Berlin. Der Afghane, der in die Demo raste, hat wohl doch ein islamistisches Motiv. Ermittler werten das Handy aus. Doch offene Fragen bleiben.

Farhad N. ist stolz auf seinen Körper. Das zeigen die Bilder und Videos, die der 24-jährige Afghane in den sozialen Medien postete, ganz deutlich. Man sieht den mutmaßlichen Täter von München viel im Fitnessstudio, wo er sein Körper stählt, um ihn dann in Wettbewerben zu präsentieren. 2024 nahm er an einer Bodybuilding-Meisterschaft in Bayern teil.

Er belegte den 4. Platz in der Kategorie Männer Physique 3 (über 180 cm). Bei dieser Bodybuilding-Kategorie geht es vor allem Ästhetik und Proportionen des Oberkörpers, Ziel ist eine V-Form: Möglichst breite Schultern, möglichst schmale Taille. Zu den Posts seiner definierten Muskeln schreibt er Sätze wie „Oh Allah, beschütze uns immer“, auf seinem TikTok-Profilbild steht „Wir sind Gott“. Über 32.000 Accounts folgten ihm auf der Plattform, inzwischen ist das Profil nicht mehr aufrufbar.

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Bevor Farhad N. mit seinem Wagen – einem cremefarbenen Mini mit Rosenheimer Kennzeichen – in die Demonstration der Gewerkschaft Verdi in München raste, soll er eine Nachricht mit dem Satz „Vielleicht bin ich morgen nicht mehr da“ an Angehörige versendet haben. Nun sind gut 39 Menschen verletzt, eine Mutter und ihr Kind tot.

Täter Anschlag München 13.02.2025
Farhad N. posiert mit dem Tatauto. © Screenshot | Instagram

Das Handy von Farhad N. wird derzeit noch ausgewertet, er soll viel auf Dari kommuniziert haben, der Sprache seines Heimatlandes. Noch ermitteln Staatsanwaltschaft und Polizei das Motiv der Tat. Es gibt Widersprüche, es gibt Ungereimtheiten. Und doch sagt die Staatsanwältin Gabriele Tilmann: „Ich würde mich, nach allem, was wir jetzt wissen, schon trauen, von einer islamistischen Tatmotivation zu sprechen.“

Die Staatsanwältin ist vorsichtig in ihren Worten. Und doch scheint sich aus den ersten Auswertungen des Handys des Afghanen das islamistische Motiv zu erhärten. Der Beschuldigte soll nach der Tat auch der Polizei in dem Verhör Auskunft über die Tat gegeben haben.

Bei seiner Festnahme rief der mutmaßliche Täter von München „Allahu Akbar“

Es gibt zudem einen Post in den sozialen Netzwerken, der wenige Tage alt sein soll – und der aufhorchen lässt. N. steht im schwarzen Kurzarmhemd neben zwei Männern. Er schreibt mehrere islamische Fürbitten: „O Gott, führe uns immer auf den rechten Weg, o Gott, der Ramadan ist nahe. Mögen Muslime auf der ganzen Welt erfolgreich und stolz sein, führe sie alle.“ Dann folgt ein radikaler Satz: „Lösche alle aus, die schlecht zum Islam sind.“ Der „Spiegel“ berichtete über diesen Post.

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Meine schwerste Entscheidung

Als Polizisten den jungen Mann am Tatort überwältigen, ihn zu Boden pressen, ruft Farhad N. „Allahu Akbar“, Gott ist groß. Nach der Festnahme beginnt er zu beten. Nur: Reicht das, um zu belegen, dass Farhad N. Islamist ist? Oder doch nur frommer Gläubiger? Nach Polizeiangaben besuchte er regelmäßig eine Münchener Moschee. Eine Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppen wie dem „Islamischen Staat“ können die Behörden bisher nicht nachweisen.

Vorgänge in München wecken Erinnerungen an Solingen und Aschaffenburg

2001 wurde der spätere Bodybuilder in der afghanischen Hauptstadt Kabul geboren, Ende 2016 kam er als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling nach Deutschland. Sein Vater wurde in Afghanistan ermordet, auch er fürchte um sein Leben, begründet Farhad N. seine Flucht. Doch die Asylentscheider beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) glauben seine Geschichte nicht. Sie prüfen den Fall und lehnen den Schutzantrag ab. „Wenig substanziell“, heißt es zu den Ausführungen von N. in der Asylakte.

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Es beginnt das, was sich als Muster auch in den vergangenen Attentaten in Solingen und Aschaffenburg zeigt: ein jahrelanges Verfahren um Abschiebung und Aufenthalt. Im Spätsommer 2017 klagt N. gegen die Bamf-Entscheidung. „Auf den Tag genau drei Jahre später“, so teilt ein Beamter unserer Redaktion mit, entscheidet das Verwaltungsgericht München: Der Asylantrag wird endgültig abgelehnt.

Farhad N. galt als „gut integriert“

Ende 2020 kann N. abgeschoben werden. Doch nichts passiert. Dann übernehmen im Sommer 2021 die islamistischen Taliban die Macht in Afghanistan. Und Farhad N. bekommt eine Duldung in Deutschland. Er kann nun nicht mehr abgeschoben werden. Mehrfach wird die Duldung verlängert. Dann erhält er einen Aufenthaltstitel, zunächst befristet. Nach Information unserer Redaktion galt er als „gut integriert“. Ab Herbst 2023 erteilt die Ausländerbehörde N. mehrfach eine „Fiktionsbescheinigung“, eine Art Übergangsdokument. Warum das passiert, ist unklar. Warum N. nicht eine weitere Aufenthaltsgenehmigung bekommt, auch.

Am Tag des Attentats wurden die Einträge zu Farhad N. im Ausländerzentralregister nach Informationen unserer Redaktion mehrfach ergänzt. Das erklärt zunächst die falschen Angaben durch die bayerische Landesregierung zum Aufenthaltstitel des Tatverdächtigen. Doch das wirft auch Fragen auf. Warum waren die Einträge im Register unvollständig?

Ehemaliger Chef nennt Farhad N. zurückhaltend

Als Farhad N. aus Afghanistan geflohen war, war er noch ein Jugendlicher. Als er nach Deutschland kam, gerade 15 Jahre alt. Nach seiner Ankunft soll der damals Minderjährige wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung behandelt worden sein. Offenbar ist die psychische Erkrankung länger her. Die Staatsanwaltschaft geht derzeit nicht davon aus, dass sie Einfluss auf die Tat und das Motiv hatte. Auch ein Einfluss von Drogen oder Alkohol, der zur Tat geführt haben könnte, war laut Tilmann nicht erkennbar.

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Verdi-Mitglieder legen am Ort des Angriffs Blumen nieder. © Getty Images | Sean Gallup

Im Gegenteil: Zuletzt schien Farhad N. gut in Deutschland angekommen zu sein. Er arbeitete in der Sicherheitsbranche, unter anderem als Ladendetektiv. Er liebt nicht nur seinen Körper, sondern offenbar auch Schmuck und Autos. Der Chef eines Münchener Sicherheitsdienstes, bei dem Farhad N. einmal zur Probe gearbeitet haben soll, beschreibt den mutmaßlichen Täter als normalen, zurückhaltenden Menschen. Aufgefallen sei ihm nichts, auch keine übermäßige Religiosität.