Berlin. Nach einer Anzeige gegen Stadt und Polizei kann nun die Staatsanwaltschaft ermitteln. Im Visier: das Schutzkonzept des Weihnachtsmarkts.
Für Sicherheitsbehörden ist klar: Das größte Risiko in einem Schutzsystem ist meist nicht die Technik oder die Taktik, sondern es ist der Mensch. Als Taleb A. am vergangenen Freitag mit seinem dunklen BMW auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt fuhr, nutze er offenbar eine Lücke im Schutzkonzept: eine Durchfahrt ohne Poller, ungeschützt.
An einem der Rettungswege hätte an dem Abend eigentlich ein Bus der Polizei stehen sollen, damit niemand durchkommt. Doch der Einsatzwagen stand offenbar zur Tatzeit woanders, wie eine Sprecherin des Innenministeriums in Sachsen-Anhalt unserer Redaktion auf Nachfrage mitteilte. „Zum Zeitpunkt des Anschlags waren Polizeifahrzeuge an den vier festgelegten Standorten um den Magdeburger Weihnachtsmarkt postiert. Nach dem jetzigen Stand der Aufarbeitung befand sich ein Polizeifahrzeug in der Parkbucht für Taxen in der Ernst-Reuter-Allee und damit nicht an dem nach der polizeilichen Einsatzkonzeption vorgesehenen Standort. Warum dies so war, ist Gegenstand der weiteren Aufarbeitung“, teilte das Ministerium mit.
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Die Parkbucht für Taxen liegt direkt an der Hauptstraße, nur wenige Meter entfernt vor der Stelle, an der Taleb A. auf den Weihnachtsmarkt gefahren sein soll. Es wäre eine Erklärung, warum der Täter trotz Pollern und Polizeiposten an dem Abend das Schutzkonzept umfahren konnte.
Aktuell liegt eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg vor. Eine Person hat sowohl die Stadtverwaltung als auch die Polizei in Magdeburg angezeigt. Damit können die Staatsanwälte zu möglichen Pannen und Fehlern im Sicherheitskonzept gegen einzelne Beschuldigte strafrechtlich ermitteln, und zugleich die Einsatzstrategie der Polizei sowie das Schutzkonzept des Veranstalters des Weihnachtsmarktes strafrechtlich überprüfen. Weil die Polizistinnen und Polizisten in Magdeburg nicht die Fehler ihrer eigenen Kolleginnen und Kollegen ermitteln sollen, würde hier die Polizei in Halle übernehmen.
In Berlin informiert das Bundeskriminalamt die Mitglieder des Innenausschusses
Die strafrechtliche Aufarbeitung steht neben der Untersuchung des Falls durch die Ministerien, sowohl in Sachsen-Anhalt als auch in Berlin. Vor Ort wird zudem entscheidend sein, wie Flucht- und Rettungswege zum Weihnachtsmarkt durch den Veranstalter technisch abgesichert waren, etwa durch ausfahrbare Poller. In Berlin informiert das Bundeskriminalamt am kommenden Montag die Mitglieder des Innenausschusses. Im Fokus steht dabei: Warum wurde der Täter durch die Sicherheitsbehörden nicht stärker ins Visier genommen – wenn es doch mehrere Hinweise auf seine Gefährlichkeit gegeben hatte, aus dem In- und Ausland.
Bei aller Trauer um die Toten und Verletzten gibt es am Weihnachtsfeiertag zumindest aus dem Universitätsklinikum in Magdeburg eine gute Nachricht: Keine der schwerverletzten Personen ist mehr in Lebensgefahr. Das teilte der zuständige Direktor für Intensivmedizin der „Süddeutschen Zeitung“ mit. Von den 15 Schwerstverletzten, die instabil ins Krankenhaus eingeliefert worden seinen – darunter einige Kinder -, hätten die Ärztinnen und Ärzte alle stabilisieren können.
In nur wenigen Fällen zogen sich Betroffene des Attentats schwere Verletzungen am Kopf zu. Das kann nach Ansicht von Medizinern ein Grund sein, weshalb nicht noch mehr Menschen starben. Mehr als 200 wurden verletzt, häufig an Armen und Beinen oder Becken.
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