Essen. Einen Tag nach der Bundestagswahl verspricht NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers: "Kein Bürger muss Angst vor Sozialabbau haben." Ein Interview über die Koalition auf Bundesebene, die Auswirkungen auf Landesebene und die Aussichten auf die im Mai anstehende Wahl.

Herr Rüttgers, haben wir in Berlin die Geburt eines Reformbündnisses mit marktliberalen Akzenten erlebt?

Jürgen Rüttgers: Wir haben den Beginn einer Koalition der Mitte gesehen, die eine Politik der sozialen Marktwirtschaft durchsetzen wird. Das heißt auch: Kein Bürger muss Angst vor Sozialabbau haben.

Dafür sorgen Sie?

Rüttgers: Wir werden als CDU Nordrhein-Westfalen dafür sorgen, dass es beim Kurs der sozialen Gerechtigkeit bleibt. Da sehen wir uns als Garanten, notfalls auch als Korrektiv.

Werden wir konkret: Wie steht's mit dem Kündigungsschutz, den die FDP abschwächen und erst für Betriebe ab 20 Leuten verbindlich machen will?

Rüttgers: Es wird keine Änderung beim Kündigungsschutz geben. Ich sehe auch überhaupt keine Notwendigkeit dazu. Wir brauchen keine Symbolhandlungen, die nur die notwendige Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften in den nächsten Monaten erschweren würden. Die Bundeskanzlerin sieht das im Übrigen genauso.

Was ist mit dem Gesundheitsfonds? Auch da will die FDP ja ran.

Rüttgers: Der Fonds muss sich jetzt erst mal bewähren, man kann ja nicht alle paar Monate ein neues System installieren. Wir sind uns mit der FDP einig, dass wir keine Einheitskrankenkasse wollen, aber die haben wir ja auch nicht.

Wird Schwarz-Gelb den Atomausstieg besiegeln?

Rüttgers: Ich kenne keinen in Deutschland, der neue Atomkraftwerke bauen will.

Die CDU bleibt also dabei: Atomkraft ist nur noch eine Brückentechnologie, allenfalls gibt es eine längere Laufzeit einiger Kraftwerke?

Rüttgers: Ja. Als Industrieland brauchen wir eine sichere und preisgünstige Energieversorgung, das ist klar. Der Umstieg auf regenative Energien, die Erneuerung der Kohlekraftwerke ist in der Praxis wichtiger als die Neuauflage eines jahrzehntelangen Streits.

Die FDP will die Kinderfreibeträge erhöhen und an die für Erwachsene angleichen. Geht das?

Rüttgers: Es gilt, was wir vor der Wahl gesagt haben: All das muss bezahlt werden, ich sehe keinen Spielraum. Man wird sich da auf eine mittelfristige Lösung verständigen müssen. Und am 1. Januar kommt eine Steuerentlastung.

Aber der Familienpartei CDU müsste dieser FDP-Vorschlag doch wirklich gefallen.

Rüttgers: Wenn die Schuldenlast dadurch größer wird und die zukünftigen Kinder belastet, dann ist das auch nicht familienfreundlich.

Man kennt den Pendeleffekt: Die Parteien, die im Bund neu die Regierung stellen, haben es bei den folgenden Landtagswahlen oft schwer. In NRW wird schon im Mai 2010 gewählt. Haben Sie Angst vor einem Pendel-Verhalten der Wähler?

Rüttgers: Nein. Ich wollte die Koalition aus Union und FDP im Bund auch deshalb, weil sie gut ist für den Mittelstand und die Arbeitsplätze in NRW. Mit der SPD in der Bundesregierung wäre in den nächsten Monaten alles viel schwerer geworden, weil dies der Union weniger Stimmen gebracht hätte. Die Menschen wählen so, dass sie gute Arbeit honorieren. Da liegen wir in NRW gut.

Erwarten Sie beim Regierungshandeln in Berlin Rücksicht auf den NRW-Wahltermin, etwa wenn es um unpopuläre Entscheidungen geht?

Rüttgers: Es wird keine Zumutungen geben, sondern eine an den Interessen der Menschen orientierte Politik. Die kann der CDU in NRW nur nützen.

Wird die "Kraftilanti"-Kampagne, die auf Andrea Ypsilanti anspielt, fortgesetzt?

Rüttgers: Das Verhältnis der SPD zu den Linken ist nach wie vor nicht klar. Deswegen werden wir der SPD hier weiter auf den Zahn fühlen.

Wird es personelle Konsequenzen aus der sogenannten Video-Affäre geben?

Rüttgers: Es ist nie ein von der CDU angefertigtes Video gezeigt worden, und es gab auch keine Video-Beobachtung durch die Staatskanzlei. Die Schmutzkampagne der SPD ist ins Leere gelaufen. Das hat ja auch die Bundestagswahl gezeigt, bei der die CDU in NRW gut abgeschnitten hat.

Also keine Konsequenzen?

Rüttgers: Nein, es gibt keinen Grund. Es war ja nichts.

Das Gespräch führte Frank Stenglein.

Mehr zum Thema: