Saabrücken. BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht über ihre Haltung zu AfD-Chefin Alice Weidel – und die Wahlempfehlung von Putins Außenminister.
Es ist keine Berlin-Woche für Sahra Wagenknecht, daher findet das Interview in einem Café am Schlossplatz in Saarbrücken statt. Dass ihre junge Partei ums Überleben kämpft, will sich die BSW-Kanzlerkandidatin in dem Gespräch nicht anmerken lassen.
Frau Wagenknecht, ist die Luft raus beim BSW?
Sahra Wagenknecht: Man hat auf unserem Parteitag gespürt, wie viel Begeisterung da ist. Werte um die fünf Prozent sind für eine Partei, die es gerade ein Jahr gibt, durchaus beachtlich. Wir haben noch keine Stammwähler. Daher ist unser Potential bei den noch Unentschlossenen besonders groß.
Sie sind in den Umfragen abgestürzt. Fehlt Ihnen die Ampel als Feindbild?
Die Ampel hat ein Desaster hinterlassen. Deutschland droht die Deindustrialisierung, die Preise steigen schneller als Löhne und Renten, die Kriegsgefahr wächst. Auch die Union ist dafür verantwortlich. Wir sollten nach der Wahl nicht mit den Parteien weitermachen, die uns in die Misere hineingeführt haben. Die Menschen wünschen sich Veränderung. Wir werden ein gutes Ergebnis bekommen.
Heißt?
Vor uns hat es noch keine Partei geschafft, im ersten Anlauf in den Bundestag zu kommen. Wir werden sehr wahrscheinlich die erste sein. Das wäre ein großer Erfolg!
Haben Sie zu hoch gegriffen, als Sie sich zur Kanzlerkandidatin ausrufen ließen?
Die Chancen von Herrn Habeck und Frau Weidel aufs Kanzleramt sind nicht größer als meine. Wir bieten eine Alternative zu einem Kandidatenquartett, das viele Menschen nicht überzeugt. Die Kanzlerkandidatenschwemme liegt am Niedergang der Volksparteien.
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Die Union führt die Umfragen an, auf Platz zwei liegt die AfD. Wen hätten Sie lieber im Kanzleramt: Alice Weidel oder Friedrich Merz?
Keinen. Merz könnte Deutschland mit der Lieferung von Taurus in einen Krieg mit Russland führen. Weidel will jährlich 200 Milliarden Euro, fast die Hälfte des Bundesetats, in die Aufrüstung pumpen. Viele wählen die AfD für Dinge, die wir auch vertreten: Frieden für die Ukraine, Stopp der irregulären Migration, Aufarbeitung der Corona-Zeit. Aber die AfD hat ein Programm, unter dem gerade ihre Wähler, die ja überwiegend nicht zu den Privilegierten gehören, leiden würden.
Nach einer Brandmauer zur AfD klingt das nicht.
Die pauschale Ausgrenzung hat die AfD immer stärker gemacht. Natürlich würde ich einem Mann wie Björn Höcke, den die AfD selbst wegen seiner Nähe zum Nationalsozialismus vor wenigen Jahren noch aus der Partei ausschließen wollte, nicht zu Macht verhelfen. Aber wir sollten uns sachlich und nicht hysterisch mit der AfD auseinandersetzen.
AfD und BSW können im neuen Bundestag wichtige Entscheidungen blockieren, wenn sie zusammen mindestens ein Drittel der Sitze bekommen. Was machen Sie mit einer Sperrminorität?
Wir entscheiden danach, ob ein Antrag richtig oder falsch ist – und nicht, von wem er gestellt wird. Man sollte aber unsere Gemeinsamkeiten nicht überschätzen. Einer Reform der Schuldenbremse, die endlich Investitionen in unsere maroden Straßen, Brücken und Schienen ermöglicht, würden wir zustimmen – die AfD nicht. Umgekehrt werden wir nicht die Hand für irrwitzige Aufrüstungsprogramme heben – die AfD schon. Einen Corona-Untersuchungsausschuss könnten wir gemeinsam durchsetzen.
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Sie werden Björn Höcke nicht zur Macht verhelfen, das haben Sie eben zugesichert. Gilt das auch für Alice Weidel?
Alice Weidel hat sich radikalisiert und mit dem völkischen Flügel arrangiert. Ihr Ideal ist eine Ellenbogengesellschaft, in der Milliardäre wie Elon Musk noch weniger Steuern zahlen und noch weniger Rücksichten auf die Allgemeinheit nehmen müssen. Ich fand richtig, dass sie das Diskussionsangebot von Musk angenommen hat. Aber was dann stattfand, war keine selbstbewusste Debatte. Sie hat sich verhalten wie ein Groupie, das sein Idol trifft. Kanzler, die sich bei den Mächtigen andienen, hatten wir schon genug.
Weidel bekommt Unterstützung von Elon Musk, Sie von Sergej Lawrow. Freuen Sie sich über die Wahlempfehlung von Putins Außenminister?
Jetzt werden Sie albern.
Sie haben sich geärgert über Lawrows Empfehlung?
Lawrow hat offenbar nicht mitbekommen, dass wir den russischen Krieg gegen die Ukraine scharf verurteilen.
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Als Kritiker Russlands sind Sie nun wirklich nicht aufgefallen. Dass Geld aus Moskau in Ihre Kassen fließt, schließen Sie aus?
Seit unserer Parteigründung wird die Lüge verbreitet, wir würden Geld aus Russland bekommen. Alle, die das behauptet haben, mussten vor Gericht klein beigeben. Wir haben unsere Finanzen transparent gemacht. Trotzdem wird weiter geraunt, um uns zu schaden.
Wen halten Sie für gefährlicher – Trump oder Putin?
Vertrauen kann man weder Putin noch Trump. Deutschland sollte sich auf seine Interessen besinnen und die souverän vertreten. Unser wichtigstes Interesse ist, uns nicht in einen Krieg mit Russland hineintreiben zu lassen, weil wir den nicht überleben würden. Und wir müssen begreifen: Die Sanktionen, die unsere Energie massiv verteuern, sind ein Konjunkturprogramm für die amerikanische Wirtschaft und ein Killerprogramm für deutsche und europäische Unternehmen. Russland hat von den gestiegenen Preisen ebenfalls profitiert.
Sie fordern auch ein Ende der deutschen Waffenhilfe für die Ukraine. Damit betreiben Sie Putins Geschäft.
Die Ukrainer wünschen sich Frieden, die jungen Männer wollen nicht mehr verheizt werden. Wir sollten Russland anbieten, die Waffenlieferungen sofort zu stoppen, wenn Russland einem Waffenstillstand an der jetzigen Frontlinie und dem Beginn von Friedensverhandlungen zustimmt.
Diese Haltung bringt im ungünstigen Fall nicht den Frieden, sondern das Ende der Ukraine.
Wie kann ein Waffenstillstand das Ende der Ukraine bringen? Die endlosen Waffenlieferungen haben die Position der Ukraine nicht verbessert, sie war im Frühjahr 2022 stärker als heute. Dass Pistorius und Habeck jetzt weitere drei Milliarden Euro deutsches Steuergeld in diesen Krieg pumpen wollen, ist unverantwortlich. Wir dürfen das Sterben nicht verlängern.
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Eine Friedensvereinbarung müsste abgesichert werden. Welche Rolle könnte Deutschland dabei spielen?
Die Ukraine braucht Sicherheitsgarantien, aber die müssen von neutralen Mächten gewährgeleistet werden. Deutsche Soldaten sollten ganz sicher nicht an der ukrainisch-russischen Grenze stehen.
Wer ist für Sie denn neutral?
Mächte, die eine Vermittlerrolle eingenommen und sich um Frieden bemüht haben: Brasilien, China, Indien oder die Türkei.
Frau Wagenknecht, die Stimmung an der Basis Ihrer Partei ist nicht gut. Gleich in mehreren Landesverbänden gibt es Rangeleien, ein Hamburger BSW-Mitgründer hat einen Brandbrief geschrieben und wirft Ihnen „Führerkult“ vor. Wie gehen Sie damit um?
Dass jeder No-Name, der gegen das BSW giftet, von den Medien mit bundesweiter Aufmerksamkeit belohnt wird, zeigt, wie sehr wir stören und wie heftig man uns bekämpft. Im Vergleich zum BSW wird selbst die AfD zurzeit höflich behandelt. Ok, wir nehmen das als Ansporn. Wie die Stimmung an unserer Basis ist, konnte jeder auf unserem Parteitag erleben: Die Mitglieder und Unterstützer sind mit großem Engagement im Wahlkampf.
Bestreiten Sie, dass es einen Kult um Ihre Person gibt?
In Wahlkampfzeiten stehen die Spitzenpersonen in jeder Partei im Zentrum. Würden Sie den Grünen auch Habeck-Kult unterstellen?
Die Grünen sind kein Bündnis Robert Habeck. Können Sie sich das BSW ohne Sahra Wagenknecht vorstellen?
Niemand ist unersetzlich. Wir haben eine Partei auf den Weg gebracht, die auch in zehn oder zwanzig Jahren noch die deutsche Politik prägen soll.
Name | Sahra Wagenknecht |
Geburtsdatum | 16. Juli 1969 |
Partei | ehemals Die Linke (vormals SED und PDS), Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) |
Parteimitglied seit | 1989 (SED) bis 2023 (Die Linke), seit 2024 BSW |
Familienstand | verheiratet, keine Kinder |
Ehemann | Oskar Lafontaine |
Wohnort | Merzig (Saarland) |