Berlin. Henryk M. Broder wie er leibt und lebt: Mit der als Bewerbung getarnten Generalkritik am Zentralrat der Juden ist der Publizist und begnadete Polemiker mal wieder ganz bei sich. Ein Porträt.

Henryk M. Broder provoziert mit seiner Bewerbung. Foto: Imago
Henryk M. Broder provoziert mit seiner Bewerbung. Foto: Imago © imago stock&people

Dieter Graumann, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, war gegenüber der WAZ um ein klares Wort nicht verlegen: „Eher werde ich Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft als dass Henryk M. Broder Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland wird.” Da sich Jogi Löw keine ernsthaften Sorgen machen muss, wäre das also geklärt.

Die eindeutige und erwartbare Absage ändert nichts daran, dass Broder mit seiner Bewerbung und der harschen Kritik am Zentralrat da anfängt, wo die Kritikfähigkeit vieler anderer längst beendet ist. Auch legt er den Finger in eine durchaus real existierende Wunde. Wie so oft.

Unangenehm präzise Beobachtungen

Der Publizist und begnadete Polemiker, selbst jüdischer Herkunft, bereichert seit Jahren die Islam- und Integrationsdebatten mit unangenehm präzisen Beobachtungen aus dem deutschen Alltag. So macht er notorisch nicht etwa „die Gesellschaft” oder „die Deutschen” für das Problem verantwortlich, sondern den mangelnden Integrationswillen vieler Zuwanderer. Broder hält die Macht und die kulturelle Prägekraft eines fatalen Religionsverständnisses für das entscheidende Hindernis.

Den hierzulande zahlreichen Vertretern der sozialarbeiterischen Denkschule, mögen sie nun Armin Laschet (CDU) oder Daniel Cohn-Bendit (Grüne) heißen, gilt folglich seine ganze Verachtung. Dass viel Hilfe, Verständnis und Entgegenkommen, garniert mit ein paar teuren Projektchen, die Integration voran bringt, hält Broder für Aberglauben. Für die bängliche Illusion einer spätbürgerlichen Wohlfühlgesellschaft, die ihre eigenen freiheitlichen Werte längst zu Tode relativiert hat und inständig hofft, dass die anderen ihre innere Schwäche nicht bemerken.

Zentralrat zu rückwärtsgewandt

Warum aber schießt sich Broder nun auf den Zentralrat ein und provoziert mit einer aussichtslosen Bewerbung? Sehr einfach. Von einem einzigen Thema abgesehen, der unbedingten Solidarität mit Israel, deren Notwendigkeit er teilt, verkörpert der Zentralrat für Broder genau jenes dröhnende Gutmenschentum, das er so verachtet. Auch blicke der Zentralrat viel zu viel in die Vergangenheit und kümmere sich um Zukunftsfragen „eigentlich gar nicht”.

Die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, und der Vize-Präsident Dieter Graumann. Foto: ddp
Die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, und der Vize-Präsident Dieter Graumann. Foto: ddp © ddp

Broder steht auch hier mit seiner Kritik nicht alleine. Dass Charlotte Knobloch einem Vergleich mit Vorgängern wie Ignaz Bubis oder Paul Spiegel nicht standhält, glauben viele, die im jüdischen Leben in Deutschland eine Rolle spielen. Keiner von ihnen würde allerdings öffentlich vom „erbärmlichen Zustand” des Zentralrats sprechen oder Knobloch als „dem Amt nicht ganz gewachsen” schmähen. Keiner, bis auf Broder eben.

Im Grunde aber ist Knobloch kein Gegner für den scharfzüngigen Zyniker Broder. Deshalb zielt ein Großteil seiner Kritik auf den heimlichen Chef des Zentralrats, Generalsekretär Stephan Kramer. Kramer ist ein bisschen wie Broder, nur entgegengesetzt: Wo Broder schwarz sieht, sieht Kramer weiß.

Wenn sich irgendwo in Deutschland eine Minderheit ungerecht behandelt fühlt, ist Kramer gern zur Stelle, um die Autorität des Zentralrats in die Waagschale zu werfen. Mit Vergleichen ist er nicht zimperlich. Als Thilo Sarrazin, ein Bruder im Geiste Broders, jüngst seine Philippika gegen das Berliner Migranten-Milieu verzapfte, holte Kramer den ganz großen Hammer raus und stellte den Delinquenten in eine Reihe mit Goebbels und Hitler. „Sinnfreier Aktionismus”, schimpft Broder. „Kramer blamiert die Juden im Lande.” Der Zentralrat trete „als Reue-Entgegennahme-Instanz” auf und merke nicht, wie sein Ansehen durch inflationären Gebrauch des mahnenden Wortes kaputtgehe.

Immer neue Mahnmale

Broder ist ein libertärer Debatten-Junkie, der Verbote für kontraproduktiv hält. Deswegen stört ihn, dass die Leugnung des Holocaust, „dessen Faktizität außer Frage steht”, eine Straftat ist. „Das gut gemeinte Gesetz verhilft Idioten dazu, sich als Märtyrer im Kampf um die historische Wahrheit zu inszenieren”, so Broder. Und wo er mal in Fahrt ist: Statt sich hinter immer neuen Mahnmalen und Gedenkstätten zu verschanzen, möge Deutschland lieber gegen aktuelle Menschenrechtsverletzungen und Völkermorde kämpfen: in China, Iran oder dem Sudan etwa.

All das ist starker Tobak, und es wäre nicht gut, wenn die Welt voll wäre mit Typen wie Broder. Aber einige dürfen es sein. Damit wir beim Debattieren nicht so oft einnicken.