Essen. Krebskranke wollen früher gegen Corona geimpft werden. Sie haben ein höheres Risiko, sagt der Arzt. Mir rennt die Zeit weg, ahnt eine Betroffene.

Ihre Oma ist für die Corona-Impfung angemeldet: Für 8. Februar hat Stefanie Frenz der 97-Jährigen einen Termin besorgt. Glückwunsch, möchte man sagen. Die alte Dame aber würde ihn nur allzu gern ihrer 46 Jahre alten Enkelin überlassen, wenn das möglich wäre. Denn Stefanie Frenz ist sehr krank – doch wie alle Krebspatienten erst in Priorisierungsgruppe 3 an der Reihe. Am gestrigen Montag noch wies ein Gericht in Berlin die Eilanträge zweier Krebskranker auf vorgezogene Impfung zurück.

2012 entdeckte Frenz einen Knoten in der linken Brust. „Sieht nicht gut aus“, befand der Frauenarzt. Es folgten Chemo- und Antikörpertherapie, OP, Bestrahlungen. „Die Ärzte sprachen danach von einer pathologischen Komplettremission, dem bestmöglichen Erfolg. Ich glaubte, ich sei gesund“, erinnert sich die Juristin, die in Ahlen lebt. Sie stieg wieder in ihren Beruf ein – und erkrankte 2015 an Hautkrebs. Ein Jahr später war zudem ihr Brustkrebs-Tumormarker erneut erhöht: In den Knochen hatten sich Metastasen gebildet. „Seither gelte ich als unheilbar krank“, sagt Frenz.

Krebspatient ist nicht gleich Krebspatient

Die 46-Jährige lebt inzwischen von Erwerbsunfähigkeitsrente und einer geringfügigen Beschäftigung im Kreis-Sozialamt; ihre Antikörper-Therapie wird sie ein Leben lang fortsetzen müssen, alle drei Wochen fährt sie dafür für einen halben Tag in die Klinik. Doch sie hat ihre Erkrankung akzeptiert, sagt heute: „Mir geht es richtig gut, mein Zustand ist stabil.“ Nur Corona macht ihr zu schaffen.

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„Letztendlich ist es so, dass Krebspatienten ein erhöhtes Risiko haben, bei einer Covid-19-Infektion Komplikationen zu entwickeln und auch, daran zu versterben“, erklärt Prof. Dirk Schadendorf, Direktor des Westdeutschen Tumorzentrums der Universitätsmedizin Essen (UME). „Aber: Krebspatient ist nicht gleich Krebspatient.“ Jemand, der vor zehn Jahren an Darmkrebs erkrankte, operiert wurde und aktuell nicht therapiert werden müsse, sei aber anders zu sehen als jemand, der frisch operiert ist und gerade eine Chemo erhalte. Dass Patienten in fortgeschrittenem Stadium, mit metastasierten Tumoren, ein deutlich höheres Risiko tragen als andere, sei „unstrittig“. „Diese müssen dringend geschützt werden.“

Keine belastbaren Studien zu Nebenwirkungen

Stefanie Frenz wartet noch immer auf ihre Coupons für die zwölf FFP2-Gratis-Masken, die die Bundesregierung allen Risikopatienten für Anfang des Jahres versprochen hatte. Ohne verlässt sie das Haus dennoch nicht, auf eigene Kosten („zu damals noch unverschämt hohen Preisen“) hat sie sich schon sehr früh selber welche besorgt. Einkaufen geht sie nur noch in den Randzeiten und in einem anderen Supermarkt als früher. „Er ist teurer, aber leerer und die Gänge sind breiter“, erzählt die Ahlenerin. Freunde trifft sie gar nicht mehr, obwohl ihr das unglaublich schwerfalle. Am schlimmsten aber sei, dass sie aufs Reisen verzichten müsse. „Daraus habe ich immer solche Kraft geschöpft.“

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    Die Juristin wurde sich „sofort“ impfen lassen. Angst vor Nebenwirkungen hat sie nicht, auch wenn für Krebskranke noch keine belastbaren Studien vorliegen. „Da kann man nur Analogie-Schlüsse aus anderen Medikamenten-Studien ziehen“, erklärt Tumor-Experte Schadendorf. Doch danach könne man „ganz klar sagen“: Von RNA-Impfstoffen, wie sie Biontech oder Moderna anbieten, gehe kein Risiko für die Geimpften aus. Eine andere Frage, räumt der Mediziner ein, sei, ob eine Corona-Impfung bei Knochenmarktransplantierten oder Menschen, die gerade eine schwere Chemotherapie erhalten, „ausreichend effektiv“ sei. „Schaden“, sagt Schadendorf, „wird sie aber auch dieser Personengruppe nicht.“

    Experten beantworten am Weltkrebstag Fragen im Livestream

    Schadendorf wie Frenz plädieren dafür, dass bei den Corona-Impfungen schwer erkrankte Krebspatienten nicht erst in der dritten, sondern schon in der zweiten Gruppe berücksichtigt werden. Der Verband „Frauenselbsthilfe Krebs“, deren Bundesschatzmeisterin Frenz ist, hat zusammen mit anderen Organisationen bereits im Dezember einen offenen Brief an Jens Spahn geschrieben, mit der Forderung, die Betroffenen als besonders vulnerable Gruppe hochzustufen. Passiert das nicht, sagt Frenz, sei sie wohl erst im Herbst an der Reihe, sie hat sich das mal im Internet ausrechnen lassen, „und das war vor den Liefer-Engpässen….“.

    Das Thema Impfen, bestätigt Prof. Schadendorf, sei bei seinen Patienten „derzeit eines der heißesten überhaupt“. Für den Weltkrebstag am 4. Februar, laden UME und Tumorzentrum darum gemeinsam mit der Deutschen Stiftung zur Erforschung von Krebskrankheiten zu einem Livestream ein, in dem hochrangige Experten der Kliniken Essen und Münster Fragen von Betroffenen beantworten (Info unten). Schadendorf kritisiert im Vorfeld, dass es keine „sinnvolle Impfstrategie“ gebe, zu wenig Transparenz, da seit Beginn der Pandemie jedes Gesundheitsamt, jede Stadt, jedes Land eigene Ideen, Prioritäten und Regeln habe. „Im nächsten halben Jahr werden wir dsa nicht hinbekommen“, fürchtet er. „Das hat die gleiche Dynamik wie die Digitalisierung unseres Homeschooling-Prozesses.“

    „Meine Lebenszeit ist sehr endlich“

    Stefanie Frenz macht diese Aussicht „Bauchschmerzen“. „Meine Krebserkrankung“, erklärt sie ruhig, „kann ja fortschreiten. Meine Lebenszeit ist sehr endlich.“ Ob sie die nächste „Depeche Mode“-Welttournee wohl noch erleben werde, habe sie kürzlich einmal überlegt…-- „ein bisschen neidisch“ in jenem Moment auf die anderen, die Gesunden. „Die können ja alles nachholen nach Corona.“

    Corona-Impfung bei Krebs? Livestream am 4. Februar 2021, 14 bis 15.30 Uhr: www.desek.de. Anmeldung bis 3. Februar unter info@desek.de

    >>>> Info: Corona-Impfung nach Organ-Transplantation

    Die Corona-Impfung ist auch für Menschen, die mit Herz, Niere, Lunge, Leber oder anderen fremden Organen leben, ein sehr wichtiges Thema, sagt Dr. Ebru Yildiz, Leiter des Westdeutschen Zentrums für Organtransplantation der Universitätsmedizin Essen. „Viele haben viele Fragen.“ Heute abend, 17 bis 18.30 Uhr, beantworten sie Experten in einem Livestream der UME in Kooperation mit der Uni Düsseldorf und Betroffenenverbänden (www.ueber-leben.de). Mit dabei sind der Virologe Ulf Dittmer, der Infektiologe Oliver Witzke, die Nephrologin Katrin Ivens sowie die Transplantationschirurgin Arzu Oezcelik.

    Anmeldung: info@ueber-leben.de