Berlin. Abschiebepolizist William Bobach erzählt von seinem krassesten Flug, wann ein Festhaltegurt benutzt wird und wie vielfältig sein Job ist.
- Nach den Angriffen von Solingen, Mannheim, Magdeburg, Aschaffenburg und München bestimmt die Migrationsdebatte den Wahlkampf
- Viele Parteien wie die CDU fordern eine höhere Zahl von Abschiebungen
- Zuletzt hoben Flieger nach Afghanistan und Richtung Irak ab
- Ein Abschiebepolizist erklärt, mit welchen Widrigkeiten er zu kämpfen hat
- William Bobach schildert, was sein „krassester Flug“ war
Nach Mannheim, Magdeburg, Aschaffenburg und München bestimmt das eine Thema den Wahlkampfendspurt: die Migration. Von Grünen über SPD, CDU, FDP und AfD legen die Parteien Konzepte vor, die vor allem eine restriktivere Politik fordern. Besonders bei Parteien rechts der Mitte bedeutet das: Grenzen kontrollieren und abschieben. Vor über einem Jahr hatte Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt, im großen Stil Menschen in ihre Heimatländer zu bringen, die sich nicht in Deutschland aufhalten können. Die Zahl der Rückführungen stieg zwar zuletzt – allerdings nicht genug, meint zumindest der politische Mitbewerber.
Auf politischer Ebene kämpft die Bundesregierung mit zahlreichen Widrigkeiten. So besteht kein diplomatischer Kontakt zum Taliban-Regime in Afghanistan, von wo aus einst die Tatverdächtigen von Aschaffenburg und München flohen. Erst ein Abschiebeflug mit straffällig gewordenen Ausreisepflichtig hob seit der Machtübernahme in Richtung Kabul ab. 47 Menschen aus dem Irak wurden Mitte Februar in ihre Heimat gebracht.
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Doch auch praktisch sind Rückführungen kein leichtes Unterfangen, weiß William Bobach. Für ihn gehören sie trotzdem zum Alltag. Der Bundespolizist ist „Personenbegleiter Luft“ – eine Tätigkeit, die er freiwillig im Nebenamt ausführt. Seine Aufgabe: Ausreisepflichtige am Flughafen von den Ausländerbehörden oder der Landespolizei in Empfang nehmen und außer Landes bringen. Ein Abschiebepolizist also.
Polizist William Bobach begleitet Abschiebungen im Flugzeug
Auf die Frage, wohin er denn als Nächstes abschiebt, zückt William Bobach sein Handy. Sein Kalender ist gut gefüllt: „Nach Lagos. Später dann nach Belgrad und Baku“, so der Beauftragte der Jungen Polizei der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Er steht auf dem Freilichthof des Münchner Flughafens. Dort, wo Reisende ein-, aus- oder umsteigen, ist für gewöhnlich Bobachs Arbeitsplatz. Doch mehrmals im Monat steigt auch er die Flugzeugtreppe hinauf. Im Schlepptau: Ausreisepflichtige, die er zurück in die Heimat bringt.
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„Es müssten weit über 100 Flüge sein“, mutmaßt der Polizeihauptmeister. Die genaue Statistik hat er mittlerweile aufgegeben. Seit vier Jahren bildet er zudem seine Kolleginnen und Kollegen für Abschiebungen aus. So viele Ausbilder gebe es ja nicht. „Das zeigt natürlich, dass ich mich für das Thema Rückführungen interessiere.“
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Als „unmittelbar ausreisepflichtig“ mussten deutschlandweit in der ersten Jahreshälfte 2023 rund 54.300 Menschen eine Abschiebung fürchten, so die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken. In Anbetracht der fast 280.000 Ausreisepflichtigen ist das ein Bruchteil, da der Rest eine Duldung vorweisen kann. Laut Ausländerzentralregister befanden sich vor einem Jahr unter den unmittelbar Ausreisepflichtigen knapp 19.500 abgelehnte Asylbewerber. Hinzu kommen Menschen, die aus anderen Gründen ihren Aufenthalt verwirkt haben. So können ausländische Arbeiter, Studierende oder Touristen, deren Visum, Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis ausgelaufen ist, „unmittelbar ausreisepflichtig“ werden.
Abschiebungen: Bobachs „krassester“ Flug ging nach Italien
Bobach ist in Sachsen geboren und wollte eigentlich Sport studieren. Seinen breiten Schultern sieht man seine Sportlichkeit an. Nach einer Verletzung entschied er sich aber für den „sicheren“ Weg und machte eine Ausbildung zum Polizeivollzugsbeamten. Sich an Regeln zu halten und Regeln für andere durchzusetzen – das passe zu ihm.
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„Der krasseste und schlimmste Flug, den ich erlebt habe, war eine Rückführung nach Italien“, erinnert sich Bobach auf die Frage nach seinem eindringlichsten Erlebnis. „Da ging es um 17 Afrikaner, die schwerste Widerstände geleistet haben.“ Bereits im Bus seien sie gewalttätig gegenüber den Beamten geworden, hätten sich selbst verletzt, eingekotet und eingenässt. Später seien dann Flugzeugsitze auseinandergenommen worden. „Wenn mal einer ausrastet, okay. Aber dass alle 17 gleichzeitig Widerstand leisten, das war schon Wahnsinn.“
Die Abschiebung von Menschen als Alltag
Dann gibt es noch diejenigen, die sich einkoten. Dreimal sei ihm das in der letzten Zeit passiert. „Die werden dann zurückgebracht, mit Wasser sauber gemacht, bekommen neue Klamotten – und dann versuchen wir es aufs Neue.“ Dass Ausreisepflichtige sich wehren oder sich selbst verletzen, um ihre Rückführung zu verhindern, komme regelmäßig vor. „Neuralgische Punkte sind an der Treppe beim Zustieg.“ Zudem wollten viele an Bord von Linienfliegern das Aufsehen der anderen Fluggäste erwecken, um den Abflug zu verhindern. Wenn er erzählt, klingt Bobach routiniert. Die Abschiebung von Menschen als Alltag.
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„Wenn dann Gewalt im Spiel ist, müssen wir die Rückkehrer mit einem speziellen Festhaltegurt oder anderen Fesslungsmitteln fixieren“, so Bobach. Oder aber eine Art Helm aufsetzen, um Spuckattacken oder Kopfstöße zu vermeiden. Das „Rumgeschreie“ müsse er dann einfach aushalten. Bei Linienflügen entscheide sich der Kapitän zwar oft gegen den Abflug, da den meisten der Festhaltegurt zu martialisch sei. Sammelflüge hingegen werden seltener abgebrochen.
Vor jedem Flug setzt sich Bobach mit der „Vita“ des Rückzuführenden auseinander. Er begleitet Menschen unterschiedlicher Backgrounds in verschiedene Teile der Erde. „Afrika habe ich, glaube ich, schon gänzlich gesehen“, so der 32-Jährige. In der ersten Jahreshälfte 2023 wurden aus Deutschland 7861 Menschen abgeschoben – vorwiegend nach Georgien, Nordmazedonien, Afghanistan, Albanien und in die Türkei. Für Polizisten wie Bobach geht es in die ganze Welt.
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Bobach schwärmt von der Vielfältigkeit seines Jobs, bei dem er mit Kollegen eng im Team zusammenarbeitet und sich auch mit den Rückkehrern über die verschiedenen Kulturen austausche. „Die meisten Rückführungen verlaufen ja auch ganz okay“, sagt er. Er könne Small Talk über Hobbys oder Familie führen. „Ich begegne jedem gleich auf Augenhöhe“, das gehöre zu den Standards der Rückführungspraxis. Mehrmals erwähnt er den Vorfall von 1999, wo der sudanesische Flüchtling Aamir Ageeb bei einer Rückführung ums Leben kam. „Das darf einfach nicht noch mal passieren.“
Beamte werden schnell in eine Ecke gedrängt
Zwangsläufig sei man in seinem „Business“ auch politisch interessiert, sagt er. Und auch wenn Beamte mit gewissen Haltungen schnell in eine Ecke gedrängt würden, könne er sich positionieren: „Natürlich sollte Deutschland, um die Wirtschaftlichkeit der Bundesrepublik zu erhalten, Rückführungen weiter durchführen – und wenn notwendig die Zahl erhöhen.“ Viel zu viele ausreisepflichtige Personen gebe es hierzulande. „In der Bundesrepublik Deutschland kann man sich meiner Meinung nach relativ viel erlauben, bis aufenthaltsbeendende Maßnahmen auferlegt werden.“ Es müsse völlig klar sein, dass Menschen, die Deutschland eher schaden als Gutes tun, das Land verlassen. Schließlich koste auch die JVA täglich Geld.
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
Abgesehen von der Tatsache, dass sie nicht freiwillig ausreisen, ist weniger als die Hälfte der Rückzuführenden mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Von Januar bis September 2023 wurden 799 Menschen vom Münchner Flughafen rückgeführt, teilte das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen unserer Redaktion mit. 314 von ihnen waren rechtskräftig verurteilt. Das entspricht einer Quote von rund 40 Prozent.
Ob der Abschiebepolizist am Job zweifelt? „Ich bin ja nur das letzte Glied der Kette“
Zahlen, hinter denen sich auch immer individuelle Geschichten verstecken. Mit nach Hause nehme Bobach seine Erlebnisse aber nicht, sagt er. „Aber natürlich bin ich kein Roboter, den das alles kaltlässt – vor allem, wenn ich Kinder betreue.“ Mitunter waren sie noch nie in dem Herkunftsland ihrer Eltern. „Da würden mir ad hoc immer andere Fälle einfallen, die man prioritär behandeln sollte.“
Ein Grund zum Zweifeln für den Bundespolizisten? Natürlich hinterfrage er diese Fälle. Doch gezweifelt habe er noch nie an seinem Job – schließlich würden die Entscheidungen ohnehin andere treffen. Wen er abschiebe, behandle er als neutralen Teil seines Aufgabengebietes. „Das obliegt ja nicht mir. Ich bin ja nur das letzte Glied der Kette.“
Dieser Text wurde erstmals am 27. August 2024 veröffentlicht.