Berlin. Nach dem jüngsten Störfall im Kernkraftwerk Krümmel eröffnet Umweltminister Gabriel den SPD-Wahlkampf ums Atom. Acht Reaktoren will er stilllegen lassen. Und die SPD weiß, was sie an dem Mann aus Goslar hat: Er ist eine echte Rampensau und der Sozi, der auf den Busch klopft.

Für Sigmar Gabriel ist Wahlkampf kein schmutziges Wort und kein Niveau, für das er sich genieren müsste. Seit dem Störfall im AKW Krümmel führt der Umweltminister Wahlkampf um die Atomfrage. Es ist eine Kampagne, die als Ego-Trip den Anfang nahm, aber längst auch andere in der SPD mitreißt, nicht zuletzt ihren Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier.

Gabriel (49) weiß, dass der jüngste Störfall nicht lange im Wahlkampf tragen wird. Der Reaktor ist erst mal stillgelegt. Der Minister vermutet, dass der Betreiber Vattenfall den Meiler „nicht in den nächsten neun Wochen” in Betrieb nehmen will. Gabriel erzählt es im spöttischen Unterton. Das soll wohl heißen: Den Gefallen werde Vattenfall der SPD schon nicht tun.

"Wahlkampf? Ja, na klar."

Sein vorzeitiger Wahlkampf ist vor allem eine Demonstration von Leidenschaft und quasi eine Vorführung. So stellt sich der Mann aus Goslar eine inhaltliche Zuspitzung vor. Morgens um neun Uhr bat er die Journalisten am Freitag zum Frühstück ins Ministerium. Den Verdacht, der im Raum ist, greift er selbst auf. Wahlkampf? „Ja, na klar, ich würde es nicht bestreiten.”

Die Union habe „Angst” vor dem Wahlkampf; davor, dass deutlich werde, dass sie sich „gnadenlos zum verlängerten Arm der Atomlobby” gemacht habe. Sie versuche das Thema bis zum 27. September unter den Teppich zu kehren – Gabriel tut genau das Gegenteil.

Als Krümmel vor einer Woche einen Störfall meldete, ging Gabriel in die Offensive: Mit Interviews und mit Forderungen, von Tag zu Tag schriller. Erst ging es um Krümmel, dann um die Atomaufsicht, die er für den Bund allein reklamierte. Dann flog er in die Ukraine, besuchte den Unglücksreaktor in Tschernobyl und forderte einen schnelleren Atomausstieg. Nun folgte die Steigerung. Er drohte mit mehr Kontrollen der Meiler und einer Sondersteuer auf Uran oder Plutonium. Erst sollten mindestens vier Kraftwerke bis 2012 vom Netz gehen, dann sieben, seit Freitag sogar acht.

Atom-Eifer gern den Grünen überlassen

Die SPD war erst mal geplättet. Solchen Eifer hat man bisher in der Atomfrage gern den Grünen überlassen. Dazu kam, dass Steinmeier gerade zu einer Nahost-Reise aufgebrochen war. Der Außenminister konnte schlecht in Israel Wahlkampf machen. Irgendwann war die SPD doch davon angetan, wie viel Wind ihr Umweltminister machen kann. Generalsekretär Hubertus Heil schloss sich an, ebenso Justizministerin Brigitte Zypries, schließlich – nach der Rückkehr – der Kanzlerkandidat. Wer Krümmel als Kraftwerke mit Zukunft bezeichne, scheide als ernst zu nehmender Politiker aus. Für seine Verhältnisse war das geradezu eine Keilerei.

Die Angriffe gelten der Union und der FDP. Intern setzte sich dann eine weitere Interpretation durch. Die SPD müsse sich innerhalb des rot-grünen Lagers behaupten. Einfach gesagt: Rot-Grüne Wechselwähler sollen sich in punkto Atomausstieg auch bei der SPD gut aufgehoben fühlen.

Der Sozi, der auf den Busch klopft

Sonderlich beliebt ist Gabriel im SPD-Betrieb nicht. Es gibt genug Parteifreunde, die alte Rechnungen begleichen wollen. Er gilt als politisch sprunghaft, ein windiger Typ, als Person auch zu aufbrausend. Seine Politik wird nicht unkritisch gesehen. Im SPD-Vorstand bringt er sich wenig ein, wie Teilnehmer klagen. Dienstags in der Fraktion stört es viele, wenn „Siggi” erst mal seinen Laptop einschaltet und arbeitet; damit zu verstehen gibt, dass er hier nur eine lästige Pflicht erfüllt und Besseres zu tun hat. Dass er im Vergleich zu Steinmeier eine echte Rampensau ist und eine nordkurventaugliche Sprache pflegt (Gabriel über Gabriel), bestreitet keiner. Mit seinen 49 Jahren muss er neben Andrea Nahles und Klaus Wowereit zur nächsten Führungsgeneration (viele Alternativen gibt es nicht) gezählt werden. Und, ja doch, sie wissen, was sie an dem Mann aus Goslar haben: Er ist der Sozi, der auf den Busch klopft.