Ruhrgebiet. Die Städte in NRW warten weiterhin auf den Schuldenschnitt – vergeblich. Die Politik stellte jenen mehrfach in Aussicht. Was bislang passierte.

Anlässe zur Sorge gibt‘s reichlich: Das Leben wird teurer, die Terrorgefahr ist groß, die Demokratie leidet, das Klima kippt. Warum sollte man sich da den Kopf zerbrechen über etwas so Sperriges wie kommunale Altschulden? Lässt sich das Schuldenthema nicht weglächeln, wie es einst Berlins Ex-Rathauschef Klaus Wowereit tat? Der witzelte, seine Stadt sei arm, aber sexy. Man könnte, aber es bringt nichts. Tatsächlich sind arme Städte keine prekären Schönheiten, und mit Schminke lässt sich die Lage in Mülheim, Oberhausen, Hagen, Wuppertal und die in den anderen Kirchenmaus-Städten nicht aufhübschen.

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Mit den Schulden steht viel auf dem Spiel. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) brachte es vor einem Jahr vor Abgeordneten in Dortmund auf den Punkt: „Das Fundament der Demokratie ist in den Kommunen. Der Bürger und die Bürgerin merken dort, ob dieser Staat noch funktioniert oder nicht. Ob sie Schlange stehen müssen, weil sie ihr Auto anmelden wollen. Ein Behördengang dauert ewig, da merken die Bürger den Staat ganz hautnah“. Die Duisburgerin gehört zu jenen, die nach einem Altschuldenfonds rufen. Von dem könnten besonders die armen Städte an der Ruhr profitieren.

Der gute Wille: NRW-Landesregierung stellt Altschuldenfonds in Aussicht

Laut den Koalitionsverträgen von CDU und Grüne in NRW und der Ampel aus SPD, Grünen und FDP im Bund ist das Problem erkannt. „Wir wollen die Kommunen von Altschulden entlasten“, beteuert die Ampel. Dazu bedürfe es einer „gemeinsamen, einmaligen Kraftanstrengung des Bundes und der Länder“. Schwarz-Grün in NRW lehnt sich noch weiter aus dem Fenster: Sollte der Bund nicht handeln, werde NRW im Jahr 2023 selbst einen Altschuldenfonds für die Schulden-Städte einrichten. Dumm nur: Im Frühjahr 2024 ist ein Schuldenschnitt nicht ansatzweise in Sicht, und im nächsten Jahr wird schon ein neuer Bundestag gewählt.

Die verpasste Chance: Schuldenschnitt wäre im Jahr 2020 möglich gewesen

Im Jahr 2020 schlug der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) einen „Solidarpakt“ vor: Bund und Länder sollten je zur Hälfte die Altschulden von 2500 deutschen Kommunen übernehmen. Der Preis: gut 40 Milliarden Euro. Der Schuldenschnitt schien greifbar nahe: In Berlin regierte eine große Koalition, die Zinsen waren niedrig, und die Summe wäre neben den gigantischen 400 Milliarden Euro, die die Bewältigung der Corona-Krise den Bund kostete, fast verschwunden.

„Das war die verpasste Chance“, meint Mehrdad Mostofizadeh, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Landtag. „Nötig und sinnvoll“ wäre der Solidarpakt gewesen. Doch der Plan scheiterte an Union und FDP. Für einen Altschuldenschnitt wäre nämlich eine Änderung im Grundgesetz nötig, mit Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Warum, hieß es zum Beispiel in Bayern, sollte die Mehrheit der Länder, die nur gering verschuldete Städte haben, für Länder wie NRW, Rheinland-Pfalz und das Saarland Altschuldenprobleme lösen?

Laut dem Finanzreport 2023 der Bertelsmann-Stiftung lag die Verschuldung der Städte im Schnitt mit Kassenkrediten je Einwohner in NRW bei gut 1000 Euro, in Bayern aber nahe null. Kassenkredite ähneln einem Überziehungskredit („Dispo“) für Privatleute. Die Städte müssen mit diesen Schulden ihre Pflicht-Ausgaben bezahlen.

Der Kompromiss: Kämmerer konnten Schulden zum Teil tilgen

Aus dem Solidarpakt wurde eine „Schuldenhilfe light“: Die Bundesregierung ließ sich zwar auf eine Entlastung der Städte von den Sozialkosten ein. Dies eröffne den Kämmerern endlich neue Spielräume, jubelte 2020 die CDU/FDP-Landesregierung in NRW. Aber von einem echten Schuldenschnitt war zunächst keine Rede mehr. Die Kämmerer konnten tatsächlich einen Teil ihrer Schulden tilgen, allein im Ruhrgebiet mehr als drei Milliarden Euro. Sie wurden aber von neuen Kosten heimgesucht, die die Tilgung auffraßen, verursacht zum Beispiel durch die Integration von Geflüchteten, den Ausbau der Ganztagsbetreuung auszubauen und durch höhere Gehälter im öffentlichen Dienst.

Altschulden der Städte in NRW: Das fehlende Geld wirkt sich auch auf die Wartezeiten der Bürgerinnen und Bürger bei den Ämtern aus. (Archivbild)
Altschulden der Städte in NRW: Das fehlende Geld wirkt sich auch auf die Wartezeiten der Bürgerinnen und Bürger bei den Ämtern aus. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Der Taschenspielertrick: Landes-Initiative stößt auf Widerstand

NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) legte 2023 einen Altschuldenplan auf den Tisch, den die Schulden-Städte gleich wieder zerrissen. „Sie will uns eine Flasche Luft verkaufen“, spottete Herfords Bürgermeister Tim Kähler. Die Landesregierung war auf die Idee gekommen, den Anteil der Städte an der Grunderwerbsteuer von 460 Millionen Euro, mit dem die Kämmerer ohnehin geplant hatten, für die kommunale Schuldentilgung zu nutzen. Weitere 500 Millionen Euro sollte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) beisteuern. Die Städte hätten ihre Schulden also praktisch selbst bezahlen sollen. Der Plan schlug fehl. Nun will sich NRW mit den Städten bis Anfang 2025 auf eine neue Lösung verständigen – inklusive echter Landesbeteiligung.

Die Ampel ist rot: Bundeshaushalt ist ausgereizt

Ist das Versprechen, den Städten zu helfen, in Berlin noch etwas wert? Hinter vorgehaltener Hand sind in den Regierungsfraktionen im Bundestag solche Sätze zu hören: „In dieser Legislatur wird das wohl nichts mehr. Die Lage ist vertrackt, das Problem wird hin und hergeschoben.“ Der Bundeshaushalt gebe keine Geschenke mehr her, und NRW müsse erstmal vernünftige eigene Entschuldungs-Vorschläge machen, heißt es. Hessen habe dies mit einem Landesprogramm vorgemacht.

Die Lage spitzt sich zu: Kommunen fehlt Geld an allen Enden

Inzwischen hat nur noch jede fünfte Kommune in NRW einen ausgeglichenen Haushalt, warnt Christoph Sommer vom Städte- und Gemeindebund. Es fehle Geld für alles: für Klimaschutz und Verkehrswende, für Ganztagsbetreuung und die Unterbringung von Geflüchteten, für die Ausstattung der Ämter.

Bund oder Land – wer geht den ersten Schritt?

Der Bund und das Land NRW beteuern zwar, sie wollten einen Altschuldenfonds, handeln aber nach dem Motto: Wer sich zuerst bewegt, verliert. Inzwischen sind die Zinsen gestiegen, ein Schuldenschnitt würde immer teuer, und eine Grundgesetzänderung ist wegen der Blockadehaltung von Parteien und Ländern unwahrscheinlich.

Am Ende wird das bis über die Ohren verschuldete NRW den Städten ein eigenes Angebot machen müssen. Ob das die Schuldenprobleme der Städte nachhaltig löst? Mehr als eine Teilentschuldung scheint nicht drin zu sein.