Berlin. Ein Fachgremium der Bundesregierung sieht die Klimaziele für 2030 ernsthaft gefährdet und macht Vorschläge, die Potenzial für Streit haben.
Die Fachleute haben einen undankbaren Job: Regelmäßig überprüft der Expertenrat für Klimafragen seinem gesetzlichen Auftrag gemäß die Klimapolitik der Bundesregierung. Und regelmäßig muss das fünfköpfige Gremium dabei Botschaften überbringen, die in der Regierung kaum jemand hören will. Das Zwei-Jahres-Gutachten, das der Rat an diesem Mittwoch veröffentlicht hat, ist da keine Ausnahme. Schon wieder muss das Gremium feststellen, dass die Einhaltung der deutschen Klimaziele ernsthaft in Gefahr ist.
Dabei bescheinigen die Expertinnen und Experten der bisherigen Regierung, dass sich in den vergangenen Jahren durchaus etwas bewegt hat beim Klimaschutz. Vor allem im Stromsektor geht es mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien voran, und ganz besonders bei der Photovoltaik. Gemeinsam mit niedrigeren Emissionen in der Industrie reichte das aus, um in den vergangenen Jahren das Gesamt-Klimaziel einzuhalten.
![Vor allem bei der Photovoltaik hat Deutschland aufgeholt. Solarenergie Solarmodule stehen in Reihen in einem Solarkraftwerk. Die Photovoltaik-Anlage wandelt Sonnenenergie in saub](https://img.sparknews.funkemedien.de/408233180/408233180_1738746053_v16_9_1200.jpeg)
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Nicht genug Wärmepumpen, nicht genug E-Autos
Nur: genug ist das nicht. Um das Ziel für 2030 zu erreichen, das 65 Prozent weniger Treibhausgasausstoß als 1990 vorsieht, müsste die Minderungsrate 1,5-mal so hoch sein wie der Trend der vergangenen 10 Jahre, heißt es im Bericht. Vor allem im Bereich Gebäude und Verkehr sei der Rückgang „unzureichend“, das Ziel für 2030 insgesamt gefährdet. Unter anderem beim Zubau von Wärmepumpen und dem Ausbau der E-Mobilität geht des demnach nicht schnell genug. Und in der Industrie haben die sinkenden Emissionen zu viel mit der schlechten wirtschaftlichen Lage zu tun.
Doch der Rat blickt nicht nur zurück, sondern vor allem auch nach vorn und malt das schwierige Umfeld aus, in dem die neue Bundesregierung Klimapolitik machen wird. Es gebe Wechselwirkungen, so der Bericht, zwischen der Klimapolitik und vielen anderen politischen Handlungsfeldern – von der Industrie- und Arbeitsmarktpolitik über die Sozialpolitik bis zur Umweltpolitik.
„Besonders offensichtlich“ sind nach Einschätzung des Rats die Zielkonflikte in der Finanzpolitik, wo klimapolitische Maßnahmen in einer angespannten Haushaltslage in Konkurrenz stehen zu Ausgaben für Verteidigung, Soziales oder Bildung. Das neue Klimaschutzprogramm, das die nächste Bundesregierung in ihrem ersten Jahr vorlegen muss, müsse diese gegenseitige Beeinflussung viel stärker berücksichtigen, fordert der Rat. So könnten unerwünschte oder schädliche Auswirkungen in anderen Politikfeldern minimiert werden, Synergien vergrößert und Umsetzbarkeit und Akzeptanz von Klimaschutz sichergestellt werden.
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Der Rat stößt die „Verzichtsdebatte“ an, die die Parteien nicht wollen
In der nüchternen Sprache des 300-seitigen Berichts verbergen sich dabei auch Analysen und Vorschläge mit großem Potenzial für politischen Streit. So beschreibt der Rat unter anderem, dass Klimapolitik bisher vor allem technische Lösungen und den Aufbau neuer Anlagen in den Blick genommen habe, um Emissionen zu senken. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, müssten aber „auch solche Maßnahmen in den Blick genommen werden, die Konsumgewohnheiten im privaten Bereich hinterfragen“ – weniger Fliegen etwa. Der Rat stößt damit eine Diskussion an, die die Parteien als „Verzichtsdebatte“ bisher lieber gemieden haben.
Und auch im Hinblick auf Wirtschaft stellt der Bericht Fragen, die politisch bislang kaum laut geäußert werden: So weisen die Experten darauf hin, dass es bei der Dekarbonisierung der Industrie eine „große Herausforderung“ sei, genug grünen Wasserstoff zur Verfügung zu stellen, um die industriellen Strukturen so zu erhalten, wie sie jetzt bestehen. Eine „wichtige Fragestellung“ sei deshalb, welche Wertschöpfungsbereiche aktiv in Deutschland „gehalten und weiterentwickelt werden sollen“ – und welche man im Rahmen des Strukturwandels nicht mehr unterstützt.
Klimaschutz soll wieder mehr Chef-Sache werden, finden die Experten
![191615_1325_191615_cover.jpg 191615_1325_191615_cover.jpg](https://img.sparknews.funkemedien.de/407478918/407478918_1732616166_v1_1_200.jpeg)
Das alles, betont der Rat, müsse verhandelt werden unter veränderten, oft schwierigen Rahmenbedingungen wie der unsicheren geopolitischen Lage. Und eben weil die Voraussetzungen für Klimaschutz nicht leichter werden und das Thema so viele Politik- und Lebensbereiche berührt, plädiert der Rat für eine „umfassende Einbettung der Klimaschutzpolitik“ in eine politische Gesamtstrategie – als „notwendige Voraussetzung“ für eine Chance, die deutschen Klimaziele doch noch zu wahren.
Mit anderen Worten: Das Thema Klimaschutz muss nach der Wahl wieder zurück in den Mittelpunkt politischen Handelns. Dafür braucht es nach Ansicht des Gremiums eine zentrale Koordination – die Wiedereinführung des Klimakabinetts, das einst die Große Koalition erfunden hatte, sei dafür eine „vielversprechende Option“. Koordinieren könne dann das Kanzleramt. Klimaschutz, finden die Experten, sollte also wieder mehr Chefsache werden.
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