Berlin. Vor 15 Jahren erschien „Deutschland schafft sich ab“. Thilo Sarrazin trat eine bundesweite Kontroverse los. Kann die Neuauflage nachlegen?
2010 ging ein Beben durch die deutsche Politiklandschaft. Thilo Sarrazin, damals Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, veröffentlichte „Deutschland schafft sich ab“. Ein Buch, das den Untergang der Bundesrepublik prophezeite und dafür maßgeblich die Migration verantwortlich machte. Es brachte dem Verfasser den Titel eines Bestellerautors ein – und ein Parteiausschlussverfahren seiner SPD. Das ganze Land stritt darüber, ob die Thesen des Ökonomen halt- und vertretbar waren.
So steht Sarrazin zur AfD
Seitdem sind 15 Jahre vergangen, inzwischen hat Sarrazin acht weitere Bücher veröffentlicht, ebenfalls allesamt Bestseller, und ist nach zwei weiteren Verfahren tatsächlich aus der SPD geflogen. Anlässlich des Jubiläums veröffentlicht der Langenmüllerverlag das berühmteste Werk des 80-Jährigen erneut, mit dem Zusatztitel „Die Bilanz nach 15 Jahren“. Konkret bedeutet das: Rund 60 Seiten Ergänzungen und Kommentare, die in hellblauer Schrift gedruckt sind, um sich vom Originaltext abzugrenzen.
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Doch wirklich neu ist wenig an Sarrazins Ausführungen. Einst ein Tabubruch, sind seine Themen – Kritik am Euro, Begrenzung von „kulturfremder Masseneinwanderung“, die Klage über den vermeintlichen Niedergang Deutschlands – längst Thema im Bundestag. Meist vorgetragen von der in Teilen rechtsextremen AfD. Zu dieser hat Sarrazin übrigens eine klare Meinung. Beim Aufstieg der Partei handele es sich um einen „dringend nötigen Weckruf für SPD und CDU“, so richtig gemein will er sich mit der AfD aber nicht machen. Zu unklar sei es, ob die konservativen oder die rechtsextremen Kräfte in der Partei ihre weitere Entwicklung bestimmen.
Sarrazin bleibt seinen Thesen treu
Wie stark Sarrazin die AfD inspiriert hat, liegt auf der Hand. Schon 2013 gab es Kontakt zwischen Gründervater Bernd Lucke und dem damaligen SPD-Mitglied Sarrazin. Letzterer behauptet bis heute, man habe ihm angeboten, einer der Parteigründer zu werden. Nach Luckes Darstellung ging es nur um eine Gastrede beim Gründungsparteitag. So oder so, seine Thesen fanden Anklang bei den Köpfen hinter der AfD.
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Zu seinen Überlegungen steht Sarrazin bis heute, das wird auch bei der Lektüre der Neufassung schnell deutlich. Ein großer Teil der Anmerkungen besteht daraus, dass der Autor das zuvor Geschriebene noch einmal bekräftigt oder betont, wie sehr im Unrecht seine Kritiker gewesen seien. Nur in einem Punkt habe er sich „kräftig geirrt“, gesteht Sarrazin bei der Buchvorstellung an seinem 80. Geburtstag in Berlin. Das Ausmaß der Zuwanderung habe er unterschätzt.
Es gibt keine Tabus mehr, die Sarrazin brechen könnte
Dass diese begrenzt werden müsse, ist inzwischen ein Thema der Mitte geworden, doch Sarrazins Vorschläge greifen weiter. Zur Lösung der rechtlichen Problematiken der Vorschläge von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sagt Sarrazin, dass man notfalls aus der Menschenrechtskonvention austreten müsse. Kurz wittert man einen Skandal, aber ist ein solcher Vorschlag angesichts aktueller Debatten im Bundestag wirklich noch ein Tabubruch? Wohl kaum.
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Nach Verlagsangaben ist die überarbeitete Version von „Deutschland schafft sich ab“ erneut in die Bestsellerliste eingestiegen. Es scheint also weiterhin einen Markt zu geben für Sarrazins Thesen. Allerdings ist so wenig Neues an der Neuauflage, dass das gesellschaftliche Beben – wie schon bei allen Werken Sarrazins nach seinem ersten Bestseller – wohl ausbleiben wird.