Washington. Selbst Kritiker stellen sich hinter Präsident Selenskyj, verwahren sich gegen Neuwahlforderungen und stellen den US-Präsidenten bloß.
Die Fehde zwischen Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump schwelte seit Langem. Jetzt ist sie auf offener Bühne eskaliert.
Nachdem der ukrainische Präsident seinem amerikanischen Gegenüber vorhielt, seine Sichtweise auf den russischen Angriffskrieg vorzugsweise aus einem „Netz von Desinformationen“ aus Moskau zu rekrutieren, holzte Trump am Mittwoch zurück und verspottete in einem mit Unwahrheiten gefüllten Beitrag auf seinem Portal Truth Social den seit drei Jahren gegen Moskau ankämpfenden Ukrainer als „Diktator ohne Wahlen“.
Hintergrund: Trump fordert ganz im Sinne des russischen Aggressors Wladimir Putin, der noch nie freie Wahlen zugelassen hat und Oppositionelle reihenweise umbringen ließ, Neuwahlen in der Ukraine; was das dortige Kriegsrecht verbietet und laut Umfragen die geringste Sorge der Bevölkerung ist.
Trump verunglimpfte Selenskyj zudem als „bescheiden erfolgreichen Komiker”, der Amerika 350 Milliarden Dollar für einen Krieg aus der Tasche gezogen habe, der nie zu gewinnen gewesen sei.
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Schon die Zahl ist falsch: Nach Berechnungen des Kieler Weltwirtschaftsinstituts haben die USA in den ersten drei Kriegsjahren Hilfen von rund 120 Milliarden Dollar gewährt; weniger als Europa. Trump droht Selenskyj, er möge „besser schnell handeln“ (sprich: sich den weitgehend von Russland konzipierten Kapitulationsbedingungen unterwerfen), „sonst wird er kein Land mehr haben“.
Von wegen Selenskyjs Tage sind gezählt ...
In interessierten Kreisen dies- und jenseits des Atlantiks wird seither die Frage gestellt, ob Selenskyjs Tage gezählt seien, jetzt, wo Trump ihn quasi aus dem Amt mobben will; unter anderem mit der Behauptung, seine Zustimmungswerte lägen bei nur noch vier Prozent. Die von Trump nicht wahrgenommene oder geleugnete Realität sieht anders aus: Laut einer frischen Umfrage des „Kyiv International Institute of Sociology“, eines renommierten Meinungsforschungsinstituts, vertrauen 57 Prozent der Ukrainer Selenskyj; fünf Prozentpunkte mehr als noch im Dezember. Und mehr als Trump in den USA hinter sich bringt.
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Oleksandr Zinchenko, ein bekannter Dokumentarfilmer und Kommentator, der Selenskyj häufig angegangen ist, schrieb dazu auf Facebook: „Nach Trumps verbalem Durchfall wird Selenskyjs Zustimmungsrate morgen wieder über 90 Prozent liegen – genau wie am 24. Februar vor drei Jahren.”
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Trumps Kommentare, so ein Experte im Umfeld der ukrainischen Botschaft in Washington, haben eine „Welle der Solidarität” ausgelöst. „Wir mögen Selenskyj oder auch nicht. Wir können ihn schelten oder loben. Wir können seine Handlungen verurteilen oder sie loben. Denn er ist unser Präsident, so wie er ist“, formulierte Boris Filatov, Bürgermeister der Stadt Dnipro, der Selenskyj oft kritisiert hat, auf Facebook. „Es spielt keine Rolle, ob er schlecht ist oder nicht. Und kein lügendes Wesen, weder in Moskau noch in Washington noch sonst wo, hat das Recht, den Mund gegen ihn aufzureißen.“
„Die Ukraine braucht Kugeln, keine Stimmzettel”
Trumps Aufruf zu Neuwahlen wird bis ins oppositionelle Lager hinein als Instrument zur Chaos-Anbahnung und Spaltung des Landes angesehen. Anton Hruschetskyj, Direktor des besagten Kyiv International Institute of Sociology, sagte, seine Umfragen zeigten, dass die Mehrheit der Ukrainer gegen Wahlen während des Krieges sei. „Für die Ukrainer gibt es jetzt kein Legitimitätsproblem. Es gibt natürlich einige vereinzelte Stimmen, aber die sind eine absolute Minderheit.” Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk ergänzte: „Die Ukraine braucht Kugeln, keine Stimmzettel.”
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Dem schloss sich die prominente Militärfreiwillige Maria Berlinska an. Unter Verwendung von Schimpfwörtern schrieb sie in sozialen Medien, dass die Ukraine keine Wahlen abhalten sollte, bis sich die russischen Streitkräfte zurückziehen, die Gefangenen zurückbringen, Reparationen zahlen und die Partner im Westen Friedenstruppen entsenden. „Sie konnten uns nicht von außen brechen, also werden sie jetzt versuchen, uns von innen zu destabilisieren – durch Wahlen“, schrieb sie und ergänzte: „Putin, der noch nie in seinem Leben eine echte Wahl gewonnen hat, und Trump, der vier Jahre lang wegen seiner eigenen Wahlen vor Gericht stand – diese beiden wollen uns über faire Wahlen belehren?“
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Der Abgeordnete Jaroslaw Schelesnjak von der Oppositionspartei Holos schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Telegram, dass die Ukrainer unterschiedlicher Meinung über Selenskyj sein mögen, „aber die einzigen Menschen, die das Recht haben, seine Unterstützung zu beurteilen, sind die Bürger der Ukraine“. Wenn Ausländer Selenskyj beleidigten, „greifen sie nicht nur einen bestimmten Nachnamen an – sie beleidigen den Präsidenten der Ukraine”.