Berlin. Respekt: Fast alle Parteien haben nach dem Anschlag auf voreilige Schuldzuweisungen verzichtet. Aber drei Lehren stehen schon fest.
Die Silvesteransprachen sind in diesem Jahr geprägt von der Erinnerung an den Anschlag in Magdeburg. Das Gedenken an die Opfer wird ergänzt durch einen Blick auf die Hilfsbereitschaft, auf die Zeichen des Zusammenhalts im ganzen Land. Auch die Besonnenheit der Politik ist bemerkenswert: Fast alle Parteien haben darauf verzichtet, mit voreiligen Schuldzuweisungen kleine Geländegewinne im Bundestags-Wahlkampf zu erzielen.
Diese Haltung ist selbst im Ausland mit großem Respekt registriert worden. Nach den Sondersitzungen im Bundestag am vorletzten Tag des Jahres wird sich das Debattenklima in den nächsten Wochen aber notwendigerweise verändern. Der hoffentlich bald abgeschlossenen Aufklärung folgt die Frage nach den Konsequenzen, über die zu diskutieren ist.
Auch wenn nicht alle Umstände der Tat schon offengelegt sind – einige Lehren stehen nun bereits fest. Erstens: Auf Terror-Hysterie können wir gut verzichten, auf Wachsamkeit nicht. Ein Sicherheitskonzept schützt nur, wenn es von allen Beteiligten ernst genommen wird. In Magdeburg aber gab es bei der Umsetzung eine verhängnisvolle Lücke.
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Wer mit Terror droht, muss ausgewiesen werden
Zweitens: Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden muss dringend verbessert werden. Der vorbestrafte Täter war auch staatlichen Stellen immer wieder aufgefallen, er verbreitete Verschwörungsbotschaften, drohte mit Angriffen und Anschlägen – doch im Behördenwirrwarr blieben die Konsequenzen aus.
Womöglich hätten Verantwortliche anders gehandelt, wenn eine dritte Erkenntnis akzeptiert wäre: Deutschland darf nicht hinnehmen, dass schutzsuchende Migranten hier mit Gewalt ihre Religionskonflikte austragen. Im Rechtsstaat taugen pauschale Abschiebe-Parolen nicht zur Lösung. Aber die Politik muss zügig Gesetzesverschärfungen prüfen, um etwa jene Migranten auszuweisen, die mit Terrortaten drohen.
Es bleiben Sicherheitslücken, die geschlossen werden müssen
Erst wenn das erledigt ist, sollte die Politik auch weitergehende Aufgaben anpacken, die mit dem jüngsten Anschlag wenig bis gar nichts zu tun haben, aber dennoch auf die Tagesordnung gehören: Die Vorratsdatenspeicherung zählt dazu und generell eine Ertüchtigung der Nachrichtendienste, die bei der Terrorabwehr zu oft auf entscheidende Hinweise ausländischer Dienste angewiesen sind.
Der Bundestag wird also länger zu tun haben mit den Lehren aus Magdeburg und dem Schließen offenkundiger Sicherheitslücken. Hoffentlich kommt das Parlament seiner Verantwortung auch nach. Besonnenheit ist gut, sie darf aber keine Ausrede für Untätigkeit werden.
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