Berlin. Verteidigungsminister Jung will der Bundeswehr Geiselbefreiungen ermöglichen. „Wir sollten über eine Verfassungsänderung nachdenken“, sagte Jung mit Blick auf die Entführungen deutscher Schiffe vor Somalia. Widerspruch kam von der Bundesjustizministerin und aus der Opposition.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) will der Bundeswehr mit einer Verfassungsänderung Geiselbefreiungen ermöglichen. Im Hinblick auf die Entführungen deutscher Schiffe vor der Küste Somalias sagte Jung der Zeitung «Bild am Sonntag» (Onlineausgabe), derzeit sei die Polizei für Geiselbefreiungen zuständig. «Wir sollten über eine Verfassungsänderung nachdenken, die der Bundeswehr den Zugriff dann ermöglicht, wenn die Polizei nicht handeln kann», sagte Jung. Er wolle dieses Thema spätestens nach der Bundestagswahl auf die Tagesordnung setzen.

Jung sagte, bis die Polizei am Horn von Afrika zur Befreiung des gekaperten Containerschiffes «Hansa Stavanger» einsatzfähig gewesen sei, habe sich die Lage längst verschärft. «Erst gab es auf der 'Hansa Stavanger' fünf Piraten. Später waren es bis zu 35 Piraten, und die Lage wurde viel schwieriger», sagte er.

Der Verteidigungsminister forderte die deutschen Reeder außerdem auf, ihre Schiffe unter deutscher Flagge fahren zu lassen und ihre Abgaben in Deutschland zu zahlen, wenn sie deutschen Schutz erwarten.

Widerspruch von Zypries und der Opposition

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries erklärte eine Grundgesetzänderung für unnötig. «Natürlich darf die Bundeswehr im Rahmen der Operation Atalanta vor dem Horn von Afrika Geiseln aus der Hand von Piraten befreien - dazu muss man das Grundgesetz nicht ändern», sagte sie der «tageszeitung».

Zudem müsste bei einer Geiselbefreiung auch die Bundeswehr ihre Spezialkräfte einfliegen lassen - «und ich wüsste nicht, warum das KSK schneller vor Ort sein sollte als die GSG 9», sagte die SPD-Politikerin. Nach ihrer Darstellung scheiterte die Befreiung der «Hansa Stavanger» nicht am Grundgesetz: Dass man sich bei einem Befreiungsversuch gegen einen Einsatz des Spezialkommandos der Bundeswehr und für die GSG 9 der Bundespolizei entschieden habe, habe «rein operative Gründe» gehabt.

"Begründung ist abenteuerlich"

Die rechtspolitische Sprecherin der FDP, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, erklärte, das Martyrium der Besatzungsmitglieder der «Hansa Stavanger» eigne sich nicht für den Wahlkampf. «Eine auf den Einzelfall zugeschnittene Begründung für eine Grundgesetzänderung ist abenteuerlich», sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Die Frage, wer wann am schnellsten wo sei, könne kein Anlass für eine Verfassungsänderung sein. «Die Risiken, ob Bundeswehr oder Polizei bei einer Geiselbefreiung eingesetzt werden, sind die gleichen», erklärte die FDP-Politikerin.

Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin sagte, mit seinen wiederholten Vorstößen, über eine Grundgesetzänderung Bundeswehreinsätze im Innern zu ermöglichen, entpuppe sich Jung als «unbelehrbarer Wiederholungstäter». Die Bundeswehr hätte auf der Grundlage ihres «Atalanta»-Mandats frühzeitig eingreifen können; die Vorbereitungen zu einer Befreiungsaktion für die «Hansa Stanvanger» seien jedoch abgebrochen worden, weil das Risiko nach einem Gespräch mit dem Kapitän als zu groß eingeschätzt worden sei. Wenn Jung heute fehlende Kompetenzen beklage, «führe er einen aussichtslosen Kampf mit der Wahrheit und seinen eigenen Ausführungen».

„Hansa Stavanger“-Reeder hofft auf Geld von Versicherungen

Reeder Frank Leonhardt will sich einen Teil des Lösegeldes von rund 2,7 Millionen Dollar für den entführten Frachter «Hansa Stavanger» von den Versicherungen erstatten lassen. «Wir gehen davon aus, dass zumindest ein Teil des Schadens von Versicherungen erstattet wird», sagte Leonhard der Zeitung «Bild am Sonntag». Nach der Rückkehr der befreiten Seeleute wolle er sich besonders um seine Crew kümmern. «Wir haben spezielle Sozialleistungen für die Besatzung vorgesehen», sagte er. (ddp/ap)