Berlin/New York. Den Auftritt bei der Nato hat Biden nicht komplett vergeigt – aber die Kritik hält an. US-Experte van de Laar sieht ein großes Problem.

Bei der Pressekonferenz nach dem Nato-Gipfel hat US-Präsident Joe Biden seine Kritiker nicht vollends von sich überzeugen können. Im Gegenteil: Wichtige Sponsoren haben am Freitag erklärt, 90 Millionen Dollar an Spenden einzufrieren, solange Biden Präsidentschaftskandidat bleibt. US-Kampagnenexperte Julius van de Laar erklärt, wie ein mögliches Szenario für die Demokraten nun aussehen könnte.

Herr van de Laar, Joe Biden hat sich mit der Verwechslung von Selenskyj mit Putin bei seiner Pressekonferenz einen riesigen Faux-Pas geleistet…

Ich habe das live gesehen und dachte sofort: um Gottes willen! Die Aufmerksamkeit auf dieser Pressekonferenz war extrem hoch. Klar ging es auch um den Nato-Gipfel und um das, was dort beschlossen wurde. Doch letztlich stand eine große Frage im Raum: Wird Joe Biden, trotz seines Alters, seiner Fitness und dem wachsenden Druck aus den eigenen Rängen weiterhin kandidieren? Dann kam er auf die Bühne und hat de facto ab Minute eins gesagt: Ich kann das. Seht, was ich alles erreicht habe. Innen- und außenpolitisch. Er verwies auch auf die Nato-Partner, die ihn, laut Biden, für seinen Einsatz gelobt haben. Allen Kritikern hat Biden klar zu verstehen gegeben: Er zieht sich nicht zurück.

Ist das die Kernbotschaft aus dieser Pressekonferenz?

Im Grunde ja. Biden hat das von Tag eins nach dem TV-Duell gesagt und ist dieser Linie treu geblieben.

Zur Person

Julius van de Laar ist ein international tätiger Politikstratege und Kommunikationsberater. Er lebte 7 Jahre in den USA. Nach dem Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Furman University in den USA arbeitete er in den US-Präsidentschaftswahlkämpfen 2008 und 2012 als hauptamtlicher Wahlkämpfer für Barack Obama.

Ist der Auftritt ein weiteres Scheitern des 81-Jährigen?

Auch wenn er Donald Trump fälschlicherweise als seinen Vizepräsidenten bezeichnet hat, würde ich sagen: Der Auftritt war besser als das TV-Duell mit Trump. Aber: Was soll das für eine Messlatte sein? Ein Präsident schafft es, eine Pressekonferenz zu bewältigen? Dazu muss man sagen: Es war die erste Pressekonferenz seit acht Monaten, die Biden gegeben hat! Er hat weniger Pressekonferenzen gegeben als alle US-Präsidenten seit Ronald Reagan. Das Format war auch etwas gnädiger: Anders als in der TV-Debatte konnte Biden bei der Pressekonferenz selbst das Tempo bestimmen und die Journalistinnen und Journalisten, denen er eine Frage gewährt, selbst bestimmen – sämtliche Zweifel an seiner Kandidatur hat er damit aber nicht ausräumen können.

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Unter den Demokraten läuft das Geraune weiter …

56 Prozent der demokratischen Wählerinnen und Wähler sagen laut Umfragen, Biden sollte zurückziehen. Und auch bei den Abgeordneten lässt die Nervosität nicht nach. Man fragt sich: Was passiert, wenn Biden in der heißen Wahlkampfphase ab September noch einmal einen so verheerenden Auftritt hinlegt wie im Duell gegen Trump – und es dann zu spät für einen Kandidaten-Wechsel ist? Die Abgeordneten im Kongress haben natürlich auch ihre eigenen Jobs im Blick. Sie sehen, wie die Umfragen einbrechen und die Kandidaten der Partei immer weiter zurückfallen.

Die Alternative stünde ja bereit…

Das ist richtig! Eine neue Umfrage des Emerson Colleges zeigt Kamala Harris vor Trump, mit 49 zu 47 Prozent. Die Alternative wäre also vorhanden. Doch Biden gibt dem Druck nicht nach und glaubt, dass er nach wie vor der Kandidat ist, der die besten Chancen hat.

US-Vize-Präsidentin Kamala Harris.
US-Vize-Präsidentin Kamala Harris. © TNS | Las Vegas Review-Journal

Wie ist die Rolle von Nancy Pelosi zu bewerten?

Pelosi ist eine absolute Strippenzieherin im Kongress. Es gibt viele Demokraten, die mittlerweile ihre eigenen Berechnungen anstellen und abwägen: Wenn ich mich jetzt gegen Joe Biden ausspreche und er am Ende doch gewinnt, dann sieht es schlecht aus. Wer in einem sicheren Kongress-Wahlkreis für die Demokraten sitzt und weiß, dass er oder sie auch in der kommenden Legislaturperiode in den Kongress einziehen wird, spricht sich nicht so schnell gegen Biden aus wie jemand, der in einem Swing State sitzt und um seinen Wiedereinzug in den Kongress fürchten muss.

Was gibt den Demokraten jetzt noch Hoffnung?

Trump ist quasi in den Umfragen vor Biden. Die Debatte über Bidens Gesundheitszustand wird nicht zu Ende gehen — möglicherweise nur, wenn er sich einer kognitiven Untersuchung unterzieht und die Resultate offenlegt. Und selbst dann definieren die Bilder und Videos, die wir täglich von Aussetzern sehen, unsere gefühlte Realität. Der einzige Hoffnungsschimmer für die Partei ist, dass sich ab Montag alle Aufmerksamkeit auf Trump beim Nominierungsparteitag der Republikaner richtet. Vielleicht können die Demokraten dann auch wieder mehr inhaltliche Punkte machen – etwa zum erzkonservativen „Project 2025“ von der Heritage Foundation

… einem Thinktank, der Amerika einem radikal konservativen Wandel unterziehen will …

Genau. Die Demokraten wissen: Wenn es ihnen nicht gelingt, einen jetzt noch einen Wechsel an der Spitze der Partei vor dem Nominierungsparteitag im August einzuleiten, ist der Zug für einen neuen Kandidaten oder Kandidatin abgefahren. Was man nicht vergessen darf: Die Wahl geht im Prinzip Anfang September los. Die ersten Bundesstaaten wie etwa North Carolina lassen ab da schon die Stimmabgabe zu. Heißt: Die Stimmzettel müssen mit entsprechend viel Vorlauf gedruckt und verschickt werden. Da muss klar sein: Wessen Name steht drauf? Die Zeit läuft einfach davon.  

Und nun hat in dieser Woche auch noch George Clooney Biden seine Unterstützung entzogen. Wie schlimm ist das für Joe Biden?

George Clooney hat einen bemerkenswerten Text geschrieben. Vor allem war er zu 100 Prozent eindeutig: Joe Biden muss sich zurückziehen. Das hat er auch nicht irgendwo veröffentlicht, sondern in der „New York Times“ geschrieben. Und das hat Wellen geschlagen und war auch ein Signal an viele andere Spender: Biden hat eine Menge Geld auf dem Konto, aber bei weitem nicht genug. Erste Berichte sind diese Woche veröffentlicht worden, dass das Fundraising der Biden-Kampagne bereits eintrocknet. Laut einem „New York Times“-Bericht frieren Geldgeber jetzt rund 90 Millionen Dollar ein, solange Biden an seiner Kandidatur festhält. All das kann zu existentiellen Problemen führen. Wenn es der Kampagne nicht gelingt, den cash flow wieder herzustellen, ist das der Moment, in dem eine Kandidatur normalerweise zu Ende geht.

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Nach Informationen des US-Senders ABC soll Clooney Barack Obama im Vorfeld über seinen Text informiert haben. Was ist das für ein Zeichen, dass Obama ihn davon offenbar nicht abgebracht hat?

Darüber kann ich nur spekulieren. Aber Obama liest dieselben Umfragen, die wir alle lesen. Es sieht im Moment sehr schwer aus. Möglicherweise hat Obama gedacht, der öffentliche Text Clooneys könnte Biden dazu bewegen, die Kandidatur zurückzuziehen.

Wie kann das jetzt weitergehen?

Wenn ich mir überlegen müsste, wie man die ganze Sache als Kampagnen-Manager am besten plant, um das Blatt zu wenden, könnte das so aussehen: Ideal wäre es eigentlich, wenn Biden am Montag zum Auftakt des Republikaner-Parteitags in Milwaukee seinen Rückzug erklären würde. Das hätte ihm die mediale Aufmerksamkeit gesichert. Normalerweise dringt man als Oppositionspartei bei solchen Großereignissen nicht durch. Am Dienstag würden die Demokraten ihren Plan und Prozess vorstellen, wie Biden ersetzt werden soll. Am Mittwoch würden die aussichtsreichsten Politiker ihre Kandidatur bekannt geben – so könnte das Szenario gehen. Doch das ist alles hypothetisch, denn aktuell gibt es keinen Indikator für einen Rückzug Bidens. Ich prognostiziere: Auf dem republikanischen Parteitag werden die Videos mit Bidens Stolpereien, Verhasplern und Putin-Selenskyj-Versprechern rauf und runter laufen.

Wie hat sich Donald Trump in den vergangenen Tagen gezeigt?

Das ist spannend – nämlich fast gar nicht, mit Ausnahme von einigen wenigen Veranstaltungen. Er hat die Scheinwerfer komplett auf Joe Biden gelassen und den Medien keinen Angriffspunkt geboten. Eine clevere Medienstrategie. Das zeigt aus meiner Sicht auch: Die Trump-Kampagne will nach wie vor gegen Joe Biden kandidieren und hält jeden anderen Kandidaten für schwerer zu schlagen als den amtierenden Präsidenten.

Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung in Miami, Florida.
Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung in Miami, Florida. © DPA Images | Rebecca Blackwell

Wie geht es für Trump weiter?

Auf dem Parteitag wird er seinen running mate, also seinen Vize-Präsidentschaftskandidaten, bekannt geben. Das ist der nächste logische Schritt. Die wahrscheinlichsten Kandidaten sind Marco Rubio aus Florida, JD Vance und Doug Burgum aus North Dakota. Die Republikaner werden beim Thema Migration hart bleiben. Beim Thema Abtreibung werden sie sich moderater geben. Trump will zeigen: So ein schlimmer Hardliner bin ich gar nicht, auch die soccer moms aus dem Mittleren Westen können mich guten Gewissens wählen.