Berlin. Der Ukraine gelingen in Kursk wichtige Erfolge. Doch auf ihrem eigenen Gebiet geraten sie massiv unter Druck, sagt Militärexperte Masala.

  • Die Ukraine gibt in Kursk nicht auf
  • Die ukrainischen Streitkräfte greifen weiter russische Stellungen an
  • Noch immer hat Putin dagegen kein Mittel gefunden
  • Militärexperte Masala sagt: Das hat aber einen hohen Preis

Die Ukrainer rücken im Raum Kursk weiter vor. Die russischen Streitkräfte haben sich bislang nicht gegen sie durchsetzen können. Doch zum einen ist völlig offen, wie lange Kiew die von Präsident Selenskyj erwünschte Pufferzone aufrechterhalten kann. Zum anderen steht die Ukraine nach den Worten des Militärexperten Carlo Masala auf dem eigenen Territorium schwer unter Druck.

Herr Masala, bringt die ukrainische Offensive im Raum Kursk den gewünschten Erfolg?

Carlo Masala: Das Narrativ hat sich gedreht: Jeder ist überrascht, dass es der Ukraine gelungen ist, diesen Angriff im Geheimen vorzubereiten und durchzuführen. Wird das auch in den kommenden Wochen noch erfolgreich verlaufen? Es ist noch zu früh, das zu sagen.

Carlo Masala: Der Militärexperte sieht die russischen Streitkräfte auf dem Vormarsch – zumindest in einer Gegend.
Carlo Masala: Der Militärexperte sieht die russischen Streitkräfte auf dem Vormarsch – zumindest in einer Gegend. © picture alliance / Geisler-Fotopress; AFP (Montage ZRB) | ZRB

Wolodymyr Selenskyj sprach davon, eine Pufferzone in der Oblast Kursk einrichten zu wollen…

Masala: Das hat er mit der Operation getan. Aus Kursk heraus könnten russische Angriffe auf ukrainisches Territorium erfolgen – und das ist jetzt durch den Vormarsch der Ukrainer erstmal ausgeschlossen. Die Frage ist: Wie lange will er diese Pufferzone aufrechterhalten? Zwar haben die Russen derzeit Probleme, genügend Truppen zu mobilisieren, um sie nach Kursk zu führen. Es mangelt ihnen auch an militärischem Gerät vor Ort, vor allem an Artillerie. Werden sie diese Probleme lösen? Wenn ja, wie lange wird die Ukraine in der Lage sein, diesen Raum zu halten? Das kann man aktuell nicht beantworten. 

Carlo Masala

Er ist einer der bekanntesten Militärexperten in Deutschland. Masala (Jahrgang 1968) lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Konflikt in der Ukraine.

Die Russen scheinen aktuell ziemliche Probleme zu haben. Die Ukrainer haben drei wichtige Brücken über den Fluss Sejm beschädigt oder sogar zerstört…

Masala: Das ist eine normale Kriegshandlung. Die Russen könnten auf Pontonbrücken ausweichen. Die Probleme der russischen Truppen liegen eher darin, dass sie keine professionellen strategischen Reserven haben. Sie schicken zahlreiche Wehrpflichtige in die Oblast Kursk, die dort auf gut ausgebildete ukrainische Kämpfer stoßen. Selenskyj sprach davon, dem russischen Material so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Doch auch die Russen arbeiten mit Gleitbomben und zerstören ukrainisches Gerät. Allerdings: Momentan sieht es aus, als würde sich die Rückeroberung des Territoriums schwieriger für sie gestalten. 

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Beide Seiten haben aus dem Donbass Truppen abgezogen, um in Kursk zu kämpfen. Wie ist das Kräfteverhältnis aktuell im Osten der Ukraine?

Masala: Bei der Bewertung muss man vorsichtig sein. Vor allem das Verhältnis von Artilleriegeschossen hat sich zuletzt stark zugunsten der Russen verändert. 10:1 heißt es teilweise, aber selbst wenn es 7:1 wäre, hätten wir eine deutliche Artillerie-Überlegenheit der Russen.   

Wie ist die Lage aktuell in der nordwestlich von Donezk gelegenen Stadt Pokrowsk?

Masala: Es ist sehr gefährlich. Die Stadt ist strategisch entscheidend, weil sie zwischen zwei Autobahnen liegt und damit ein wichtiger Versorgungsknotenpunkt ist. Die Russen stehen nach jüngsten Informationen zehn Kilometer vor der Stadt. Noch etwa eine Woche, dann kämpfen sie vermutlich um die Randbezirke. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Stadt erobern, ist relativ groß.

Berichten zufolge werfen die russischen Streitkräfte im Moment viel neues Material in die Schlacht. Ist das ein Indiz dafür, dass ihre Lager leer sind?

Masala: Ich bin sehr zurückhaltend, das zu bestätigen – auch wenn es diese Vermutung seit Längerem gibt.

Die Bundesregierung hat mit der Entscheidung, keine zusätzlichen Mittel für die Ukraine aus dem Haushalt zur Verfügung zu stellen, für Aufsehen gesorgt. Die Hilfen sollen kommen, über die eingefrorenen russischen Zinserlöse – aber was ist das für ein Signal an Putin?

Masala: Kommunikativ war das, was die Ampel-Regierung da am Wochenende veranstaltet hat, ein Super-GAU. Dass man die Zinserlöse der eingefrorenen russischen Guthaben verwenden will, ist schon vor längerer Zeit beschlossen worden. Aber der Plan ist bisher nicht vollumfänglich umgesetzt worden. An sich ist die Idee gut. Aber weil das Geld noch nicht in vollem Umfang zur Verfügung steht, sieht das nach außen doof aus.

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Die Rede war von Bedarfsmeldungen, die weitergereicht werden müssten – das Ganze wirkt angesichts der dramatischen Lage der Ukraine überbürokratisiert…

Masala: Das stimmt. Aber das Zweite ist die Botschaft der Ampel: Wir verlagern die Finanzierung der Ukraine-Hilfe und machen einen innenpolitischen Punkt – nämlich dass man nicht mehr so viel Geld für die Ukraine ausgibt. Das soll einer Sahra Wagenknecht den Wind aus den Segeln nehmen. 

Hat die Ukraine mit dem Angriff auf die Oblast Kursk eventuell die Chance verpasst, in Verhandlungen mit Russland einzutreten?

Masala: Nach Informationen der „Washington Post“ sollte über ein Moratorium verhandelt werden, damit die Anschläge gegen zivile Infrastruktur aufhören. Die Russen würden sich mit den Verhandlungen also selbst einen Gefallen tun, weil ihre eigenen Kraftwerke immer wieder massiv beschädigt werden. Das deutet darauf hin, dass die Erwartungshaltung aufgeht, dass die Russen an den Verhandlungstisch kommen, wenn sie negative Konsequenzen befürchten müssen. Von der ukrainischen Seite hört man, es könnte Gespräche am 22. August geben – die Russen bestreiten das. Man muss aber klar sagen: Friedensgespräche standen nie zur Debatte.