Berlin. Für die junge Partei geht es bei der Bundestagswahl um alles. Beim Kongress in Bonn beklagt die Chefin eine „öffentliche Lügenkampagne“.
Manchmal denken auch kleine Parteien ganz groß. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zum Beispiel: Stand jetzt muss die Formation damit rechnen, bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar den Einzug ins Parlament zu verpassen. Aktuellen Umfragen zufolge käme das BSW nur auf vier bis sechs Prozent der Stimmen.
Das hindert die Partei aber nicht daran, ihre Gründerin, Frontfrau und Namensgeberin offiziell als Kanzlerkandidatin ins Rennen zu schicken. Mit einem Parteitag in Bonn startete das BSW am Sonntag in die heiße Phase des Wahlkampfs. Sahra Wagenknecht schwor ihre Partei darauf ein, um jede Stimme zu kämpfen. „Es ist die Zeit des großen Neuanfangs“, rief die Vorsitzende. Die ehemalige Linken-Politikerin beklagte auch eine „öffentliche Lügenkampagne gegen das BSW“ und räumte zugleich ein, dass der bevorstehende Urnengang der schwerste in der noch jungen Parteigeschichte werden dürfte.
In der Tat: Das BSW gibt es als Partei erst ein Jahr. Zunächst eilte es bei den Europa- und Landtagswahlen von Erfolg zu Erfolg. Vor wenigen Monaten noch hatte die Wagenknecht-Truppe bundesweit in Sichtweite der Zehn-Prozent-Marke gelegen. Jetzt geht es darum, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Der Partei ist anderthalb Monate vor der Bundestagswahl sichtlich der Schwung abhandengekommen. Dafür gibt es mehrere Ursachen. Ein Überblick.
Das Thema „Frieden“ zieht nicht mehr
Vor der Europawahl im vergangenen Juni und den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst gelang es Wagenknecht und dem BSW, eine weit verbreitete Stimmung in der Bevölkerung aufzugreifen: Der Krieg in der Ukraine soll zu Ende gehen – und zwar schnell. Gerade im Osten Deutschlands konnte das BSW mit einer russlandfreundlichen und Nato-kritischen Grundhaltung punkten. Im Programm für die Bundestagswahl findet sich unter anderem dieser Satz: „In der Ukraine tobt ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den Vereinigten Staaten, der sich jederzeit zu einem Weltkrieg ausweiten kann.“
An anderer Stelle heißt es: „Wir wollen, dass kein weiteres deutsches Steuergeld bereitgestellt wird, um diesen sinnlosen Krieg zu verlängern.“ Es brauche Bemühungen um einen Waffenstillstand ohne Vorbedingungen. „Kaum ein anderes Land belastet seine Bürger so stark wie Deutschland, um diesen sinnlosen Krieg zu finanzieren“, heißt es mit Blick auf Waffenlieferungen an die Ukraine.
Wagenknechts Problem: Das Thema Außenpolitik und Frieden spielt im Wahlkampf derzeit nur eine untergeordnete Rolle. Laut dem jüngsten ARD-Deutschlandtrend treiben die Wähler vor allem die Themen Migration sowie Wirtschaft um. Und hier trauen die Bürger anderen Parteien deutlich mehr zu. Insbesondere der Union um Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) wird hier eine hohe Problemlösungskompetenz zugeschrieben. Bei der Migration denken auch viele Wähler, dass die rechte AfD die richtigen Antworten liefere.
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In Sachen Wirtschaft setzt das BSW unter anderem auf die Verstaatlichung der Energienetze, die Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen sowie die Überführung von großen Unternehmen, die Staatshilfen erhalten, in „innovationsfreundliche Stiftungsunternehmen“. Zum Thema Asyl heißt es im Entwurf des Wahlprogramms: „Wer aus einem sicheren Drittstaat einreist, hat kein Recht auf Aufenthalt. Wer kein Recht auf Aufenthalt hat, hat keinen Anspruch auf ein Asylverfahren und auch keinen Anspruch auf soziale Leistungen.“
Mit dem Ampel-Aus ist der Hauptgegner weg
Das BSW, eine Abspaltung der Linkspartei, entstand als Partei Anfang Januar 2024. Die Wähler in Deutschland waren zu jener Zeit längst der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP überdrüssig. Wagenknecht baute eine neue politische Kraft auf, die bis heute ganz auf ihre Person zugeschnitten ist. Die einstige Kommunistin schuf eine linkskonservative Formation, vergleichbar mit der französischen Partei „La France Insoumise“. Auf der Anti-Ampel-Welle schaffte es das BSW auf Anhieb ins Europaparlament, in drei Landtage und die Landesregierungen in Thüringen und Brandenburg.
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Mit dem Aus der Koalition Anfang November ist dem BSW allerdings auch der Hauptgegner abhandengekommen, Noch-Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat keine eigene Mehrheit mehr. Die Umfragewerte des BSW sind seit November rückläufig. Laut ZDF-Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen vom vergangenen Freitag käme die Wagenknecht-Partei derzeit nur auf vier Prozent der Stimmen. Im Oktober, also dem Monat vor dem Ampel-Aus, waren es noch acht Prozent.
Miese Stimmung an der Basis
Das BSW hat bislang nur 1.100 Mitglieder. Es könnten deutlich mehr sein. Aber Wagenknecht und ihre Leute lassen nicht jeden herein. Über jeden Mitgliedsantrag entscheidet die Berliner Parteiführung. So soll verhindert werden, dass Radikale und Querulanten die Partei unterwandern. Der Nachteil ist, dass das BSW Probleme hat, sich in der Fläche aufzustellen.
In Hamburg zerlegt sich die Wagenknecht-Partei sogar auf offener Bühne: Dort gründeten Mitglieder im Dezember einen eigenen Landesverband, was Wagenknecht nicht wollte. Kurz darauf ließ sie von Getreuen einen eigenen, konkurrierenden Landesverband gründen. Beim Parteitag in Bonn am Sonntag wurden zwei der Dissidenten am Eingang abgewiesen, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtete. Sie sollen aus der Partei ausgeschlossen werden.
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Der „Spiegel“ veröffentlichte am Wochenende Auszüge aus einem Brief des Hamburger BSW-Mitgründers Torsten Teichert an Wagenknecht. Teichert hatte einst für den ehemaligen Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) gearbeitet und die Wagenknecht-Partei inzwischen wieder verlassen. Sein Schreiben liest sich gleichwohl wie eine Abrechnung: Der Parteichefin wirft er „klammheimliche Sympathie für das AfD-Denken“, vor. Er schreibt auch: „Wir brauchen keinen neuen Führer-Kult. Wir brauchen keine undemokratischen Parteistrukturen. Wir brauchen keine Hetze gegen Ausländer, Asylbewerber und Migranten.“
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