Düsseldorf. Bei der Impfterminvergabe wurden viele Fehler gemacht, sagen selbst Insider der KV Nordrhein. Was schief gelaufen ist - und besser werden muss.
Entnervte Anrufer in der Warteschleife, verzweifelte Nutzerinnen, die auf graue Termine oder zusammengebrochene Internetseiten starren: Die Vergabe der Impftermine in NRW ist im Chaos gestartet. Mehr als eine Woche später aber zeigen sich die Kassenärztlichen Vereinigungen demonstrativ zufrieden: Die Software funktioniere gut, das System laufe „reibungslos“ heißt es am Dienstag auf Anfrage bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein.
So seien am Dienstagvormittag bereits 612.750 Termine für 306.375 über 80-jährige aus dem Bereich der KV Nordrhein vermittelt worden. Der Weg dahin war für viele aber wohl steinig und zeitaufwendig, wie unzählige Berichte Betroffener zeigen. Ihr Vertrauen in ein reibungsloses Impfmanagement dürfte zumindest angekratzt sein. Eine Schadensanalyse:
Verwirrende Zuständigkeiten:
Als sei es nicht schon verwirrend genug, dass es keine bundeseinheitliche Lösung für die Impftermin-Organisation gibt: Nordrhein-Westfalen leistet sich mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) und der Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) gleich zwei große Partner, die die Vergabe des knappen Impfstoffs richten sollen. Wer in Bochum wohnt, gehört zum Einzugsbereich der KVWL, nur wenige Meter ruhrabwärts ist ab Essen die KVNO zuständig. Ruhrgebietskundige wissen natürlich, dass die Grenze zwischen Westfalen und dem Rheinland zwischen Essen und Bochum verläuft – wem diese Information aber fehlt, der muss sich erst einmal auf eigene Faust schlau machen. Eine naheliegende Abfrage der Postleitzahl und entsprechende Weiterleitung gibt es weder auf den Vergabeseiten der KVNO noch auf jenen der KVWL. Und in den Briefen, die an alle Bürger über 80 Jahre verschickt wurden, sucht man eine Lösung über das Rätsel der verworrenen Zuständigkeiten ebenfalls vergebens.
Unterschiedliche Systeme:
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Während die KVWL für die Vergabe der Impftermine das störanfällige und zeitweise ebenfalls völlig überlastete Buchungssystem der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) nutzt, geht die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein ganz eigene Wege: „Ende Herbst 2020“ entschloss sich die Führungsriege nach KVNO-Angaben, ein eigenes System an den Start zu bringen. Dadurch könne man Termine mit größerem Vorlauf vergeben, den Tag der Zweitimpfung direkt mit auswählen und eine Option auf Download der Impfunterlagen geben, heißt es zur Begründung. All das könne das System der KBV nicht leisten, weswegen man sich zu einer eigenen technischen Lösung entschloss.
Überforderung:
Damit hat sich die KVNO zunächst wohl mächtig verhoben, wie es selbst aus Mitarbeiter-Kreisen heißt. So sei die Termin-Vergabeseite viel zu spät und nur unzureichend getestet worden. Ein Programmierer aus dem Ruhrgebiet teilt diese Einschätzung: „Jeder, der sich mit Webseiten-Steuerung befasst, beschäftigt sich auch mit der Last, die zu erwarten ist und erweitert entsprechend die Kapazitäten bei den Providern.“ Seine Vermutung: Das System sei anfangs daran gescheitert, dass es völlig überlastet und „schlicht unterdimensioniert“ war.
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Dabei war die Zahl der Impfberechtigten und damit potenzieller Seiten-Besucher lange bekannt. Entsprechende Warnungen aus der Mitarbeiterschaft seien von der KVNO-Führungsriege ungehört geblieben, lautet die interne Kritik. Bei den Verantwortlichen habe man die Anzahl der Zugriffe massiv unterschätzt. Auf Anfrage bei der KVNO heißt es lediglich, sowohl Hard- als auch Software seien „ausgiebig durch Last- und Pen-Tests getestet“ worden. Wann und in welchem Umfang getestet wurde, diese Antwort bleibt die KVNO jedoch schuldig. Andere Bundesländer zum Beispiel kauften die Software-Lösungen bei erfahrenen Unternehmen der Privatwirtschaft ein, Schleswig-Holstein etwa beim Ticket-Anbieter Eventim.
Der Impfstoff-Mangel:
Die Kassenärztlichen Vereinigungen können nur Termine entsprechend der vom Land zugesicherten Kontingente für die Erst- und Zweitimpfung vergeben. Die Impfstoffhersteller haben derzeit aber Lieferschwierigkeiten. Auch aus diesem Grund konnten in den vergangenen Tagen immer wieder für einzelne Impfzentren keine freien Termine mehr angezeigt werden. Die KVNO hat ebenso wie Gesundheitsminister Laumann aber zugesichert, dass die Terminvergabe so lange weiter läuft, bis alle über 80-jährigen Impfwilligen versorgt sind.
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Was nun besser werden muss:
Wenn die deutlich größere Alters-Kohorte der über 70-Jährigen an der Reihe ist, wird die Impftermin-Vergabe noch komplexer. Gesundheitsminister Laumann hat bereits eingestanden, dass eine automatische Terminvergabe die deutlich einfachere Variante gewesen wäre – befürchtet wurden allerdings rechtliche Schwierigkeiten. Die KVNO kündigt zudem Verbesserungen an: So werde bereits auf die Eingabe der Versichertennummer verzichtet, die anfangs für Irritationen gesorgt hatte. Zudem soll es künftig möglich sein, auch online „Partner-Termine“ zu vereinbaren, sodass Ehepaare gemeinsam geimpft werden und so der doppelte Weg zum Impfzentrum vermieden werden kann.
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Nicht zuletzt kündigt die KVNO auch technische Nachbesserungen an: „Die Performance soll vor allem durch Konfigurationsänderungen und weitere Optimierungen der Datenbanken weiter gesteigert werden“, heißt es auf Anfrage. Laut KVNO denkt das NRW-Gesundheitsministerium zudem darüber nach, die Terminvergabe zu entzerren, etwa durch kleinere Alters-Gruppen. Dadurch würde gewährleistet, dass nicht gleichzeitig zu viele Nutzer einen Termin vereinbaren wollen. Es ginge aber auch einfacher, wie der Programmierer bestätigt: „Bei den Providern lassen sich die Kapazitäten auch für einen befristeten Zeitraum aufstocken, das ist in anderen Branchen sehr üblich.“