Berlin. Bei der FDP liegen nach der Abstimmung mit der AfD die Nerven blank. Ein neuer Kurs soll die Partei retten. Kommt die Wende zu spät?

Die „offene Feldschlacht“ um das Überleben der FDP hat begonnen. Seit Wochen liegt die frühere Ampel-Partei in den Umfragen unter fünf Prozent. Die gemeinsame Migrationsabstimmung der FDP mit Union und AfD reißt Gräben in den eigenen Reihen auf – Abweichler geraten unter Beschuss. Und Parteichef Christian Lindner zieht Brandmauern nach links hoch. Inmitten dieser chaotischen Lage bemüht sich Fraktionschef Christian Dürr, der FDP vor ihrem Parteitag am Sonntag als Stimme der Vernunft im Streit um die Migrationspolitik Gehör zu verschaffen.

„Die Menschen wollen, dass die Parteien sich zusammenreißen und Ordnung in die Migration bringen“, sagte Dürr dieser Redaktion. „Das ist unser Job!“ Jetzt sei Zeit zum Handeln. „Geredet haben wir genug.“

Nach AfD-Eklat um Migrationsgesetz sieht sich die FDP als „Brückenbauer“

Wahlkampf FDP
FDP-Chef Christian Lindner folgte Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) bei seinem AfD-Manöver. In den eigenen Reihen stieß das auf Ablehnung. © DPA Images | Martin Schutt

Der FDP-Politiker forderte Union, SPD und Grüne in einem Brief auf, noch vor der Bundestagswahl schärfere Migrationsgesetze zu beschließen. Das im Bundestag gescheiterte „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union will Dürr mit der EU-Asylreform von SPD und Grünen verquicken, um eine Einigung zu erreichen. „Die Freien Demokraten verstehen sich als Brückenbauer, damit in der Migrationspolitik endlich etwas gelingt“, heißt es in Dürrs Schreiben.

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Als Unionsfraktionschef Friedrich Merz am Freitag in dramatischen Stunden mit SPD und Grünen um deren Unterstützung für sein umstrittenes Migrationsgesetz rang, war es ebenfalls Dürr, der um einen Kompromiss warb. Ohne Erfolg. Union und FDP stimmten daraufhin trotz massiver Kritik und eindringlicher Warnungen mit der AfD – und bekamen dennoch keine Mehrheit. Auch, weil insgesamt 23 FDP-Abgeordnete ihre Stimme nicht für das Gesetz abgaben.

In der FDP liegen die Nerven blank: Kubicki „fassungslos“

Danach wurde es laut in der Partei. Die Nerven lagen blank. Die FDP hatte sich an dem Tabubruch beteiligt, den SPD und Grüne vor allem Merz vorwarfen, und dennoch nichts gewonnen. In einem internen Chat gab es offene Kritik an den Abgeordneten, die sich dem Manöver von Merz, Lindner und der AfD gezielt verweigert hatten. Kurz vor der Wahl kratzt das Ergebnis an der Autorität der Parteispitze. Eine drohende Wahlklatsche steigert die Nervosität. „Ich räume schon mal mein Büro auf“, soll Parteivizechef Wolfgang Kubicki in dem Chat an die Adresse der „Abweichler“ geschimpft haben. Er sei „fassungslos“, ließ Kubicki dann noch über die „Bild“ verlauten.

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Meine schwerste Entscheidung

Mehrere Liberale, die nicht mit CDU und AfD abstimmten, sehen sich nach Information unserer Redaktion nun Druck in der eigenen Partei ausgesetzt. Es wird offenbar persönlich, verbal scharf. Die „Abweichler“ sind im Visier. Dort reagieren manche mit Unverständnis. Schließlich hätten nur sie den historischen Fehler verhindert, dass erstmals ein Gesetz im Bundestag mithilfe der AfD verabschiedet worden wäre. Strategisch steht die Partei nun vor einer Herausforderung: Die FDP droht, keine drei Wochen vor der Wahl erdrückt zu werden – durch die Polarisierung zwischen Union, AfD, Grünen und SPD.

Der FDP droht bei Bundestagswahl Sturz in die Bedeutungslosigkeit

Für die FDP könnte es so laufen: von 11,5 Prozent bei der letzten Wahl in die Ampel-Regierung – und über den Koalitionsbruch in die außerparlamentarische Opposition. Und somit in die Bedeutungslosigkeit. Dem am Dienstag veröffentlichten „Trendbarometer“ des Instituts Forsa zufolge liegt die FDP weiterhin bei vier Prozent. Das würde nicht für einen Wiedereinzug in den Bundestag reichen.

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Mit „Vernunft“ müssten die Liberalen nun in den Wahlkampf ziehen, heißt es bei manchen in der FDP. Einen „Kurs der Mitte“ wählen. Zwar mobilisiere die FDP ihre Stammklientel, wenn sie gemeinsam mit Union und AfD die Migrationsregeln verschärfen wolle. Doch wenn es nur noch um Gut und Böse geht, ist wenig Platz in der Mitte.

Die FDP steht unter Druck: Ausgleichender Kurs gefordert

Den Brief von Fraktionschef Dürr halten viele in der Partei offenbar für einen ersten Schritt in die richtige Richtung – und hin zu mehr Aufmerksamkeit für die Liberalen. „Der Kurs der FDP, sich um Brücken zwischen allen demokratischen Parteien zugunsten einer anderen Migrationspolitik zu bemühen, ist richtig“, sagt die FDP-Rechtspolitikerin Katrin Helling-Plahr dieser Redaktion. „Dieser Kurs wird von der Partei geschlossen getragen.“

Doch damit die FDP sich erfolgreich als „Brückenbauer“ inszenieren kann, müssen Union, SPD und Grüne die Brücke betreten. „Jetzt sind die anderen Parteien gefragt: Wollen sie aus Wahlkampfgründen die Polarisierung weiter anheizen oder zeigen, dass Demokraten Probleme lösen“, forderte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann im Gespräch mit dieser Redaktion.

„Alles lässt sich ändern“: Auch noch das Schicksal der FDP?

Dürr macht deutlich, wen er in erster Linie gefordert sieht: Insbesondere SPD und Grüne müssten in der Migrationspolitik die Maßnahmen mittragen, „die sich die breite Mehrheit der Bevölkerung wünscht“. Da ist es nicht unbedingt hilfreich, dass Lindner sich gleichzeitig maximal von den Grünen distanziert. Auf dem Parteitag am Wochenende will der Parteichef „jede Koalition mit den Grünen“ durch einen offiziellen Beschluss für unmöglich erklären.

„Kein ernsthaftes Gesprächsangebot“ sei in Dürrs Schreiben zu erkennen, teilen die Grünen sodann mit. „Vielmehr scheint es der Versuch zu sein, das Desaster von Freitag zu überdecken.“ Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich äußerte sich in einem Antwortbrief ablehnend.

„Alles lässt sich ändern“, lautet der zentrale Wahlslogan der Partei. Auch noch das Schicksal der FDP? Viele Möglichkeiten gibt es nicht mehr. Zu den großen TV-Duellen im Fernsehen ist die FDP nicht eingeladen – zu unbedeutend. Der Parteitag am Sonntag in Potsdam gilt als eine der wenigen Chancen, noch einen entscheidenden Schub zu bekommen.