Berlin. In der AfD gilt Parteichefin Weidel als unangefochten. Gestützt wird sie von ihrem Netzwerk aus jungen Rechten – und aus dem Ausland.

Irgendwann während dieser Recherche zum politischen Kosmos von Alice Weidel taucht die Ahnung auf, dass dieses Machtzentrum aus engen Verbündeten und Alliierten in der AfD gar nicht existiert. Dass ihr Netzwerk in der Partei nicht groß sein kann. Dass vor allem Alice Weidel für Alice Weidel eintritt und kämpft. Und dass doch viele in der Partei auf ihrem Ticket nach oben fahren wollen. Weidel steht im Moment unangefochten an der Spitze der Rechtsaußen-Partei. Sogar als Kanzlerkandidatin will sie antreten. 

Alice Weidels Netzwerk wird erst auf den zweiten Blick sichtbar

Weidel gilt in der AfD als redegewandt, manchmal schlägt ihr Ton ins Schnippische um. Wenn Björn Höcke die radikale Galionsfigur der Partei verkörpert, stellt Weidel eine andere – sonst wenig präsente – Seite der in weiten Teilen extrem rechten Partei dar: weiblich, smart, wirtschaftskompetent. Und doch ist sie in vielen Äußerungen nicht weniger scharf, nicht weniger hetzerisch. Im Bundestag wetterte sie gegen „Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“. 

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Wer tiefer nachforscht, dem erschließt sich neben der Solistin Weidel in der von Männern dominierten AfD aber doch ein Netz aus Verbündeten. Der erkennt eine Gruppe aus Abgeordneten, die mit Weidel an Macht in der AfD gewinnen, der sieht nicht nur Verbindungen in der Partei, sondern auch ins Ausland. „Sie knüpft ihre Netzwerke mit dem Ziel, ihre Machtbasis zu sichern, weniger um politische oder inhaltliche Interessen durchzusetzen“, sagte der Politikberater Johannes Hillje im Gespräch mit unserer Redaktion. Er beobachtet die AfD seit Jahren sehr eng. Das Bild, das aus diesem Netzwerk entsteht, ist der Kosmos von Alice Weidel: 

Die AfD-Parteibasis

Vielleicht sind der wichtigste Machtfaktor der AfD-Bundessprecherin die Anhänger der Partei in den Ortsverbänden. Selbst aktuelle und frühere AfD-Funktionäre, die sie kritisieren, erzählen, wie beliebt sie „bei den Menschen“ sei. Einer erzählt, dass er an Wahlkampfständen oder bei Besuchen in den Regionen oft gefragt werde, wann „die Alice“ mal vorbeikomme. Auch digital ziehe der „Faktor Weidel“. Sie werde geschätzt für ihre „aggressiven Reaktionen auf Regierungserklärungen des Bundeskanzlers im Bundestag“, sagt Experte Hillje, auch für ihre „scharfen, rhetorisch sehr pointierten Auftritte“. Das bringe ihr Sympathie ein – „und das können wenige andere in der AfD“.

NameAlice Elisabeth Weidel
Geburtsdatum6. Februar 1979
AmtAfD-Bundesvorsitzende
ParteiAlternative für Deutschland (AfD)
Parteimitglied seit2013
Familienstandeingetragene Lebenspartnerschaft, zwei Kinder
WohnortÜberlingen, Einsiedeln (Schweiz)

Weidel teilt sich den Sprecherposten mit Tino Chrupalla. Doch anders als er zeigt sich Weidel nicht so oft in Talkshows, auf Wahlkampfterminen, auf Empfängen. Die Parteibasis ist Weidels große Stütze – doch manche in der Partei sagen, sie pflege genau diese Säule zu wenig.  

Die Jungen AfDler aus dem Westen

Sehr lange stand vor allem eine Person im Fokus der Öffentlichkeit, wenn es um die AfD ging: der Extremist Björn Höcke. Doch hinter Höcke hat sich ein Netzwerk aus jungen Politikern in der Partei aufgebaut und etabliert, das als zunehmend mächtig gilt. Es sind AfDler um den Abgeordneten Sebastian Münzenmaier aus Rheinland-Pfalz. Zu seinem Zirkel gehören auch Politiker wie Damian Lohr und Jan Nolte, aber auch Vertreter der ostdeutschen Verbände wie René Aust und René Springer sollen dazuzählen. 

Die Gruppe unterscheidet sich in ihrer rechten Ideologie wenig von anderen Strömungen in der Partei. So wird Münzenmaiers Büroleiter dem Umfeld von „Ein Prozent“ zugerechnet, einem Verein, der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird. Vereine, Verlage, Szene-Medien und die AfD – all das gehört zu einem System, das die Szene „Mosaik-Rechte“ nennt. Ein radikales „Mosaik“, an dem auch Weidel mitarbeitet: Erst in diesen Tagen gab sie dem rechtsextremen „Compact“-Magazin ein Interview. 

Jedoch verfolgen die jungen AfDler um Münzenmaier einen anderen Stil als Höcke. Ein Ton, der nicht nur auf Härte setzt – sie gelten eher als geschmeidig, karrierebewusst, flexibel. Radikalität erscheint als Mittel zum Zweck. Das alles passt auch zum Weidel-Stil.

Weidels Netzwerk profitiert von ihr – und sie von ihm

Ihre Macht in Fraktion und Partei stützen sie darauf, dass sie mit ihrem Netzwerk Mehrheiten auf wichtigen Sitzungen und Parteitagen beschaffen können – und über wichtige Besetzungen mitentscheiden. Weidel braucht die Leute um Münzenmaier. Und Münzenmaier selbst werden Pläne nachgesagt, unter Weidel zum Generalsekretär der Partei aufzusteigen. Sie profitieren voneinander.  

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Ausgerechnet in Weidels Heimatverband Baden-Württemberg sitzen einige ihrer schärfsten Gegner. Doch auch dort wächst Weidels Macht. Der Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel, lange ihr härtester Kontrahent im Südwesten, verlässt die Partei. Aus Baden-Württemberg kommt auch Marcus Frohnmaier, wie Münzenmaier erst Anfang 30, aber schon Jahre in der AfD. „Er ist einer ihrer wichtigsten Unterstützer“, sagt AfD-Beobachter Hillje. Frohnmaier sei ein Kanal in den Landesverband Baden-Württemberg hinein. Und auch in der Jungen Alternative gut vernetzt. Den Jugendverband der AfD leitete Frohnmaier von 2015 bis 2018. 

Weidels Büroleiter steht ihr treu zur Seite

Wer mit Daniel Tapp spricht, hört einen fast schüchternen Ton in seiner Stimme. Tapp ist Büroleiter von Weidel, ihr Vertrauter. Vielleicht der einzige enge. Tapp managt nicht nur Weidels öffentliche Auftritte, er gilt zudem als ihr strategischer Berater. Den Wahlkampf für die Partei organisiert federführend Heiko Scholz aus Hessen, zudem gibt es eine Bundesprogrammkommission.

Auch hier zeigt sich die neue Macht der West-Partei in der AfD. Kernthema, das auch Weidel bedient, ist die Agitation gegen eine liberale Migrationspolitik. Zugleich will die AfD-Spitze auch Familienpolitik und Sozialpolitik in den Fokus stellen. Für die AfD-Chefin ein brisanter Spagat: Sie selbst lebt in einer lesbischen Beziehung und hat mit ihrer Partnerin eine Familie gegründet. Gleichzeitig steht sie einer Partei vor, die ein altmodisches Familienbild propagiert – und in der Mitglieder gegen queere Menschen agitieren.  

Büroleiter Tapp ist politisch auch in Österreich sozialisiert, arbeitete für Barbara Rosenkranz, Politikerin der FPÖ. Diese Verbindung ins Nachbarland ist der Schlüssel zu Weidels letzter Säule der Macht.  

Weidels Freundschaft zur FPÖ

Auf internationaler Bühne musste Weidel einen herben Rückschlag hinnehmen. Ihr Versuch, mit den französischen Rechtsradikalen um Marine Le Pen anzubandeln, scheiterte. Le Pen kritisierte die AfD scharf, nachdem Anfang 2024 ein Treffen in Potsdam mit dem neurechten Ideologen Martin Sellner und dessen Plänen zur „Remigration“ bekannt geworden sind. Ende Mai bricht Le Pens Rassemblement National auch im Europaparlament die Zusammenarbeit mit der AfD ab. 

Ihr Ziel einer Vernetzung der Rechten über Deutschland hinaus will Alice Weidel nun vor allem mit der FPÖ in Österreich voranbringen. Ihre Drähte zu Parteichef Herbert Kickl sind eng, immer wieder suchen sie gemeinsame Auftritte. AfD-Politiker berichten, wie die Partei von der „Professionalität“ der extremen Rechten in Österreich lernen und sich etwa bei Organisation und Außenwirkung der Parteitage und Wahlkämpfe einiges abschauen wolle.  

Auch das Konzept des „Volkskanzlers“, wie sich Kickl nennt, fügt sich ideologisch nahtlos in die Programmatik der AfD ein – auch wenn Weidel selbst sich noch nicht als „Volkskanzlerin“ tituliert hat. Vielleicht auch deshalb, weil ihre Chancen auf den Posten im Kanzleramt maximal gering erscheinen.