Berlin. Die Partner der großen Koalition tun sich schwer mit dem Wahlkampf. Mit der jüngsten Debatte scheint nun endlich ein strittiges Thema gefunden: Während Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sich für den Ausstieg stark macht, bekannte sich Angela Merkel (CDU) erneut zur Kernenergie.
Trotz der jüngsten Pannenserie in Krümmel hält Bundeskanzlerin Angela Merkel die Atomkraftwerke grundsätzlich für sicher und ist nach wie vor für längere Laufzeiten. Darauf wies ihr Sprecher Thomas Steg am Montag in Berlin hin. Umweltminister Sigmar Gabriel will den Atomausstieg hingegen beschleunigen und die Atomaufsicht verschärfen. Damit hat der Wahlkampf zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD sein erstes Topthema.
"Der Störfall ist der Normalfall"
Der Betreiber Vattenfall hatte Krümmel am Wochenende nach einem erneuten Störfall vom Netz nehmen müssen. Zuvor war das Kraftwerk in Schleswig-Holstein erst zwei Wochen wieder gelaufen, denn eine Serie von Pannen 2007 hatte einen zweijährigen Stillstand erzwungen.
Gabriel betonte im NDR, Krümmel sei nicht sicher. Deshalb dürfe es «nach meiner festen Überzeugung auch so schnell nicht wieder angeschaltet werden.» Gabriel äußerte insgesamt erhebliche Zweifel an der Sicherheit deutscher Kernkraftwerke. «Der Störfall ist der Normalfall», sagte er dem «Hamburger Abendblatt».
Gabriel fordert Bundes-Atomaufsicht
Ein Unfall oder ein Terroranschlag auf ein Atomkraftwerk könne in einem dicht besiedelten Industrieland wie Deutschland «eine Katastrophe auslösen», betonte der Minister. «Daher bin ich dafür, den Atomausstieg zu beschleunigen.» Das Atomgesetz biete die Möglichkeit, die alten Atomkraftwerke schneller abzuschalten und die Laufzeiten auf jüngere, sicherere zu übertragen.
Darüber hinaus forderte Gabriel in der ARD die Einführung einer einheitlichen Bundesatomaufsicht über alle 17 deutschen Meiler. «Ein Gezerre zwischen Bund und Ländern gibt es nirgendwo auf der Welt», sagte der Minister.
Merkel bekennt sich zur Atomkraft
Die Bundestagswahl stellte Gabriel als Richtungsentscheidung dar: «Am 27. September entscheiden die Deutschen darüber, ob dieser Reaktor und sieben weitere länger betrieben werden, wie es CDU/CSU und Kanzlerin Merkel vorgeschlagen haben, oder ob wir in der nächsten Periode insgesamt acht dieser schwierigen Reaktoren endlich abschalten können.»
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil sprang Gabriel zur Seite. Störfälle wie der in Krümmel zeigten, dass es sich nicht nur um ein Gefühl bei der Bevölkerung handele, dass Atomkraft gefährlich sei, sagte Heil am Montag in Berlin. Daher müsse es beim geplanten Ausstieg aus der Atomenergie bleiben.
Heil: Deutschland exportiert Atomstrom
Heil kündigte an, dass die SPD in der kommenden Legislaturperiode die Voraussetzungen schaffen werde, dass die acht älteren Atommeiler zeitnah vom Netz genommen würden. Die Befürchtung, dass Deutschland darauf angewiesen sein würde, Strom zu importieren, wies Heil zurück. Derzeit führe Deutschland sogar Strom aus den Atommeilern aus. CDU und CSU bezeichnete er als «verlängerten Arm» der Energiekonzerne.
Bundeskanzlerin Merkel hatte sich vorige Woche zum 50-jährigen Bestehen des Deutschen Atomforums eindeutig zur Atomkraft bekannt. Darauf verwies ihr Sprecher Steg. Die Kanzlerin habe keinen Zweifel daran, dass nur zuverlässige Anlagen in Betrieb seien. Gabriels Pläne für eine Bundesatomaufsicht lehnt Merkel ab. Unionsfraktionsvizechefin Katherina Reiche warf Gabriel ein «durchsichtiges Wahlkampfmanöver» vor.
Grüne und Linke für sofortige Abschaltung
Der bayerische Umweltminister Markus Söder (CSU) betonte, in den Ländern hätten sich die Behörden über 30, 40 Jahre die Kompetenz erworben. «Dabei soll es auch bleiben», sagte Söder im Bayerischen Rundfunk. Er hält eine Verlängerung der Laufzeiten nach wie vor für geboten: «Wir können die 60 oder 70 Prozent Strom in Bayern, die wir durch Kernkraft bekommen, nicht einfach von heute auf morgen ersetzen durch andere Werke, vor allem nicht durch Kohlekraftwerke wie es Gabriel will.»
Grüne und Linke verlangten die endgültige Abschaltung von Krümmel. Grünen-Chefin Claudia Roth zeigte sich sicher, dass die Wähler wegen der Atomfrage im September eine schwarz-gelbe Mehrheit verhindern würden. Die FDP äußerte sich erbost über das «neuerliche Versagen» des Betreibers Vattenfall und verlangte Konsequenzen. Eine Änderung der Atomaufsicht lehnte Atomexpertin Angelika Brunkhorst aber ab.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace versperrte am Vormittag das Einfahrtstor zum Kraftwerk Krümmel. Die Polizei griff zunächst nicht ein. (ap/ddp)
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