Berlin. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck über Deutschlands Sicherheit, den drohenden Konflikt mit Trump – und seine Antwort auf Markus Söder.
Weißes Hemd, dunkler Anzug, schwarze Schuhe: Im Interview mit unserer Redaktion und der französischen Zeitung „Ouest-France“ trägt Robert Habeck die klassische Politikeruniform. Nicht den Wollpulli, bekannt aus seinen Küchentisch-Formaten, nicht den grünen Kapuzenpulli aus dem Fanshop seiner Kampagne. Das Signal ist klar: Wenn es um Deutschlands Sicherheit geht, sind Wohlfühlklamotten das falsche Outfit.
Herr Habeck, Donald Trump kehrt zurück ins Weiße Haus. Ist Deutschland darauf vorbereitet?
Robert Habeck: Wir sind vorbereitet. So gut, wie man sich auf Donald Trump vorbereiten kann.
Sind Sie Trump schon einmal persönlich begegnet?
Habeck: Ja. Das war in Davos, während Trumps erster Amtszeit. Er hat damals eine Rede gehalten, überzeugt hat sie mich nicht, um es vorsichtig zu formulieren.
Trump hat in den vergangenen Tagen gezeigt, wie brutal er vorgehen will – etwa bei den Rüstungsausgaben oder mit Blick auf seinen Machtanspruch in Kanada, Panama oder Grönland. Macht ihnen das Angst?
Habeck: Ich habe keine Angst vor Donald Trump. Aber diese Art der Politik ist eine Mahnung, dass sich Europa unterhaken und seine Interessen selbstbewusst vertreten muss. Trump versucht, die Europäer auseinanderzutreiben. Das darf ihm nicht gelingen. Europa muss mit einer Stimme sprechen. Wir müssen darüber hinaus die Amerikaner immer wieder daran erinnern, dass die Interessen der USA und Europas in den entscheidenden Bereichen deckungsgleich sind. Wir profitieren alle von einer guten Partnerschaft, bei einem Handelskrieg verlieren alle.
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Mit Strafzöllen hat er ein scharfes Schwert in der Hand: Er könnte die deutsche Wirtschaft mit hohen Importzöllen noch tiefer in die Rezession stoßen …
Habeck: Ich nehme das ernst. Deutschland ist als Handelsmacht natürlich besonders exponiert, andere Länder, die weniger stark auf den Export ausgerichtet sind, weniger. Wir brauchen deswegen die Solidarität der europäischen Nachbarn, so wie wir uns umgekehrt in anderen Fällen solidarisch verhalten.
Trump sagt: Europäer, kauft amerikanisches Öl und Gas, sonst gibt es Strafzölle. Würden Sie sich als grüner Kanzler darauf einlassen?
Habeck: Fakt ist: Schon jetzt kommen rund 90 Prozent des Flüssiggases, das wir kaufen, aus den USA. Nach dem Ende des Ukraine-Transits fließt ab diesem Jahr noch weniger Pipeline-Gas aus Russland nach Europa. Und wir werben innerhalb der EU dafür, auf russisches Gas zu verzichten. Es ist unser europäisches Sicherheitsinteresse, Putin nicht weiter zu stärken.
Mehr Gas und dafür keine Strafzölle – das wäre also in Ordnung?
Habeck: Der designierte US-Präsident baut gerade alle naselang neue Drohkulissen auf und kommt mit irgendwelchen Forderungen um die Ecke. Insofern sind wir gut beraten, nicht über jedes Stöckchen zu springen und uns verunsichern zu lassen. Wichtig ist: Alles, was wir tun, müssen wir europäisch tun. Europa muss geschlossen mit den USA verhandeln – mit der Macht seiner 27 Mitgliedstaaten und dem größten Binnenmarkt der Welt im Rücken. Eine neue deutsche Bundesregierung muss helfen, diese europäische Macht zu stärken.
Wenn die Strafzölle sich nicht vermeiden lassen sollten, wie sollte Europa reagieren?
Habeck: Im Zweifel robust. Wir hatten in der Vergangenheit schon Handelsstreitigkeiten mit den USA. In Trumps erster Amtszeit gab es EU-Zölle, die sehr zielgenau US-Produkte in den Blick nahmen, die die amerikanische Wirtschaft getroffen haben. Wir sind schon seit Langem in der EU in engem Austausch und bereiten mögliche Szenarien vor. Ziel muss es sein, auf Zusammenarbeit zu setzen. Aber wir sind vorbereitet.
Man muss nicht über Zölle gehen. Es existiert auch die Idee, die US-Digitalkonzerne in Europa stärker zu besteuern. Wäre das ein Weg?
Habeck: Es gibt den Spruch, dass Daten das neue Öl sind. Wenn man dem folgt, übereignen wir gerade sehr viel davon an amerikanische, aber auch andere Großkonzerne, ohne dass die dafür zahlen. Höhere Steuern für die großen Tech-Konzerne sind ein Gedanke.
Deutschland geht wirtschaftlich geschwächt in diese Auseinandersetzung. Im Rückblick: Wo ist als Wirtschaftsminister Ihr Anteil an dieser Schwäche?
Habeck: Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine war klar, dass höhere Energiepreise zu mehr Inflation, höheren Zinsen und einer schwächeren Wirtschaft führen würden. Aber wir haben das nicht mit dem Konjunkturpaket beantwortet, das es gebraucht hätte. Ich kreide mir an, dass ich nicht hart darauf gepocht habe, dass wir das Notwendige machen. Stattdessen hat die Regierung in Trippelschritten agiert und immer unter dem Dogma einer restriktiven Finanzpolitik.
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Was ist die wichtigste wirtschaftspolitische Maßnahme, die die nächste Bundesregierung umsetzen muss?
Habeck: Investitionsprämien – 10 Prozent für alles – außer Gebäudeinvestitionen. Das sind faktisch Steuersenkungen, nur gezielter: Wenn Unternehmen investieren, wird ihnen ein Teil ihrer Investitionssumme von der Steuerlast abgezogen. Das Problem dabei ist: Wenn wir das jetzt machen, senkt es erst einmal die Steuereinnahmen, bevor die Investitionen zu mehr Wachstum führen und die Einnahmen wieder steigen. Genau das verbieten unsere Finanzregeln aber.
Das geht nur mit einer Reform der Schuldenbremse.
Habeck: Ja. Es geht aber nicht um grenzenlose Schulden, sondern genügend Spielraum für Investitionen. Den muss man schaffen. Man muss ehrlich sein: Man kann nicht wie die Union Steuersenkungen versprechen und dann hoffen, dass sich das Loch wie durch Zauberhand schließt.
Das ist das, was der Staat tun kann. Was können die Leute tun? Es gibt Stimmen, die sagen, wir müssen leistungsbereiter werden, mehr arbeiten …
Habeck: Dieses Gerede, dass die Leute faul seien, stört mich. Die ganz große Mehrheit der Menschen in Deutschland ist motiviert, engagiert und zeigt täglich großen Einsatz. Eines der großen Probleme unserer Volkswirtschaft ist der Arbeits- und Fachkräftemangel. Deshalb müssen wir das Arbeitspotenzial in Deutschland besser nutzen. Frauen stemmen oft noch einen großen Teil der Kinderbetreuung. Wir sollten die Betreuungsmöglichkeiten verbessern, damit sie mehr arbeiten können. Wir müssen Geflüchtete stärker in den Arbeitsmarkt integrieren. Menschen, die über das Rentenalter hinaus arbeiten wollen, finanzielle Anreize geben.
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Deutschland und Europa werden in den kommenden Jahren sehr viel mehr für ihre Wehrhaftigkeit tun müssen. Wie lange dauert es, bis sich Europa ohne die Amerikaner gegen Russland verteidigen kann?
Habeck: Putin hat immer wieder bewiesen, dass er Schwäche ausnutzt. Er fängt Kriege an, weil er glaubt, sie zu gewinnen, er verleibt sich Gebiete ein, weil er es kann. Das ist ein imperialistisches Verständnis. Verteidigungsfähig zu sein, ist deshalb ein Beitrag zum Schutz unseres Friedens. Putin darf nicht wagen, uns anzugreifen. Klar ist, wir müssen mehr für unsere Sicherheit tun, jetzt, nicht irgendwann – es wird ein paar Jahre brauchen. Wir können doch nicht sagen, hoffentlich liest Putin unsere Haushaltsbeschlüsse und wartet, bis wir vorbereitet sind.
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Was heißt „ein paar Jahre“?
Habeck: Je schneller wir anfangen, desto schneller werden wir sein. Es geht ja nicht nur um die klassischen Produktionskapazitäten für Artillerie oder Panzer. Es geht auch um Dinge wie Cybersecurity, Zivilschutz und Drohnenabwehrsysteme, die wir entwickeln müssen. Wir wissen, was zu tun ist. Wir können es nicht lassen, nur weil wir uns vor 20 Jahren bestimmte finanzielle Spielregeln gegeben haben. Wir müssen die Bedrohungslage ernst nehmen und entsprechend handeln.
Sollte es in der Ukraine demnächst zu Friedensverhandlungen kommen, wird es auch darum gehen, wer diesen Frieden sichert. Sollte sich die Bundeswehr an einer solchen Mission beteiligen?
Habeck: Diese Debatte steht nicht an. Wir sehen gerade jetzt in diesen Tagen eine Eskalation des Krieges, Putins Truppen gewinnen im Donbass an Gelände. Deshalb ist es so wichtig, die Ukraine klar zu unterstützen und gleichzeitig die diplomatischen Bemühungen um Gespräche zu intensivieren.
Und wenn es eines Tages so weit ist?
Habeck: Ich will da nicht spekulieren. Und auch hier gilt: Wir müssen europäisch handeln.
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Auch innerhalb von Deutschland gibt es Bedrohungen, wir haben es in Magdeburg gesehen. Was muss passieren, damit die Menschen besser geschützt sind?
Habeck: Erstens muss aufgeklärt werden, was da passiert ist – nicht um Leute zu beschuldigen, sondern aus Respekt vor den Opfern. Zweitens, die Informationsflüsse müssen besser werden. Zwischen Polizei und Nachrichtendiensten und zwischen den verschiedenen Polizeibehörden. Ein Baustein dafür ist die automatische Datenanalyse. Wir haben die rechtliche Grundlage dafür in dem Sicherheitspaket vorgelegt, das die Union im Bundesrat blockiert hat. Und drittens brauchen wir eine gesetzliche Grundlage, die präzise festlegt, über welche Informationen sich die Sicherheitsdienste im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum bei verschiedenen Bedrohungslagen in Deutschland austauschen müssen.
Es gibt ein Verfassungsgebot, dass die Polizei und die Nachrichtendienste nicht zu einer Behörde verschmolzen werden dürfen. Aber miteinander reden müssen sie – dafür braucht es eine gesetzliche Grundlage, die auch klare Verantwortlichkeiten benennt. Das ist höchste Eisenbahn. Und wir brauchen eine schärfere Kontrolle im Waffenrecht.
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Wie soll die aussehen?
Habeck: Grundsätzlich gilt: Waffen dürfen nicht in die falschen Hände geraten. Wer sich eine Waffe besorgen will, sollte ein psychologisches Attest vorlegen müssen. Psychologisch instabilen Tätern würde man den Zugang zu Schusswaffen so erschweren.
Anschläge von ausländischen Tätern können zum Konjunkturprogramm für rechte Parteien werden. In Österreich kann die FPÖ jetzt schon mithilfe der ÖVP den Kanzler stellen. Sind Sie sicher, dass in Deutschland die Brandmauer der Union gegenüber der AfD steht?
Habeck: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Union mit der AfD ein Bündnis eingeht. Ich finde es falsch, dass Teile der Union der AfD nach dem Mund reden. Man schwächt die Rechtspopulisten nicht, indem man rechtspopulistische Positionen in der Light-Version vorträgt. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Koalition mit der AfD wäre das Ende der Union. Und das wissen sie auch.
Wie ernst nehmen Sie CSU-Chef Markus Söder, wenn er eine Koalition mit den Grünen ausschließt?
Habeck: Markus Söder wird gerade zu einem echten Problem für Friedrich Merz. Söder hat schon den Wahlkampf von Armin Laschet 2021 von innen torpediert, das wiederholt sich jetzt. Was Söder da macht, ist ein offener Widerspruch zu Friedrich Merz, der sich die Koalitionsfrage klugerweise offenhält. Am Ende müssen die beiden das untereinander klären. Söder ist ein Politiker, der sich selbst nicht ernst nimmt. Warum sollte ich ernst nehmen, was er sagt?
Wie sehen Ihre Pläne aus, wenn die Grünen nicht mehr an der Regierung sind? Bleiben Sie in der Politik? Oder reizt es Sie, wieder als Kinderbuchautor zu arbeiten?
Habeck: Ich arbeite an Plan A.
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