Hamburg. Nach dem schweren Störfall im Atomkraftwerk Krümmel ist die Debatte um die Kernkraft neu entbrannt. Dabei gerät besonders Betreiber Vattenfall zunehmend unter Druck. Das Unternehmen wird erneut auf seine Zuverlässigkeit geprüft. Für die Grünen ist klar: Vattenfall darf keine Akw betreiben.
Nach dem schweren Störfall im Atomkraftwerk Krümmel bei Hamburg gibt es eine neue Debatte um die Kernkraft. Dabei gerät besonders Betreiber Vattenfall zunehmend unter Druck. Das schleswig-holsteinische Sozialministerium erklärte, man werde das Unternehmen erneut auf seine Zuverlässigkeit prüfen. Die Grünen sprachen Vattenfall die Eignung für das Betreiben von Kernkraftwerken ab. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel kündigte eine härtere Gangart bei der Atomaufsicht an. Ungeachtet dessen will Vattenfall Krümmel noch bis zu neun Jahre nutzen.
Per Notabschaltung musste das Kraftwerk am Samstag nach einem Kurzschluss in einem Transformator bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage vom Netz genommen werden. Laut Vattenfall hatte der Vorfall Ähnlichkeit mit dem schweren Unfall vor zwei Jahren. Damals stand das AKW nach einem Brand für zwei Jahre still.
Nach dem Unfall vom Samstag gab es Folgeschäden bei der Schnellabschaltung: Wegen eines defekten Brennelements erhöhte sich etwa die Radioaktivität im Reaktorwasser. Außerdem kam es zu Problemen bei der Kühlung des Reinigungssystems. Direkt aus dem AKW trat nach Angaben der Behörden aber keine Radioaktivität aus.
Polizei informierte über Zwischenfall
Der zuständige Vattenfall-Geschäftsführer Ernst Michael Züfle erklärte, ein Termin für das Wiederanfahren des Reaktors sei nicht abzusehen. Krümmel solle jedoch nicht endgültig abgeschaltet werden. Es sei noch eine Laufzeit von acht bis neun Jahren geplant. Bei der Atomaufsichtsbehörde in Kiel entschuldigte sich Züfle für die verspätete Information: Das Aufsichtsamt hatte zuerst über die Polizei von dem Zwischenfall erfahren.
Nach der Panne kam es zu schweren Störungen im Stromnetz von Teilen von Schleswig-Holstein und Hamburg. So fielen die meisten Ampeln der Hansestadt aus. Die Hamburger Wasserwerke berichteten, es seien große Schäden im Leitungsnetz entstanden, weil sich Pumpen nach dem Ausfall plötzlich wieder einschalteten. Vattenfall räumte ein, Einkaufszentren und Industriebetriebe hätten sich über Stromausfälle beschwert.
Gabriel will Elektronik aller AKW überprüfen lassen
Die für die Atomaufsicht zuständige schleswig-holsteinische Sozialministerin Gitta Trauernicht drängte Vattenfall zu weitreichenden Konsequenzen. Die SPD-Politikerin verlangte unter anderem, Bauteile im Zweifelsfall komplett zu erneuern, statt nur zu reparieren.
Gabriel verwies darauf, dass die Ursachen der Schnellabschaltung wie bei früheren Störfallen in der Elektronik des AKW zu suchen seien. Er werde «über die Atomaufsicht des Bundes prüfen lassen, ob es in anderen deutschen Kraftwerken ähnliche Probleme mit der Elektronik gibt».
Die Entscheidung über die Zukunft des Reaktors wolle er selbst treffen, betonte der Minister: «Wir sind uns einig, dass ein Wiederanfahren des Reaktors nur nach vorheriger Zustimmung der Bundesaufsicht erfolgen wird.» Formal üben die Länder die Atomaufsicht aus. Der Bund hat ihnen gegenüber jedoch ein Weisungsrecht.
Forderung nach Abschaltung
Die Union rief der SPD-Politiker zu einem Kurswechsel in der Atompolitik auf. Die jüngsten Vorfälle bewiesen, dass eine Laufzeitverlängerung für ältere Kraftwerke unverantwortlich sei.
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, wies die Forderung Gabriels zurück. «So lange Kernkraftwerke sicher sind, sollen sie auch laufen können», sagte der CDU-Politiker. Gabriels Forderung führe nur zu einer weiteren Erhöhung der Strompreise.
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Die Grünen-Chefin Claudia Roth verlangte eine umfassende Aufklärung des Vorfalls. Ebenso wie mehrere Umweltorganisationen forderte sie, das AKW endgültig abzuschalten. Die Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast erklärte, bei der Bundestagswahl werde auch über die Zukunft der Kernenergie entschieden. «Wer will, dass alte Schrottreaktoren wie Krümmel abgeschaltet werden, muss mit uns gegen eine schwarz-gelbe Koalition im Bund kämpfen», sagte sie. (ap)