Berlin. CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz über Angela Merkel, die AfD – und wie er sich seinen Antrittsbesuch in Washington vorstellt.

Zehn Uhr morgens im Adenauerhaus: Friedrich Merz schlägt die langen Beine übereinander, nimmt einen Schluck Wasser. Der Kanzlerkandidat der Union scheint tiefenentspannt – doch im Gespräch mit dieser Redaktion und der französischen Zeitung „Ouest-France“ merkt man, dass das alles gerade nicht spurlos an ihm vorübergeht: der Tabubruch im Bundestag, die Proteste dagegen – und die Umfragen, die seitdem nicht besser geworden sind.

Herr Merz, wer soll Sie zum Kanzler wählen?

Friedrich Merz: Jetzt sind erst einmal die 60 Millionen Wählerinnen und Wähler gefragt. Im Moment ist noch knapp ein Drittel von ihnen unentschieden, bis zum Wahltag ist also noch viel Bewegung möglich. Wichtig für uns als Union ist, so stark zu werden, dass wir einen klaren Abstand haben zu möglichen Koalitionspartnern, damit wir so viel wie möglich von unserer Politik durchsetzen können. Dabei sage ich ganz klar: Ich schließe jede Koalition, jede Duldung, jede Form der Zusammenarbeit mit der AfD aus.

SPD und Grüne werfen Ihnen einen historischen Tabubruch vor, weil Sie in Kauf genommen haben, dass Ihre Vorschläge zur Migration mit den Stimmen der AfD beschlossen werden. Das könnte Koalitionen schwer machen.

Merz: Ich sehe mit großem Interesse, dass Robert Habeck ein eigenes Zehn-Punkte-Programm zur Migration vorgeschlagen hat. Die SPD lädt uns zu Gesprächen ein. Offensichtlich setzt bei den Grünen und auch bei der SPD die Erkenntnis ein, dass es nicht so bleiben kann, wie es ist. Ich bin mir sicher, dass SPD und Grüne spätestens nach dem Wahltag offener für unseren Kurs sein werden.

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Das heißt auch, Sie halten sich die Option Schwarz-Grün offen?

Merz: Ich führe keinen Koalitionswahlkampf. Das Einzige, was feststeht, ist: nicht mit der AfD.

Friedrich Merz / CDU
Friedrich Merz beim Interview mit Jochen Gaugele, Julia Emmrich und Sébastien Vannier von unserer Partnerzeitung „Ouest-France“ (v. l.) © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Hoffen Sie auf die FDP?

Merz: Ich habe mit einiger Besorgnis gesehen, wie die FDP-Fraktion am vergangenen Freitag im Bundestag bei der Abstimmung zum Zustrombegrenzungsgesetz auseinandergefallen ist. Das dürfte Auswirkungen auf die Wahlen haben.

Die vier Prozent, die die FDP gerade in den Umfragen bekommt, könnte die Union gut gebrauchen.

Merz: Vier Prozent sind vier Prozent zu viel für die FDP und vier Prozent zu wenig für die Union. Die Wählerinnen und Wähler müssen sich überlegen, ob Stimmen für die FDP am Ende verlorene Stimmen sind.

Die FDP hat einen neuen Vorstoß in der Asylpolitik gemacht: Sie will das Zustrombegrenzungsgesetz der Union mit der europäischen Asylreform verknüpfen – und noch vor der Wahl zur Abstimmung bringen. Wie reagieren Sie?

Merz: Unser Zustrombegrenzungsgesetz ist in der letzten Woche abgelehnt worden. Der Vorstoß der FDP richtet sich deshalb in erster Linie an SPD und Grüne. Die Rest-Ampel muss jetzt eine Antwort darauf geben. Die Union wird sich vernünftigen Vorschlägen nicht verweigern. Man darf aber nicht vergessen: Die europäische Asylreform muss erst nach einer langen Übergangsphase Mitte 2026 von allen EU-Staaten angewandt werden. Selbst wenn es jetzt zu einer Abstimmung im Bundestag kommt, wird das in den nächsten 16 Monaten zu keinen substanziellen Veränderungen führen. Wenn die SPD und Grüne den Eindruck erwecken, die europäische Asylreform könne vorgezogen werden, dann führt sie die Öffentlichkeit in die Irre.

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Verzichten Sie auf nationale Maßnahmen, wenn eine europäische Lösung mit Asylverfahren an den Außengrenzen und einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge funktioniert?

Merz: Ich würde Europa immer den Vorzug geben. Aber Europa muss dann auch liefern. In den letzten Jahren ist in Europa sehr viel verhandelt und leider aufgrund der Blockadehaltung der Ampel wenig erreicht worden. Die Mehrzahl der europäischen Staaten wartet darauf, dass Berlin seinen Kurs in der Migrationspolitik ändert, um endlich wichtige Schritte gehen zu können.

Keine Form der Zusammenarbeit mit der AfD – wie lange hält dieses Versprechen? Ihr Wort, im Bundestag keine Mehrheiten mit der AfD zu suchen, hatte nur wenige Wochen Bestand.

Merz: Falsch, ich habe Mehrheiten mit FDP, Grünen und SPD gesucht – leider haben SPD und Grüne Nein gesagt. Also keine Sorge: Unser Versprechen hält.

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Meine schwerste Entscheidung

Über die Bundestagswahl 2029 hinaus?

Merz: Das Versprechen gilt auf Dauer. Wir arbeiten nicht mit einer Partei zusammen, die rauswill aus der Nato, rauswill aus dem Euro und rauswill aus der EU. Wir haben dazu eine klare Beschlusslage. Und ich stehe dafür persönlich.

Aber Sie sind weiter dazu bereit, im Bundestag gemeinsam mit der AfD zu stimmen?

Merz: Wir arbeiten mit der AfD nicht zusammen. Die aktuelle Lage im Bundestag ist allein dadurch entstanden, dass die Regierung keine Mehrheit mehr im Parlament hat. Wir haben als CDU/CSU unseren eigenen Antrag eingebracht. Die Frage nach zufälligen Mehrheiten wird sich nach der Wahl nicht mehr stellen. Dann gibt es – hoffentlich – wieder eine Regierungsmehrheit.

Im ganzen Land demonstrieren jetzt Hunderttausende gegen Sie. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

Merz: Ich nehme das ernst. Aber als letzte verbliebene Volkspartei lassen wir uns durch Demonstranten nicht von unserem Kurs abbringen. Die große Mehrheit der Deutschen hält unseren Kurs für richtig.

Die Umfragen sind für Sie nicht besser geworden. Bei Forsa ist die Union mit 28 Prozent sogar auf den niedrigsten Wert seit Oktober 2023 gefallen.

Merz: Wir bleiben gelassen, bleiben bei unseren Themen und kämpfen weiter um jede Stimme. Andere Institute sehen uns stabil bei 30 Prozent und darüber.

Angela Merkel ist Ihnen nach dem AfD-Manöver öffentlich in die Parade gefahren. Hatten Sie danach Kontakt mit der Altkanzlerin?

Merz: Nein. Wir haben im letzten Jahr ihren 70. Geburtstag ausgerichtet. Ihre Wortmeldung habe ich zur Kenntnis genommen.

Hätten die Regeln, die Ihnen vorschweben, die Terrortaten von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg denn verhindert?

Merz: Wenn wir nach der Flüchtlingswelle ab 2015 konsequenter gewesen wären, hätten sich diese Taten verhindern lassen. Jetzt müssen wir konsequent das umsetzen, was wir vorschlagen. Wir müssen das Risiko minimieren. Es geht um die Sicherheit unserer Bevölkerung. Und trotzdem gibt es natürlich niemals eine Garantie dafür, dass es nicht wieder einzelne Anschläge geben wird.

Friedrich Merz / CDU
„Es gibt natürlich niemals eine Garantie dafür, dass es nicht wieder einzelne Anschläge geben wird“, sagt Friedrich Merz. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Es gibt Zweifel an der Rechtmäßigkeit Ihrer Pläne, die deutschen Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und Schutzsuchende zurückzuweisen. Tatsächlich haben es die zuständigen Gerichte bisher untersagt, dass nationales Recht dem europäischen vorgezogen wird.

Merz: Ich habe dazu eine ganz klare Meinung, und sie wird von etlichen Fachleuten und auch ehemaligen deutschen Verfassungsrichtern geteilt: Unsere Vorschläge sind rechtlich zulässig, politisch notwendig und praktisch umsetzbar.

Wenn Sie Flüchtlinge an der Grenze abweisen, müssen die Nachbarstaaten sie wieder aufnehmen. Haben Sie geklärt, ob Paris, Wien oder Warschau dazu bereit sind?

Merz: Der französische Präsident Emmanuel Macron kennt meine Meinung dazu. Mein Vorschlag ist genau das, was Frankreich schon seit vielen Jahren gegenüber Spanien und Italien praktiziert.

Haben Sie mal überlegt, was dauerhafte Grenzkontrollen für Berufspendler bedeuten?

Merz: Wir haben immer wieder Grenzkontrollen gemacht. Das hat zu kleineren Behinderungen geführt. Wir fordern ja keine Grenzschließung, sondern lediglich Kontrollen. Das funktioniert in vielen anderen europäischen Ländern auch.

Wenn Sie Kanzler werden – was sagen Sie Donald Trump bei Ihrem Antrittsbesuch im Weißen Haus?

Merz: Bevor ich Donald Trump sehe, möchte ich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union treffen. Europa muss eine klare, gemeinsame Position haben. In der ersten Regierungszeit von Trump gab es eine große Geschlossenheit gegenüber den USA, gerade auch in der Handelspolitik. Wir werden nicht akzeptieren, dass aus politischen Gründen Zölle erhoben werden. Wenn Trump das tut, muss er eine Antwort aus Europa bekommen. Ich möchte keinen Handelskrieg, aber wir werden uns im Zweifelsfall mit eigenen Zöllen wehren. Wir müssen auf Augenhöhe mit Trump reden. Europa ist stark, das wird der US-Präsident erkennen.

Fragen Sie Trump, warum sein Gefolgsmann Elon Musk alles tut, um die extreme Rechte in Europa zu stärken?

Merz: Ich habe auch dazu eine klare Meinung – und ich werde sie ihm mitteilen: Ich halte nichts davon, dass jemand im Umfeld von Trump eine so unmittelbare Beeinflussung der Wahlen in Deutschland versucht.

Der erste Besuch wird eine Konfrontation?

Merz: Es wird eine offene Aussprache.

Muss Deutschland in die Bresche springen, wenn Trump die Unterstützung für die Ukraine zurückfährt?

Merz: Ich hoffe, dass wir erst gar nicht in eine solche Lage kommen. Wir müssen die US-Regierung davon überzeugen, dass die Hilfe für die Ukraine in ihrem Interesse ist. Sollte das nicht gelingen, müssen wir nach einer europäischen Lösung suchen.

Welche Rolle kann die Bundeswehr spielen, um eine Friedenslösung abzusichern?

Merz: Deutschland darf nicht Kriegspartei werden. Über alle anderen Fragen muss man reden, wenn sie sich stellen. Das wird allerdings noch länger dauern.

Olaf Scholz greift schon mal zum Hörer und telefoniert mit Putin. Haben Sie das auch vor?

Merz: Scholz hat offensichtlich im letzten Jahr mit Putin telefoniert und dieses Telefonat gut inszeniert öffentlich gemacht. Die Antwort des russischen Präsidenten war eine Verschärfung der Bombardements auf Kiew. Wenn ich mit Putin telefoniere, dann nur, wenn wir eine Chance haben, einer Friedenslösung näher zu kommen.

Wie kann der Westen den Kreml davon abhalten, weitere Länder zu überfallen?

Merz: Abschreckung bleibt die Kernaufgabe der Nato. Wir brauchen dafür eine deutliche Steigerung der Effizienz: Wir müssen unsere Waffensysteme vereinfachen, sie sind im Moment zu kompliziert und zu teuer. Wir müssen in Europa möglichst einheitliche Systeme schaffen, es gibt viel zu viele verschiedene Typen, wir haben zum Beispiel 17 verschiedene Kampfpanzer in Europa, die USA haben zwei. Und wir müssen drittens gemeinsam größere Stückzahlen bestellen und produzieren. Dazu braucht es aber auch eine deutliche Steigerung der finanziellen Mittel.

Deutlich – was heißt das?

Merz: Wir müssen erst einmal das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen, davon liegen wir noch 30 bis 40 Milliarden Euro pro Jahr entfernt. Ich gehe aber davon aus, dass das Ziel in Zukunft noch höher angesetzt werden muss.  

Sie treffen sich am Sonntag zum ersten TV-Duell mit Olaf Scholz. Der Mann löst bei Ihnen Emotionen aus wie kaum ein anderer. Trainieren Sie, wie man ruhig Blut behält?

Merz: Ruhig Blut behalten – das muss ich nicht trainieren. Ich bereite mich vor allem inhaltlich auf die Debatte vor – und sehe ihr ansonsten mit Freude entgegen.

Sie hätten lieber mit AfD-Chefin Alice Weidel diskutiert. Warum?

Merz: Aktuell hat Frau Weidel in Umfragen deutlich bessere Werte als Olaf Scholz. Doch sie wird nie Bundeskanzlerin werden. Trotzdem begrüße ich es jetzt, dass wir sie in einer der kommenden Fernsehrunden dabeihaben werden. Das gibt Gelegenheit, die Unterschiede deutlich zu machen, sie inhaltlich zu stellen.