Berlin. Der Sender CBS begleitet deutsche Ermittler bei der Verfolgung von Hassverbrechen im Netz. Der Aufschrei ist groß. Doch warum eigentlich?
Um 6 Uhr morgens klingeln die Polizisten an einer Haustür in einer nicht genannten Stadt in Niedersachsen. Ein Mann, noch schlaftrunken, öffnet überrascht die Tür. Schnitt. Die Beamten ziehen mit beschlagnahmten Laptops und Handys wieder ab. Der Vorwurf gegen den Mann: Er soll im Internet sogenannte „Hassrede“ verbreitet haben. Die Razzia sei Teil einer groß angelegten Aktion gegen Hasskriminalität im Internet, heißt es in einer Reportage, die am Sonntag im US-Sender CBS ausgestrahlt wurde. Der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können.
Nur wenige Stunden zuvor hatte der US-Vizepräsident JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine Rede gehalten, für die die Bezeichnung „umstritten“ wie eine Verharmlosung wirkt. Donald Trumps zweiter Mann stellte nichts weniger als die amerikanisch-europäische Wertegemeinschaft in Frage. Die größte Gefahr gehe nicht von Diktaturen wie Russland oder China aus, so die bizarre These des US-Vize, sondern von der vermeintlichen Einschränkung der Meinungsfreiheit in Europa. Europa müsse vor allem Zensur bekämpfen, die unliebsame Stimmen zum Schweigen bringt, so Vance, der damit ganz auf der Linie des Trump-Flüsterers und X-Eigentümers Elon Musk liegt.
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Die CBS-Reportage mit dem Titel „Policing the internet in Germany, where hate speech, insults are a crime“ widmet sich unterschiedlichen Auffassungen zur Meinungsfreiheit in den USA und in Deutschland beziehungsweise in der Europäischen Union. Die Reportage ist nüchtern gehalten, auch wenn Reporterin Sharyn Alfonsi sich zu Beginn doch ein wenig wundert, dass laut deutschem Recht das verboten ist, was in den USA durch den ersten Verfassungszusatz geschützt wird. Konkret geht es um die Meinungsfreiheit im Netz. Wer sich in den USA verhetzend, rassistisch oder sexistisch äußert, muss dort kaum mit einer Bestrafung rechnen. Lediglich obszöne Äußerungen fallen in den Vereinigten Staaten laut Rechtsprechung nicht in jedem Fall unter die Meinungsfreiheit.
Meinungsfreiheit in Deutschland hat auch Grenzen
Alfonsi will Näheres wissen und befragt dafür drei deutsche Staatsanwälte – Svenja Meininghaus, Matthäus Fink und Frank-Michael Laue –, die sich schwerpunktmäßig mit der Verfolgung von Hassverbrechen beschäftigen. Alfonsi ist überrascht, als ihr Fink eröffnet, dass Hassverbrechen im Netz sogar härter bestraft werden können als eine Beleidigung, die dem Betroffenen in persona an den Kopf geworfen wird. Selbst das Reposten volksverhetzender Inhalte sei strafbar, erklären die Juristen der sichtlich erstaunten Journalistin. Natürlich gebe es in Deutschland Meinungsfreiheit, aber sie habe eben auch ihre Grenzen.
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Oberstaatsanwalt Laue, Leiter der niedersächsischen „Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet“ in Göttingen, zeigt der Journalistin sein Büro, das mit Akten vollgestopft ist. In einer der roten Hüllen streckt ein Zettel mit einer Abbildung von Strommasten und dem Schriftzug „Kletterpark für Flüchtlinge“. Die Absicht dahinter bedarf keiner weiteren Erläuterung. Alfonsi fragt nach, welches Urteil erging. Der Delinquent müsse 3750 Euro Strafe zahlen, erklärt Laue. „Wow!“, entfährt es der erstaunten Reporterin.
Die Reportage, in der auch die von Hasskommentaren betroffene Grünen-Politikerin Renate Künast zu Wort kommt (der Bundesgerichtshof verhandelt gerade die Revision einer Klage der Politikerin gegen den Facebook-Konzern Meta), stößt im Netz auf lebhaftes Interesse. Nicht einmal 24 Stunden nach der Veröffentlichung der Reportage bei YouTube wurde sie bereits über 4500 Mal kommentiert (Stand Dienstagvormittag). Besondere Aufmerksamkeit erhält eine kurze Passage im Film, in der sich die Staatanwälte zur Beschlagnahmung von Handys der Verdächtigen äußern. „Es ist eine Art Strafe, wenn man sein Smartphone verliert“, sagt Staatsanwalt Laue. „Es ist sogar schlimmer als die Geldstrafe, die sie zahlen müssen“. Alle drei quittieren die Aussage mit einem kurzen Lachen.
Name | James David „JD“ Vance |
Geburtsdatum | 2. August 1984 |
Amt | Vize-Präsident der USA |
Partei | Republikaner |
Familienstand | verheiratet, eine Tochter und zwei Söhne |
JD Vance reagiert auf die Reportage
Die kurze, unverfängliche Sequenz wird in den Kommentaren auf YouTube und X zur Steilvorlage für rechte Trolle. „Es ist verräterisch, wie sie kichern, wenn sie das Leben von Menschen zerstören“, heißt es in einem Post mit Bezug auf die drei Staatsanwälte – eine völlig unverhältnismäßige und aus dem Kontext gerissene Kritik. Doch in diesem Stil geht es in vielen Kommentaren weiter. Immer wieder wird darin den deutschen Strafverfolgungsbehörden vorgeworfen, die Freiheit der Rede und jede freie Meinungsäußerung einzuschränken. Ein User will nicht mehr nach Deutschland reisen, ein anderer glaubt, dass die Reportage die Kritik von Vance an den europäischen Staaten vollauf bestätige.
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Besagter Vance meldete sich nach der Ausstrahlung der Reportage sogar selbst zu Wort, bezeichnete die Verfolgung von Internet-Hassverbrechen als „orwellianisch“, ein Verweis auf George Orwells dystopischen Roman „1984“, in dem ein totalitärer Staat jeden Schritt seiner Bürger kontrolliert. Es sei kein Verbrechen, jemanden zu beleidigen“, so der Vizepräsident. Die Kriminalisierung von freier Rede werde die amerikanisch-europäischen Beziehungen stark belasten“, sagte der vom Trump-Kritiker zum Trump-Getreuen mutierte US-Vize. Die Gräben zwischen Europa und den USA, die sich gerade auftun, scheinen mit dem Amtsantritt von Donald Trump wirklich unüberwindlich geworden zu sein.