Berlin. Seit dem Sturz des Assad-Regimes wird über die Rückführung von Flüchtlingen diskutiert. Nancy Faeser hat dafür nun einen Plan vorgestellt.
An Weihnachten veröffentlichte die Türkei eine Nachricht, die auch deutsche Behörden aufhorchen ließ: 25.000 Syrerinnen und Syrer sind in den Wochen nach dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad aus der Türkei in ihr Heimatland zurückgekehrt. So viele wie seit Jahren nicht. Etwa drei Millionen Menschen aus Syrien leben in der Türkei, so viele wie in keinem anderen Land.
In Deutschland leben nach Angaben der Bundesregierung etwa 970.000 Menschen syrischer Herkunft. Viele kamen 2015 und in den Jahren danach. Hunderttausende haben einen Schutztitel vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), andere sind schon eingebürgert und Deutsche. Doch mit dem Ende des Bürgerkriegs stellt sich die Frage: Wer muss nun zurück nach Syrien? Und wie soll das gehen, wenn die Sicherheitslage in dem Land noch immer unübersichtlich ist?
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat nun einen Vier-Punkte-Plan für den Umgang mit geflüchteten Syrerinnen und Syrern vorgestellt. Dazu gehört auch die Aufhebung von Schutzgewährungen in Deutschland. „So wie es unser Recht vorsieht, wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Schutzgewährungen überprüfen und aufheben, wenn Menschen diesen Schutz in Deutschland nicht mehr brauchen, weil sich die Lage in Syrien stabilisiert hat“, sagte die SPD-Politikerin unserer Redaktion. „Das wird dann für jene gelten, die kein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen wie Arbeit oder Ausbildung haben und nicht freiwillig nach Syrien zurückkehren.“
Wenige Wochen nach dem Sturz des Assad-Regimes durch verschiedene Rebellengruppen stehen nun die Islamisten der Bewegung Hayat Tahrir al-Sham (HTS) an der Spitze des syrischen Staates. Doch auch sie kontrollieren nicht alle Teile Syriens.
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Faeser über Syrien: „Sicherheitsfrage im Blick“
Kurz nach dem Umsturz legte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg die Asyl-Entscheidungen für Syrien auf Eis. Mehrere Zehntausend Asylverfahren zu Syrien sind beim Bamf derzeit anhängig. Das gilt nach Informationen unserer Redaktion auch weiterhin. Das Problem für die Behörde: Solange die Sicherheitslage in dem Land unklar ist, kann das Amt nicht entscheiden, ob ein Mensch bleiben darf oder nicht, so die Argumentation. Ähnlich reagierten viele andere europäische Staaten.
Das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium arbeiten gemeinsam daran, ein klareres Lagebild von der Situation in Syrien zu gewinnen, heißt es. „Dabei haben wir vor allem die Sicherheitsfragen im Blick“, sagte Faeser. „Außerdem stimmen wir uns in unserem gesamten Handeln eng mit unseren europäischen und internationalen Partnern ab.“
Drei weitere Punkte hält Faeser für wichtig: Erstens, wer gut integriert ist, arbeitet, Deutsch gelernt hat und hier eine neue Heimat gefunden hat, der soll in Deutschland bleiben dürfen. Zweitens, Menschen, die zurückkehren wollen, sollen unterstützt werden. Dafür werde das Programm des Bundes zur freiwilligen Rückkehr erweitert. Drittens: Die Innenministerin sprach sich dafür aus, Straftäter und Islamisten schnellstmöglich abzuschieben. „Die rechtlichen Möglichkeiten dafür haben wir stark erweitert und werden sie nutzen, sobald die Lage in Syrien dies zulässt“, sagte sie.
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„Wenn Hoffnung auf Frieden Realität wird, können viele Geflüchtete zurückkehren“
Erstmals nach mehr als einem Jahrzehnt des Terrors und der Gewalt gebe es in Syrien wieder Hoffnung auf Frieden, betonte Faeser. „Wenn diese Hoffnung auf Frieden Realität wird, dann können auch viele Geflüchtete zurückkehren.“
Wer wissen will, welche Syrer von Faesers Plänen betroffen sein können, muss in die komplizierten Regeln des Asylrechts eintauchen. Ende Oktober lebten laut Bundesregierung gut 970.000 Menschen mit syrischer Herkunft in Deutschland. 2015 kamen knapp eine Million Geflüchtete vor allem über die Balkanroute nach Deutschland, darunter vor allem Syrerinnen und Syrer.
Doch nicht alle haben den gleichen Schutztitel. Gut 5000 Personen, ein kleiner Anteil also, ist in Deutschland geschützt durch das Asylrecht nach Artikel 16a im Grundgesetz. Der Paragraf schützt politisch Verfolgte, etwa Menschen, die von Assads Schergen verfolgt wurden, weil sie Widerstand gegen das Regime leisteten. Diese Menschen könnten ihren Schutz verlieren, da Assad gestürzt ist.
Das Bundesamt prüft Asylanträge immer individuell, hört sich die Fluchtgeschichte und die Gründe der Flucht in einem persönlichen Interview mit dem Geflüchteten an. Wichtig für die Entscheidung der Bamf-Mitarbeitenden sind aber auch die „Herkunftsleitsätze“. Sie geben Richtlinien für das Bamf vor, welche Regionen in einem Land als sicher gelten, aber auch, welchen Gruppen Verfolgung droht.
Rund 320.000 Menschen aus Syrien hatten im Herbst laut Regierung einen Flüchtlingsstatus nach Genfer Flüchtlingskonvention. Vor allem Menschen, die 2015 und 2016 hierher geflohen sind, erteilte das Bamf schnell und mit deutlich einfacherer Prüfung als heute diese Schutztitel. Ähnlich wie beim Asylschutz müsste die Behörde den Einzelfall einer Verfolgung aufgrund von politischen Einstellungen oder Religionszugehörigkeit prüfen.
Etwa genauso viele Syrerinnen und Syrer (mehr als 320.000) genießen aktuell „subsidiären Schutz“ in Deutschland. Sie sind nicht politisch verfolgt, konnten aber nicht in ihre Heimat, weil durch den Bürgerkrieg systematische Gewalt drohte. Wer nur „subsidiär“ in Deutschland anerkannt ist, darf seine Familie nicht nachziehen lassen. Auch Folter und Tötungen durch das Assad-Regime waren Gründe für den Schutz. Beides – Assad und der Bürgerkrieg – sind nun vorbei. Hier könnte das Bamf die „subsidiären Schutztitel“ überprüfen.
Werden neue Gruppierungen unter der Herrschaft der Islamisten verfolgt?
Stuft die Bundesregierung die Lage in Syrien als „sicher“ ein, könnten Hunderttausende Syrer ihren Schutztitel verlieren. In Behördenkreisen heißt es jedoch, dass es Monate dauern kann, bis das Auswärtige Amt die Situation unter den islamistischen Machthabern in Syrien verlässlich einschätzen kann. Bis dahin ist Ministerin Faeser vermutlich nicht mehr im Amt.
Auch die Union im Bundestag ist skeptisch. Entgegen Faesers Ankündigung werde das Bamf „nicht in der Lage sein, mehrere Hunderttausend Asylbescheide zu überprüfen“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei (CDU) unserer Redaktion und sprach sich für Gesetzesänderungen auf nationaler und europäischer Ebene aus. „Die Bundesregierung sollte die Arbeit daran schleunigst aufnehmen, um im Fall der Fälle einen Kollaps des Bamf und auch unserer Verwaltungsgerichte zu verhindern.“ Nur wer seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie aus eigener Kraft zu sichern vermag, könne dauerhaft in Deutschland bleiben, hob Frei hervor.
Entscheidend bei der Bewertung der Lage in Syrien ist, ob die HTS-Regierung Minderheiten wie Christen verfolgt und Frauen unterdrückt. Die HTS ging ursprünglich aus einem Ableger von Al-Kaida hervor, hat sich aber von der Terrororganisation losgesagt und einen gemäßigten Kurs angekündigt. Trotzdem gibt es immer wieder Zweifel, ob die Miliz für dauerhaften Frieden und Rechtsstaatlichkeit in Syrien sorgen kann und will.
Zugleich müsste das Bamf personell aufgerüstet werden, um Hunderttausende Fälle von Syrern zu überprüfen. Schon jetzt ringt das Amt damit, gute Mitarbeitende zu finden. Denn das Asylrecht ist kompliziert, es dauert, bis Mitarbeitende eingearbeitet sind. Gleiches gilt für die Ausländerbehörden. Denn sie sind es, die am Ende Abschiebungen nach Syrien organisieren müssten. Schon jetzt scheitert das in vielen Fällen.
Viele Geflüchtete sind laut Bundesregierung eingebürgert. Im Jahr 2023 waren 38 Prozent der neu in Deutschland Eingebürgerten Syrerinnen und Syrer. Dafür müssen sie bereits gut Deutsch sprechen und ihr eigenes Einkommen verdienen. Im Schnitt leben sie knapp sieben Jahre hier, bis sie Deutsche werden. Ihnen droht keine Abschiebung in ihr Heimatland. Sie könnten aber freiwillig zurückgehen.
Lage in Syrien weiter unübersichtlich
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Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hingegen warnt vor schnellen Abschiebungen nach Syrien. Angesichts der instabilen Lage sei dies „unrealistisch, gefährlich und unverantwortlich“. Viele Syrerinnen und Syrer würden sich bei der Organisation melden und seien verunsichert. Pro Asyl hält fest, die meisten Menschen aus Syrien hätten in Deutschland einen festen Aufenthalt, seien nicht ausreisepflichtig und könnten das auch nicht so schnell werden.
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