Berlin. Nach dem Anschlag in Magdeburg ist eine neue Debatte über die Sicherheit von Weihnachtsmärkten entbrannt. Was auf Besucher zukommen könnte.
Bis ins weit ins Mittelalter hinein reicht die Tradition deutscher Weihnachtsmärkte. Nach der Attacke auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg ist eine neue Debatte um die Sicherheit beim Glühweintrinken und Bratwurstessen auf solchen Veranstaltungen zur Weihnachtszeit entbrannt. In der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts war am Freitagabend ein aus Saudi-Arabien stammender und seit 2006 in Deutschland lebender Mann in den Weihnachtsmarkt gefahren, hatte fünf Menschen getötet und 200 teils schwer verletzt.
Für den Weihnachtsmarkt am Alten Markt in der Magdeburger Innenstadt gab es Angaben der Stadtverwaltung zufolge ein Sicherheitskonzept. Unter anderem für viele Besucher sichtbar waren die farbigen, Legostein-artigen Betonklötze. Der Täter nutzte aber ausgerechnet eine Lücke an einer Fußgängerampel, um sich mit seinem Fahrzeug Zugang zum Weihnachtsmarkt zu verschaffen.
Anschlag in Magdeburg: Mobile Sperre war möglicherweise falsch positioniert
Ronni Krug, Beigeordneter für Ordnung bei der Stadt Magdeburg, sagte, grundsätzlich habe das Sicherheitskonzept für den Markt auch mobile Sperre vorgesehen, die in Rettungsgassen und Notfallzufahren stehen sollten und bei Bedarf entfernt werden konnten. Doch ein solcher Polizei-Bulli fehlte an dem Abend in Magdeburg offenbar – oder war falsch positioniert. Warum, ist Teil der Ermittlungen.
Man könne die Weihnachtsmärkte nicht einbetonieren, sagte Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) nach der Tat. Weitere, schärfere Schutzmaßnahmen sind jedoch durchaus denkbar. Der Experte für die Prävention extremer Gewalttaten wie Amok und Terror von der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, Detlev Schürmann, empfiehlt im Gespräch mit dieser Redaktion zum Beispiel künftig einen Ring aus Fahrzeugsicherheitsbarrieren um bestimmte Weihnachtsmärkte zu errichten.
Experte erklärt, wie sich Weihnachtsmärkte noch besser schützen ließen
„Gängige Produkte funktionieren so, dass sie die Energie des Aufpralls aufnehmen und sich dann in Richtung des Sicherheitsbereichs hereinschieben“, sagte Schürmann. „Gelingt es nicht, wie zum Beispiel am Breitscheidplatz in Berlin, einen solchen Sicherheitsring durch das Abtrennen einer Fahrspur im öffentlichen Verkehrsraum zu erreichen, kann das Einfluss auf die zu bespielende Fläche des Marktes haben. Das sollte bei der Planung berücksichtigt werden.“ Gibt es künftig möglicherweise also vereinzelt nur noch kleinere Märkte? Das ist zumindest nicht ausgeschlossen.
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Ebenfalls denkbar ist, auf den Straßen, die zu einem Weihnachtsmarkt führen oder sich an einem solchen befinden, bauliche Verengungen der Fahrbahn vorzunehmen. Das würde dazu führen, dass Geschwindigkeit erheblich reduziert werden müsste. „Bei einem möglichen Anschlagsszenario würde so etwas bedeuten, dass ein Fahrzeug kaum Anfahrtsstrecke hat, um eine hohe Geschwindigkeit zu erreichen“, sagte Schürmann weiter. Mobile Fahrzeugsicherheitsbarrieren, die eine berechtigte Durchfahrt ermöglichen, gehören zu Standards bei Sicherheitskonzepten mit Zufahrtsschutz. „Dafür ist immer Personal nötig, dass im Notfall die Zufahrt freigibt und dann aber auch wieder schließt.“
Anschlag: Auch „symbolische Sperren“ könnten potenzielle Täter abhalten
Wichtig sei, dass diese Sperren dauerhaft vor Ort und sichtbar seien. „Auch einfache Sperren können eine psychologische Wirkung entfalten, auf den Entschluss eines möglichen Täters Einfluss nehmen und ihn möglicherweise von einer Tat abhalten“, erklärte der Fachmann. Grundsätzlich sind auch Taschen- und Sicherheitskontrollen wie an Flughäfen auf Weihnachtsmärkten denkbar. „Ich glaube, nach Magdeburg werden die Menschen offener den Sicherheitsmaßnahmen gegenüberstehen,“ sagte er. Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, kann sich flächendeckende Eingangskontrollen hingegen nicht vorstellen.
„Wir wollen keine eingebunkerten Veranstaltungen haben. Hochgezogene Sicherheitstrakte mit Betonwänden schrecken Kinder und Erwachsene ab. Das passt nicht zu der Idee von Weihnachten als einem Fest, dass Menschen friedlich zusammenbringt“, so Ritter gegenüber dieser Redaktion. Auch ein mögliches Aus von Weihnachtsmärkten in Innenstadtlagen hält er für keine gute Idee. „Seit Jahrhunderten finden Weihnachtsmärkte rund um Kirchen statt, die sich ja häufig in den Zentren befinden. Wir müssen da bleiben, wo die Menschen sind. Es hat keinen Sinn, irgendwohin auf eine grüne Wiese zu ziehen“.
Anschlag in Magdeburg: „Schutz kann niemals vollständig sein“
Der Deutsche Städtetag sieht ohnehin Grenzen, Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkte zu einhundert Prozent schützen zu können. Den Städten gehe es darum, das Risiko so gering wie möglich zu halten, erklärte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy gegenüber unserer Redaktion. „Trotz des hohen Aufwandes kann der Schutz aber niemals vollständig sein. Weihnachtsmärkte und Stadtfeste sind Orte des Zusammenlebens und des Miteinanders. Das gehört zum typischen Charakter der Städte. Dieses Miteinander dürfen wir uns nicht nehmen lassen“, so Dedy.
Gleichzeitig verweist Dedy auf bestehende Vorkehrungen. „Poller und Durchfahrtsperren an belebten Plätzen und Straßen gehören inzwischen genauso zum öffentlichen Bild von Weihnachtsmärkten wie der Einsatz von zivilen Fahndern. Wo privates Sicherheitspersonal im Einsatz ist, können auch Eingangs- oder Taschenkontrollen sinnvoll sein. Und zur Sicherheit in der Stadt gehört auch, dass wir Wege für Rettungs- und Einsatzkräfte freihalten. Hier sind oft mobile, flexible Barrieren im Einsatz“, sagt er.
Neue Betonsperren? Innenministerin hält eine Sache für viel wichtiger
Baulich Weihnachtsmärkte verändern, noch mehr Barrieren, möglicherweise Kontrollen wie am Flughafen? Die derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Brandenburgs Innenministerin Katrin Lange (SPD) hält davon nichts. Es zeichne sich immer deutlicher ab, dass man es in Magdeburg mit einem Täter zu tun gehabt habe, der ein Gefährder war, aber als solcher nicht erkannt wurde, weil er nicht in die üblichen Kategorien passte.
„Es muss daher für die Zukunft klar im Vordergrund stehen, wie derartige Gefährder, die in die üblichen Kategorien nicht passen, besser erkannt werden können, um die Sicherheit der Menschen im öffentlichen Raum zu gewährleisten“, sagte sie dieser Redaktion. Das, so Lange, sei weitaus wichtiger, als die technische Frage, wie viele Betonsperren an Weihnachtsmärkten noch aufgebaut werden sollen.
In Deutschland gibt es nach Angaben des Schaustellerbundes jedes Jahr rund 3000 unterschiedliche Weihnachtsmärkte mit etwa 160 Millionen Besuchern.
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