Berlin. Die SPD präsentiert sich auf ihrem Parteitag als Schutzmacht der Arbeitnehmer – und feuert aus allen Rohren gegen Friedrich Merz

Sieben Minuten stehender Applaus. Das ist beachtlich für einen, der kein überragender Redner ist. Und auch jetzt allenfalls am oberen Rand seiner Möglichkeiten blieb, ohne über sich hinauszuwachsen.

Aber immerhin: Anderthalb Monate sind es noch bis zur Bundestagswahl. Und die deutschen Sozialdemokraten stehen fest hinter ihrem Kanzler und Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Am Samstag auf dem SPD-Parteitag feiern ihn die Delegierten nach seiner Rede. Sieben Minuten lang. Das ist ein starkes Signal.

SPD-Bundesparteitag
Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) winkt zu den Delegierten nach seiner Kür zum SPD-Kanzlerkandidaten beim außerordentlichen Bundesparteitag. © DPA Images | Michael Kappeler

Scholz geht sogar noch mal vor in Richtung Rednerpult, um zu winken und noch mehr Applaus abzugreifen. Den kann er gut gebrauchen. Die Partei mag er auf seiner Seite haben, die Wähler aber noch lange nicht. In den Umfragen beträgt der Abstand zur Union von Friedrich Merz (CDU) 15 Prozent oder mehr. Trotzdem hoffen die Sozialdemokraten, dass sie das Spiel noch drehen und das Kanzleramt verteidigen können.

Mit ihrem Parteitag auf dem Berliner Messegelände startet die SPD in die heiße Phase des Wahlkampfes. Die ganze Veranstaltung ist angelegt als Krönungsmesse für Scholz: Beginn am späten Vormittag, Reden, Bestätigung des Kanzlerkandidaten, Annahme des Wahlprogramms – und am Nachmittag ist schon wieder Schluss.

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Meine schwerste Entscheidung

Der Kanzler selbst versucht, in seiner Rede in die Offensive zu gehen: Scholz oder Merz, moderne Politik oder Rezepte von gestern, Besonnenheit oder Unbeherrschtheit, ein starker Staat für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder Steuergeschenke für die Reichen – das ist seiner Darstellung nach die Alternative.

Scholz sagt: „Wenn wir in Deutschland am 23. Februar falsch abbiegen, dann werden wir am Morgen danach in einem anderen Land aufwachen.“ Und: „Die ganz normalen Leute, das sind die wahren Leistungsträger in diesem Land. Nicht die oberen Zehntausend.“

SPD: Juso-Chef nenn Merz einen „ultrakapitalistischen Saurier“

In der Rede des Kanzlers, aber auch in den Beiträgen von SPD-Chef Lars Klingbeil und anderen wird deutlich, wie die Sozialdemokraten in der verbleibenden Zeit noch die Trendwende schaffen wollen: Sie planen eine maximale Zuspitzung auf das Duell Scholz/Merz. Der CDU-Vorsitzende soll als Dampfplauderer mit kurzer Zündschnur und als Lobbyist der Spitzenverdiener dargestellt werden.

SPD-Chef Klingbeil sagt am Samstag über das Wahlprogramm der Union: „Je näher man da ran zoomt, desto schlimmer wird es.“ Juso-Chef Philipp Türmer nennt Merz sogar einen „ultrakapitalistischen Saurier“, der ins Museum gehöre. Scholz hingegen wird präsentiert als erfahrener Staatsmann, dem es um die „normalen Leute“ geht.

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Dieser Ausdruck zieht sich wie ein roter Faden durch die Rede des Regierungschefs. „Die ganz normalen Leute sind die Mehrheit in Deutschland, sie werden immer die Mehrheit sein“, ruft Scholz in die Halle. An anderer Stelle sagt er, die „ganz normalen Leute“ müssten die Zeche zahlen, wenn Merz Vergünstigungen für Reiche durchsetzen sollte. Scholz sagt auch, es sei jetzt die Zeit für „kraftvolle Investitionen“, von denen die ganz normalen Leute profitieren. Oder: „Energie muss schon jetzt bezahlbar werden für die ganz normalen Leute und die Wirtschaft.“

Das SPD-Wahlprogramm ist dementsprechend auf die Belange von Arbeitnehmern zugeschnitten. Es verspricht Steuerentlastungen für 95 Prozent der Bürger, einen Mindestlohn von 15 Euro, stabile Renten, eine Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, die Entfristung der Mietpreisbremse und vieles mehr. Scholz und die SPD-Granden versprechen, für jeden Industriearbeitsplatz in Deutschland zu kämpfen. Steuergutschriften sollen Investitionen in Deutschland ankurbeln, sie nennen das „Made in Germany“-Bonus.

SPD-Parteitag: Die Debatte um Boris Pistorius ist schon fast vergessen

Scholz präsentiert sich auch als der Kanzler, auf den außenpolitisch Verlass ist. Und zwar bei der Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg – aber auch wenn es darum geht, dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump Grenzen aufzuzeigen.

Die Stimmung beim SPD-Parteitag ist am Samstag gut. Kontroverse Debatten gibt es nicht mehr – erst recht über den Kanzler selbst. Alle Redner loben seine Arbeit der vergangenen drei Jahre, obwohl die für die Partei unter den Bedingungen der Ampel-Koalition und des Ukraine-Krieges voller Zumutungen waren.

Nahezu vergessen ist an diesem Samstag auch die quälende Diskussion aus dem November über die Frage, ob die SPD wirklich mit dem unpopulären Kanzler in den Wahlkampf ziehen sollte. Mit dem beliebten Verteidigungsminister Boris Pistorius schien eine erfolgversprechende Alternative bereit zu stehen. Die SPD-Führung hatte es nach dem Ampel-Aus versäumt, rechtzeitig Klarheit zu schaffen und einen formalen Beschluss zu Scholz‘ Gunsten herbeizuführen. Dessen Nominierung wurde verstolpert, aber das interessiert beim Parteitag nicht mehr.

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Am Nachmittag also machen die Delegierten den Kanzler auch offiziell zum SPD-Kandidaten für seine eigene Nachfolge. Das geschieht durch das Hochalten von roten Stimmkarten im Plenum. 600 Delegierte gibt es, das Parteitagspräsidium zählt fünf Gegenstimmen und keine Enthaltungen. Olaf Scholz erhält einen Strauß roter Nelken und kommt unter dem Applaus der anwesenden Genossen noch einmal auf die Bühne. Er bedankt sich artig für das „sehr überwältigende Votum“, das er als Auftrag verstehe, dafür zu kämpfen, „dass es gut weiter geht in unserem Land“.

Und dann erinnert er daran, dass es vor der Wahl 2021 auch schlecht aussah für die Sozialdemokraten und sie am Ende dennoch als Sieger durchs Ziel gingen. Scholz sagt, er werde alles dafür tun, dass so wie beim letzten Mal alle Leute, die vorher schon wussten, wie es ausgeht, überrascht sein werden. „Wir werden gewinnen!“