen Guttenberg wegen Titelmissbrauchs angekündigt. Nach Kühbachers Angaben trat der Politiker im Bundestag bereits ab Mai 2007 als Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg auf, obwohl die Doktorarbeit vom Verlag Duncker und Humblot erst Anfang 2009 gedruckt worden sei.
Forderungen nach Rücktritt
Während die Union – die FDP gibt sich unbeteiligt – eine Wagenburg um ihren „Star“ baut, läuft sich die Opposition zum Sprung auf die Zinnen warm. Rücktrittsforderungen aus der Chefebene von SPD, Linken und Grünen sind ein Vorgeschmack auf das, was Guttenberg in dieser Woche im Bundestag droht: Breitseiten gegen seine Integrität als Ex-Doktortitel-Träger und Politiker.
Noch wehrt die Union ab. „Ein Minister stürzt nur, wenn die eigene Partei es will“, stellt CSU-Chef Seehofer lakonisch fest, „und die Partei will es nicht.“ Für die uneingeschränkte Solidarität – inoffiziell halten viele Unionisten das Krisenmanagement Guttenbergs für „eitel“ bis „unterirdisch“ – wird Guttenberg einen „satten Preis zahlen müssen“, prophezeit einer aus der CDU-Präsidiumsebene und denkt an „weniger Glamour und Messias-Gehabe“. Immer vorausgesetzt, dass „nichts mehr nachkommt“.
Vor allem in Guttenbergs Erklärungsversuch für das großflächige Abkupfern sehen selbst „KT“-Fans eine gehörige Schwachstelle. „Die Einleitung für eine Dissertation kann man überhaupt nicht abschreiben, nicht mal unter Drogeneinfluss“, sagt ein hoher CDU-Funktionär.
Also doch ein „Ghostwriter“, ein anonymer Zuarbeiter? Daran will man in der Union nicht glauben. „Dann wäre Karl-Theodor doch ein Leben lang erpressbar und sowieso nicht mehr zu halten.“
"Autorität eingebüßt"
Schon eher sieht man ein erstaunliches „Ausmaß der Schlampigkeit“. Bundestagspräsident Norbert Lammert, ein Unionskollege, warf das Guttenberg gestern öffentlich im WDR vor; schlechtes Krisenmanagement inklusive. Lammert muss auf Akkuratesse bedacht sein. Der Staatsanwaltschaft im bayerischen Hof ist eine Strafanzeige zugegangen, weil Guttenberg in seiner Doktorarbeit eine mehrseitige Expertise des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags eingefügt haben soll; ohne klaren Quellen-Nachweis. Wäre das so, handelte es sich laut Lammert um einen „doppelten Verstoß“ – gegen Regeln des Bundestages und Gebote wissenschaftlicher Verhaltensweisen. Der Ältestenrat des Parlaments wird sich damit am Donnerstag befassen.
Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, spricht schon heute von einem „massiven Verstoß gegen das Urheberrecht und die Wissenschaftsethik“. Der Abgeordnete aus Essen sieht in der Tatsache, dass der Minister sich von seinem Doktortitel distanziert, ein beispielloses Schuldeingeständnis. „Als Dienstherr von Bundeswehruniversitäten und Oberkommandierender tausender Untergebener hat er jede Vorbildfunktion verloren und Autorität eingebüßt“, sagte Gehring dieser Zeitung.
Rückhalt in der Bevölkerung
Die Universität Bayreuth vermutet ähnliches. Darum wird erwogen, auf den Minister als Sympathieträger und Aushängeschild der juristischen Fakultät im Internet künftig zu verzichten. Dass Guttenberg seinen Doktortitel zurückgeben will, sagte Uni-Präsident Bormann gestern, sei ohnehin ein „sehr ungewöhnlicher Einzelfall“.
In der Bevölkerung genießt der Verteidigungsminister trotz aller Vorwürfe noch großen Rückhalt. Bei einer Umfrage des Magazins "Stern" sagten 70 Prozent der Befragten, dass sich an ihrem Vertauen in Guttenberg nichts geändert habe. drei Viertel (73 Prozent) sprachen sich Ende voriger Woche für seinen Verbleib im Amt aus. Sogar die Anhänger von SPD, Grünen und der Linken waren mehrheitlich gegen einen Rücktritt.