Berlin. Macht sich amerikanisches Denken auch in Deutschland breit? Und wo ist die EU in den Ukraine-Verhandlungen? Im ZDF-Talk wurde heftig gestritten.

Ein amerikanisch-russisches Treffen in Saudi-Arabien ohne die Europäer und ohne die Ukraine, um die es eigentlich geht. Die Rede des US-Vizepräsidenten James D. Vance, in der er Deutschland Vorwürfe der mangelnden Meinungsfreiheit macht und dazu rät, die Brandmauer zur AfD einzureißen: Diese beiden Ereignisse dominierten thematisch die TV-Talkrunde von Markus Lanz am Dienstag.

Bei den Studiogästen war von „bitteren Bildern“ die Rede und von der Angst, „dass unsere westliche Wertegemeinschaft nicht mehr trägt“, wie es Karin Prien, Bildungsministerin in Kiel und CDU-Bundesvorstandsmitglied formulierte. Zumindest beim Moderator und der Chefredakteurin der „taz“, Ulrike Winkelmann, fand Prien da einen Konsens. Was das Treffen in Riad anbelangte, da hatte allerdings der EU-Parlamentarier und Ex-Linkenpolitiker Fabio De Masi eine abweichende Meinung. Er ist jetzt beim „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), das sich schon seit langem für Friedensverhandlungen mit Moskau ausgesprochen hat. Er fühle sich in seinen Prognosen bestätigt, so De Masi: „Die Durchhalteparolen waren ein Selbstbetrug.“

De Masi spricht von „nicht gewinnbarem Krieg“ für die Ukraine

Jetzt stehe die Ukraine in einer schlechteren Position da als je zuvor, es lägen Hunderttausende tot in den Schützengräben und am Ende werde es wohl auf eine Neutralität hinauslaufen, „worüber man ja zuvor gar nicht sprechen durfte“. De Masi holte noch weiter aus: „Wir haben die Ukraine verraten, weil wir sie in einen nicht gewinnbaren Krieg geführt haben.“ Im Übrigen wolle Donald Trump jetzt offenbar abrüsten, nur Deutschland wolle ein Drittel des Staatshaushaltes laut Robert Habecks Vorstellung beziehungsweise bis zu 45 Prozent laut AfD-Planspielen in die Rüstung investieren, das seien doch „verrückte Zeiten“.

Für die anderen Studiogäste war das so nicht nachvollziehbar. Die Journalistin Winkelmann meinte, die Ukraine sei anfangs zu zögerlich unterstützt worden und „es hat am Ende nicht gereicht“, und Karin Prien bezeichnete Wladimir Putin als „neoimperialistischen Aggressor“ der unsere Werteordnung zerstören und andere Völker in seinem Radius „unterjochen“ wolle, mit so einem „Potentaten“ könne man nur aus der Position der Stärke heraus verhandeln.

Journalist: „Dass Beleidigungen strafbar sind, das ist überraschend für Amerikaner“

Aber mit Trump hat sich alles verändert. Auch aufs innenpolitische Klima in Deutschland wirken die USA jetzt ein. Der US-Korrespondent des „Wall Street Journals“ in Deutschland, Bojan Pancevski, hatte in einem Interview mit Vance den Eindruck gewonnen, dass der hochintelligent und kompetent sei, aber von der AfD wenig Ahnung gehabt habe. Trotzdem traf er sich mit AfD-Chefin Alice Weidel – eine schöne Wahlwerbung für die rechtspopulistische Partei.

Vance sei anders als Trump ein rechter Revolutionär und er glaube tatsächlich, dass die Meinungsfreiheit hierzulande gefährdet sei, so Pancevski. Heiß diskutiert werde in den USA gerade ein Dokumentarfilm auf dem eigentlich links-liberalen Sender CBS. Darin ist zu sehen, wie Polizisten in Deutschland frühmorgens Hausdurchsuchungen machen und wegen des Verdachts auf Beleidigungen, Hass oder Nazi-Hetze im Netz Laptops und Handys beschlagnahmen. „Dass Beleidigungen strafbar sind, das ist überraschend für Amerikaner“, bemerkte Pancevski.

Debatte über Kulturkampf und Brandmauer

Sie habe geglaubt, man habe ein „gemeinsames, liberales Grundverständnis mit den USA“, sagte Karin Prien, das sieht sie nach der Vance-Rede erschüttert, wies aber darauf hin, dass nicht alle Amerikaner auf Trump-Linie seien. Aber schwappt der US-Kulturkampf nicht schon nach Deutschland über? Am Beispiel der Brandmauer und am Trump'schen Führungsstil wollte Moderator Lanz das diskutieren lassen. Natürlich ging es da zunächst um die von CDU-Chef Friedrich Merz initiierten Abstimmungen zur Migration, bei der in einem Fall eine Mehrheit nur mit der AfD zustande kam und einige vom Fallen einer Brandmauer sprachen.

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Dass Merz keine Koalition mit der AfD eingehen werde, davon war eine Studiomehrheit wohl überzeugt. „Aber die Brandmauer hat in Österreich und Frankreich auch nicht funktioniert. Ich bin gespannt, wie lange sie in Deutschland halten wird“, meinte der US-Journalist Pancevski. Er habe mal einen ÖVP-Politiker interviewt, der ihm gesagt habe, mit 28 Prozent könne man keine Brandmauer errichten.

Die „antifaschistische“ Basis wackelt

Heftige Kritik musste sich übrigens der BSW-Politiker De Masi von Ulrike Winkelmann anhören, die mit der „taz“ ja ein linksorientiertes Blatt vertritt: Im Bundestag habe es bei der Merz-Abstimmung die Chance gegeben, einen Konsens für eine „antifaschistische Grundlage“ zu bilden, bedauerlicherweise habe das BSW da aber nicht mitgemacht und mit Union und AfD gestimmt: „Sie haben sich von der AfD das Thema diktieren lassen.“ Im Übrigen stellte Winkelmann fest, „dass der Merz da einen Tag lang den kleinen Trump gegeben hat – das war lächerlich“.

Für Markus Lanz war das das Stichwort: Neu sei doch diese Kompromisslosigkeit, auch von Merz, wenn er zum Beispiel sage, er schaue nicht nach links oder rechts, sondern nur geradeaus. Auch Merz‘ Aussagen, was er am ersten Amtstag alles „durchziehen“ wolle – Trump hatte ähnlich gesprochen und massenhaft Dekrete erlassen – löse in ihm ein Störgefühl aus, sagte Lanz. Merz müsse doch als leidenschaftlicher Parlamentarier erkennen, was in den USA gehe und was in Deutschland nicht gehe und ein „so oder gar nicht“ sei doch nicht seriös und einer Demokratie angemessen. Die CDU-Politikerin Prien sprang da ihrem Vorsitzenden zur Seite. Merz zeige Entschlossenheit und eine Führungsrolle, die etwa Kanzler Olaf Scholz in Europa habe vermissen lassen.