Essen/Bochum. Ab Mittwochmittag protestieren Feuerwehrkräfte aus ganz NRW vor dem Landtag. 24 Stunden soll die Mahnwache andauern. Sie fordern ein Bekenntnis.
- Wer in NRW bei einer Feuerwehr arbeitet, durfte bislang mit dem Erreichen des 60. Lebensjahres in den Ruhestand gehen. Die Landesregierung will das ändern. Das geht aus einem Gesetzesentwurf des Innenministeriums hervor.
- Feuerwehrkräfte aus dem ganzen Land protestieren gegen den Plan. Verdi NRW, der Beamtenbund DBB NRW und die Komba NRW unterstützen den Protest der kommunalen Beamtinnen und Beamten. Streiken dürfen sie nicht.
- Ab Mittwochmittag wird zu einer 24-stündigen Mahnwache vor dem NRW-Landtag aufgerufen. Laut DBB werden mehrere Hundert Feuerwehrkräfte erwartet. Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertreter sprechen ab 12 Uhr. Auch die beidne Polizeigewerkschaften DPolG NRW und GdP NRW sind präsent.
Dass Axel Galla mit seinen 57 Jahren bereits zum älteren Eisen der Berufsfeuerwehr Essen gehört, das ist dem Brandoberinspektor bewusst. Und natürlich spürt er seine Lebensjahre durchaus: wenn er bei 38 Grad Außentemperatur unter 30 Kilogramm schwerer Montur stundenlang ein brennendes Fachwerkhaus mit seinen Kollegen löscht. Oder wenn er im 24-Stunden-Dienst mitten in der Nacht aus dem Tiefschlaf gerissen wird und innerhalb von Sekunden einsatzbereit sein muss.
Und doch gibt es für Galla einen entscheidenderen Grund dafür, warum man nach dreieinhalb Jahrzehnten bei der Feuerwehr erwartungsvoller auf den Ruhestand blickt: die Psyche.
„Es gibt Straßenzüge in meiner Stadt, da kann ich an fast jeder Haustür eine Geschichte erzählen, weil ich dort so viele Einsätze gefahren bin“, sagt Galla. Die ersten zehn, 20 Toten, die man als Feuerwehrmann sehe, die könne man noch zur Seite drängen. „Mit 45, 47 Jahren kommt man dann so auf 500 Tote. Das sind Bilder, die gehen nicht mehr weg.“ Und irgendwann wisse man nicht mehr, wo man das alles hinpacken solle.
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Neues Gesetz in NRW: Feuerwehrkräfte sollen bis zu zwei Jahre länger arbeiten
Und das ist der Grund, warum Axel Galla dieser Tage zusammen mit Feuerwehrleuten aus dem ganzen Land protestiert. Denn nach Plänen der NRW-Regierung sollen die Brandschützer und Rettungskräfte künftig bis zu zwei Jahren länger arbeiten. Die Regelaltersgrenze für Beamtinnen und Beamte liegt eigentlich bei 67 Jahren. Für Feuerwehrkräfte wird eine Ausnahme gemacht: Sie können mit 60 Jahren vorzeitig in den Ruhestand gehen – eine Anerkennung der besonderen Dauer-Belastung im Einsatzdienst. Künftig sollen die kommunalen Beamten bis maximal 62 Jahre arbeiten - wer im mittleren Dienst beschäftigt ist, kann 61 gehen.
Was für die meisten regulären Beschäftigten immer noch ein Geschenk wäre, bereitet den Feuerwehren Sorge. „Die Kollegen werden das nicht schaffen“, ist sich Axel Galla sicher. Man dürfe nicht vergessen, unter welchen Bedingungen und in welchen Situationen Feuerwehrkräfte eingesetzt werden. Galla geht es um Respekt für die Arbeit, die die Wehren leisten.
Gericht kippte bisherige Regelung des Landes zur Altersgrenze der Feuerwehr
Dass das Innenministerium die Altersgrenze der rund 10.500 Kräfte der 30 Berufsfeuerwehren im Land überhaupt ändern kann, geht auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus 2022 zurück. Das Gericht hatte eine Verordnung gekippt, nach der der vorgezogene Ruhestand auch für Feuerwehrkräfte galt, die in Brandschutzdienststellen oder dem Landesinstitut der Feuerwehr arbeiteten und nicht mehr aktiv im Einsatzdienst. Bessert das Land nicht nach, müssten diese Feuerwehrkräfte künftig bis 67 Jahren arbeiten, was die Attraktivität solcher Stellen mindern dürfte.
NRW will deshalb das Landesbeamtengesetz ändern und im gleichen Schritt „moderat“, so eine Ministeriumssprecherin, die Altersgrenze für alle Feuerwehrkräfte anheben. Damit wolle man frühzeitig einem Personalmangel begegnen, sagte die Sprecherin. „Der demografische Wandel hat es in den letzten Jahren schwerer gemacht, qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber für die Feuerwehr zu gewinnen.“
Die Grünen finden diese Diskussion nachvollziehbar. Christos Katzidis, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im NRW-Landtag, wirbt derweil dafür, dass Feuerwehrkräfte mit vielen Berufsjahren auf der Straße oder in der Leitstelle Vorteile haben sollten. „Die Dienstjahre im operativen Bereich sollten bei der Frage berücksichtigt werden, wann ein Feuerwehrmann in Pension gehen kann“, sagt der Christdemokrat. „Diese Regelung gibt es auch bei der Polizei.“
Verdi NRW warnt: Städte haben keine Stellen für so viele ältere Feuerwehrkräfte
Verdi NRW warnt vor Problemen für die Städte, sollte sich das Land nicht von seinem Gesetzesentwurf abbringen lassen: Einerseits torpediere die Gesetzesänderung die Personalplanung der Kommunen, so Gewerkschaftssekretär Tjark Sauer. Zugleich fehlten Einsatzstellen für ältere Feuerwehrkräfte, die zwar alle nötigen Gesundheitschecks erfüllten, aber nicht mehr jeden Tag an vorderster Front stehen könnten. „Die ganze Diskussion ist unwürdig“, urteilt Sauer. Er warnt: „Eine höhere Altersgrenze wird nur dazu führen, dass mehr Feuerwehrkräfte früher in Pension gehen.“
Vor diesem Szenario warnt auch Timo Kowalski, Personalrat bei der Berufsfeuerwehr Essen. „Ich befürchte, dass im Ergebnis mehr Kollegen frühpensioniert werden oder sich die Zahl der Erkrankungen häuft.“ Dann seien Stellen zwar besetzt, aber „faktisch leer“ – „und damit wird die Leistungsfähigkeit abnehmen“, warnt Kowalski.
Bochumer Brandschützer: Auch in den Leitstellen ist der Druck enorm
Bastian Mahl arbeitet in der Leitstelle der Bochumer Berufsfeuerwehr. Bei dem 40-Jährigen und seinen sechs Kollegen laufen damit die Fäden zusammen. Und das heißt bei Sturm oder weithin sichtbaren Großbränden: Innerhalb von Sekunden dreht die Leitstelle von 0 auf 100 hoch. Unentwegt gehen Notrufe ein, jeder einzelne erfordert eine Entscheidung, die Lage muss immer wieder neu bewertet, Einsatzkräfte koordiniert werden. „Bei einem Notruf müssen wir in 90 Sekunden entscheiden, ob wir einen Wagen schicken oder nicht. Der Druck ist enorm“, sagt Mahl. Bis zu 14 Stunden sitze er manchmal in der Leitstelle. „In höherem Alter ist das nicht mehr zu packen“, glaubt er.
Ältere Feuerwehrkräfte würden im Alltag häufiger in Ruhepositionen eingesetzt. Diese seien aber begrenzt etwa auf die Rolle des Maschinisten, der den Einsatzwagen fährt oder in den Werkstätten. „Über eine Schicht als Maschinist freut sich aber auch ein jüngerer Kollege, der ja auch nicht jeden Tag 150 Prozent geben kann“, so Mahl.
Axel Galla, der Feuerwehrmann aus Essen, hofft auf Einsicht beim Innenministerium. Er und Kollegen protestieren bis dahin immer wieder in Düsseldorf, 24 Stunden ab Mittwochmittag vor dem Landtag.
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Auf den Vorwurf, dass andere Beschäftigte deutlich länger arbeiten müssten als er, hat sich Galla übrigens vorbereitet. Der 57-Jährige hat ausgerechnet, auf wie viele Arbeitsstunden er bis zum 60. Geburtstag kommt. „Wenn man unsere Lebensarbeitszeit auf Allgemeinbürger übertragen würde, müssten sie bis 79 Jahre arbeiten.“
>>> Keine einheitlichen Altersgrenzen für Feuerwehren
- Bundesweit ist die Altersgrenze bei Feuerwehrkräfte durchaus verschieden. In Bayern etwa müssen sie bis 65 arbeiten – dort, so betont Verdi NRW, gehört aber etwa der Rettungsdienst nicht mit zu den Aufgaben der Wehren.
- In Baden-Württemberg etwa ist die Altersgrenze unlängst erst wieder gesenkt worden. 2015 hat der Landtag die Entscheidung rückgängig gemacht, dass Feuerwehrkräfte bis 63 arbeiten sollen. Der damalige Innenminister Reinhold Gall (SPD) verwies dazu auch auf den Wunsch der Städte.