Berlin/Wien/Paris/Madrid/Rom/Athen/Amsterdam. Zurückweisung an den Grenzen, ein Antrag mit Stimmen der AfD: Europa blickt nach Deutschland. So reagieren die Regierungen auf Merz.

Die von der Union um Kanzlerkandidat und CDU-Chef Friedrich Merz angestrebte Wende in der Migrationspolitik wird nicht nur in Deutschland kontrovers diskutiert. Auch im europäischen Ausland hat man die Anträge, die unter anderem durch die Stimmen der AfD beschlossen wurden, genau registriert – immerhin hätte eine konsequente Zurückweisung an der deutschen Grenze Auswirkung für die gesamte europäische Asyl- und Migrationspolitik. So fallen die Reaktionen aus.

Merz: "Von meiner Partei reicht niemand der AfD die Hand"

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    Frankreich

    Frankreich kennt sich mit robuster Asylpolitik aus, doch der umfassende Plan von CDU-Chef Merz ist auch für Paris Neuland. Nur an der 480 Kilometer langen Grenze zu Italien weist  Frankreich seit Jahren Asylbewerber zurück, anfangs wegen Terrorgefahr, später als Reaktion auf die Praxis Italiens, die über das Mittelmeer einreisenden Migranten einfach durchzuwinken. Der Europäische Gerichtshof hat das französische Vorgehen 2023 für rechtswidrig erklärt, doch gibt es weiter Berichte über Zurückweisungen. An allen anderen Grenzen hat Frankreich nach dem deutschen Vorbild am 1. November Kontrollen eingeführt, befristet für ein halbes Jahr. Zurückgewiesen werden Asylbewerber dort aber nicht.

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    Der Druck ist groß, Migration ist in Frankreich ein wichtiges Debattenthema, angeheizt durch die Rechtspopulistin Marine Le Pen. Innenminister Bruno Retailleau verspricht einen Kurswechsel in der Asylpolitik mit weiteren Maßnahmen, irreguläre Einwanderung zu verhindern. Paris hat ein gewisses Verständnis, dass Deutschland jetzt von der früheren, in Frankreich argwöhnisch beäugten „Willkommenskultur“ Deutschlands abkommt. Doch die französische Regierung pocht auf ein abgestimmtes Vorgehen in Europa. Ihr Ziel ist es, die Umsetzung der gemeinsamen EU-Asylreform zu beschleunigen. Ein deutscher Alleingang in der Asylpolitik passt nicht in das Konzept.

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    Italien

    Das von der rechtspopulistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni regierte Italien beobachtet mit großem Interesse die Zustimmung der AfD zu dem Antrag der Christdemokraten im Bundestag und die Asylwende von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. „Der Damm um die AfD ist in Deutschland eingebrochen“, titelte die Mailänder Wirtschaftszeitung „Sole 24 Ore“, „So ist in Deutschland das letzte Tabu gefallen“, titelte die katholische Tageszeitung „L´Avvenire“, Sprachrohr der italienischen Bischofskonferenz CEI, die seit jeher eine stark migrationsfreundliche Position vertritt.

    Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.
    Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. © AFP | Filippo Monteforte

    Würden aber die Merz-Pläne umgesetzt, hat gerade Italien nach Meinung von Migrationsexperten gravierende Nachteile, alarmierend sei das Vorhaben, so erste Reaktionen. Die Experten befürchten, dass viele von Italien nach Deutschland eingereiste Migranten von Berlin wieder abgeschoben werden könnten. Eine restriktivere Migrationspolitik in Deutschland könnte dazu führen, dass Italien als Durchgangsstation oder Erstaufnahmeland für Migranten noch stärker belastet wird. Wenn die deutschen Asylverfahren restriktiver werden, könnte sich die Zahl der Migranten, die nach Italien einreisen und dort bleiben, statt nach Deutschland weiterzuziehen, wie bisher noch erhöhen, warnen Experten. Italien sperrt sich bisher bei Abschiebungen nach dem Dublin-Verfahren zu kooperieren.

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    Österreich

    So ganz sicher ist man sich offenkundig nicht in Österreich, was vom Merzschen Paarlauf mit der AfD zu halten ist. Denn da ist auf der einen Seite durchaus ein Faible für harte Maßnahmen. Da sind aber eben auch die geographischen Fakten und das europäische Recht, auf das sich die Regierung in Wien beruft. Allerdings liegt die Regierung in ihren letzten Zügen, den nächsten Kanzler könnte die rechtspopulistische FPÖ stellen: In diesem Lager sieht man Kooperationen von CDU/CSU und AfD naturgemäß positiv: Es sei „erfreulich, dass jetzt auch die deutsche CDU zentrale FPÖ-Forderungen übernommen hat, wo wir gerade mit ihrer Schwesterpartei ÖVP Regierungsverhandlungen auch zu diesem Thema führen“, so FPÖ-Chef Herbert Kickl.

    Anders und deutlich kritischer äußert sich die amtierende Regierung. Interim-Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) sagt, er freue sich zwar, dass Deutschland in Sachen Asylpolitik beginne umzudenken. Er wendet sich aber gegen nationale Alleingänge und fordert „gemeinsame Lösungen“ in der EU. Innenminister Gerhard Karner wird deutlich: „Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden. Da gibt es keinen Spielraum“. Die Asylbewerber würden also im Niemandsland zwischen Österreich und Deutschland stranden, chaotische Zustände könnten die Folge sein.

    Gespräche über Regierungsbildung in Österreich
    Österreichs FPÖ-Chef Herbert Kickl könnte neuer Kanzler in Österreich werden. Kickl und seine Partei pflegen enge Beziehungen zur AfD, Kickl sprach beim AfD-Wahlkampfauftakt in Halle. © DPA Images | Heinz-Peter Bader

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    Polen

    Schon als Deutschland vor einigen Monaten die Grenzkontrollen auf alle Landgrenzen ausweitete, war der Ärger in Polen groß – auch wenn es bislang nicht um Zurückweisung aller Asylbewerber geht. Ministerpräsident Donald Tusk protestierte, ließ sich auch in einem Krisentelefonat mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) nicht besänftigen. Inakzeptabel sei das, ein Verstoß gegen das Schengen-Abkommen für freies Reisen innerhalb der EU. Deutschland und andere EU-Staaten sollten sich stattdessen am Schutz der EU-Außengrenzen beteiligen, so Tusk. Kein Wunder, dass die polnische Regierung nun auch kritische Fragen zu den Plänen von CDU-Chef Merz hat, ein erstes Gespräch haben beide vor einigen Wochen geführt, wie Merz berichtet.

    Doch Tusk will auch seinerseits den Kurs verschärfen: An der EU-Außengrenze zu Belarus will er – vorübergehend für einige Monate – alle Asylbewerber zurückschicken. Die EU-Kommission hat signalisiert, dass sie sich dem nicht in den Weg stellt. Denn bei Polens Vorgehen an der Außengrenze geht es darum, dass Belarus und Russland offenbar gezielt Migranten über Polen in die EU schleusen, um dort Chaos zu stiften. Bei solchen „hybriden Bedrohungen“ ist nach Brüsseler Einschätzung das Aussetzen des Asylrechts möglich. Weil Polen im ersten Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft ausübt, betont die Regierung in Warschau jetzt aber besonders die Notwendigkeit eines gemeinsamen abgestimmten Handelns der EU-Staaten – sollte eine nächste Bundesregierung tatsächlich mit umfassenden Grenzkontrollen alle Asylbewerber zurückweisen, kann sie auf Beifall aus Polen sicher nicht rechnen.

    Griechenland

    Bisher hat sich die griechische Regierung nicht offiziell zu den Plänen von Friedrich Merz geäußert. Aber hinter den Kulissen ist Besorgnis zu spüren. Schon vergangenes Jahr hatte Premier Kyriakos Mitsotakis die Verschärfung der deutschen Grenzkontrollen kritisiert. Deutschland spiele den Ball damit zurück an Länder, die an Europas Außengrenzen sitzen, so Mitsotakis.

    Wenn Deutschland seine Grenzen für Migranten schließt, hätte das für die Griechen massive Folgen. Die meisten Migranten, die nach Griechenland kommen, wollen weiter in andere EU-Länder. Vor allem Deutschland ist wegen der großzügigen Sozialleistungen ein beliebtes Ziel. Das lockt auch viele Migranten, die bereits in Griechenland Asyl erhalten haben. Sie können in Griechenland ungehindert ein Flugzeug nach Deutschland besteigen und sich dort bis zu 90 Tage aufhalten. Die meisten wollen aber für immer bleiben und beantragen deshalb in Deutschland erneut Asyl. Allein in den ersten zehn Monaten 2024 gab es 21.110 solche Anträge. Damit soll es künftig vorbei sein. Griechenland müsste diese Migranten dann zurücknehmen.

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    Niederlande

    Friedrich Merz‘ Pläne werden in den ehemals für ihre Offenheit geschätzten Niederlanden interessiert, aber empörungsfrei zur Kenntnis genommen. Seit Juli amtiert eine Vier-Parteien-Koalition, die vom Populisten Geert Wilders orchestriert wird. Der hatte seinen Wählern die „strengste Asylpolitik“ aller Zeiten versprochen.

    Zum 1. Januar stellte der Staat Zahlungen für die Unterbringung abgelehnter Asylbewerber ein, was zuvor gesellschaftlicher Konsens war, um zu verhindern, dass Betroffene obdachlos werden und Passanten belästigen. Zudem haben die Niederlande den Wunsch geäußert, die Regeln der gemeinsamen EU-Asylpolitik nicht mehr anwenden zu müssen. Eine Ausnahmeregelung würde indes eine EU-Vertragsänderung erfordern und Jahre dauern – bis dahin, das hat die Regierung in Den Haag der EU-Kommission schriftlich zugesichert, wird sie sich auch bei der Migration weiter an das Europarecht halten. So haben die Niederlande zwar im Dezember ähnlich wie Deutschland Grenzkontrollen eingeführt, um illegale Migration einzudämmen - aber Asylsuchenden wird die Einreise nicht verweigert.  Angesichts dieser Gemengelage hält sich die Regierung mit öffentlichen Bewertungen zurück.

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    Spanien

    „Die Brandmauer ist nun in Deutschland etwas rissiger geworden”, schreibt Spaniens größte Zeitung, das in Madrid erscheinende M Zeitung „El País“. Die spanischen Konkurrenzblätter beurteilen den Asyl-Rechtsschwenk des CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz ähnlich. Allerdings hält sich in der spanischen Öffentlichkeit die Empörung über diese Nachricht in Grenzen. Das liegt daran, dass im konservativen Spektrum Spaniens eine Zusammenarbeit mit Rechtspopulisten schon lange kein Tabu mehr ist.

    Sollte Merz seine Pläne umsetzten können, steigt auch der Druck auf Spanien als Land mit einer EU-Außengrenze. 2024 kamen mehr als 64.000 Migranten in Spanien an. Die wenigsten bleiben im Land, wohin sie weiterreisen, erfahren die Behörden nicht. Spanien bleibt gelassen. Innenminister Fernando Grande-Marlaska wies darauf hin, dass Kontrollen an den Binnengrenzen die Ausnahme bleiben sollten: „Die Rechte von Flüchtlingen sind einer der wichtigsten Werte für die europäischen Bürgerinnen und Bürger und die europäischen Gesellschaften.“