Berlin/Kalkar. Nach einer Kampfansage von Parteichef Meuthen an das ganz rechte Lager der AfD bricht in Kalkar ein schwelender Konflikt offen aus.
Wenn es einen Politiker gibt, der aus dem AfD-Parteitag vom Wochenende gestärkt hervorgeht, dann ist es wohl Otto von Bismarck. Dass der vor 122 Jahren verstorbene Reichskanzler einen guten Job gemacht habe und nicht zu kritisieren sei, das betonten Delegierte aus allen Lagern der AfD, nachdem Parteichef Jörg Meuthen am Sonnabend Bismarck-Verehrung als Zukunftskonzept abgelehnt hatte. Das war dann aber auch schon das Ende der Einigkeit – im Freizeitpark „Wunderland“ in Kalkar brach der schwelende Lagerkampf in der Partei offen aus.
Den Anlass lieferte Meuthen selbst: Pubertierende Schuljungen, flegelhafte Provokation , Politik-Kasperle –- all diese Worte fielen, als Meuthen seiner Partei am Samstag ins Gewissen redete, weniger Radikalität und mehr Disziplin an den Tag zu legen. Er warnte vor NS-Vergleichen und Begriffen wie „Ermächtigungsgesetz“ in der Corona-Debatte, kritisierte auch die Nähe zur „ Querdenker “-Bewegung, die viele Parteifreunde zuletzt gesucht hatten. Die Rede war ein Frontalangriff vor allem auf das ganz rechte Lager in der AfD und dessen Schutzpatron Alexander Gauland. Genau so wurde sie auch aufgefasst.
Welche Absicht verfolgt Meuthen mit seiner Abrechnung?
Es ist ein politisches Vabanque-Spiel, das Meuthen da versucht – die Flucht nach vorn in schwierigen Situation für die Partei. Denn die AfD steckt fest. In den Umfragen kam sie zuletzt kaum über zehn Prozent hinaus, Manöver wie die jüngste Störaktion im Bundestag stießen auf ein sehr negatives Echo .
Die Verantwortung dafür gibt Meuthen vor allem dem radikalsten Rand der AfD, mit dem er in der Vergangenheit selbst gern paktiert hat. Vor allem aber war die Rede ein Signal nach Köln-Chorweiler, wo die Verfassungsschützer das Treffen sehr genau verfolgt haben dürften.
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Welche Rolle spielte eine drohende Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz?
Eine erhebliche. Die AfD weiß, dass sie die Aufmerksamkeit der Verfassungsschützer hat . Denn nach fast zwei Jahren informeller „Prüfung“ will das Bundesamt in absehbarer Zeit beschließen, ob die Gesamtpartei in den Status eines „Verdachtsfalls“ erhoben wird. Die Nachwuchsorganisation der Jungen Alternative (JA) hat diesen bereits, auch einige Landesverbände der Partei.
Am Wochenende wurde bekannt, dass zum Beispiel in Brandenburg bereits V-Leute eingesetzt werden, um Informationen über die Partei zu gewinnen. In der AfD ist die Angst groß, dass eine systematischen Beobachtung durch den Dienst Wähler, Mitglieder und Mandatsträger verschrecken könnte, vor allem jene, die im öffentlichen Dienst sind. Meuthens Rede ist deshalb auch ein Versuch, das abzuwenden.
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Wie reagiert der Parteitag?
Die einen euphorisch, die anderen wutentbrannt. Rund zwei Stunden verbrachten die Delegierten am Sonntagmittag mit einer Debatte über Meuthens Rede und seinen Kurs als Parteichef . Gegner warfen ihm vor, die Einigkeit der Partei zu beschädigen und außerdem die inhaltliche Arbeit des Parteitags in den Hintergrund zu schieben.
Heftiger Gegenwind kam vor allem aus den stark vom Ex-„ Flügel “ dominierten Landesverbänden aus Ostdeutschland: So sagte Stephan Brandner , stellvertretender Parteichef und Bundestagsabgeordneter aus Thüringen , Meuthen habe der Partei „schweren Schaden“ zugefügt.
Die Unterstützer des Parteivorsitzenden – besser organisiert und zahlenmäßig in der Debatte deutlich stärker vertreten – warfen den Kritikern ihrerseits vor, den Parteichef und die AfD als ganze zu beschädigen: „Seid ihr denn des Wahnsinns, eine Debatte über den Parteivorsitzenden zu beginnen?“, fragte der Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter hörbar entgeistert. Über einen Antrag, der Meuthen explizit gerügt hätte, wurde am Ende nicht abgestimmt.
Wie tief ist die Spaltung die AfD?
Sehr tief, das zeigten nicht nur die zahlreichen und hitzigen Wortmeldungen in der Debatte, sondern auch die knappen Wahlergebnisse bei wichtigen Entscheidungen. Dass es in der Partei grob zwei Lager gibt, die unterschiedliche Gruppen ansprechen, ist nicht neu. Bislang hatte die AfD es geschafft, an den Wahlurnen daraus Profit zu schlagen, dass ein Teil der Partei sich sehr radikal gibt, während ein anderer versucht, ein bürgerliches Image zu transportieren.
Doch diese Strategie sei jetzt ausgereizt, sagt Politikberater Johannes Hillje , der sich seit langem mit der AfD beschäftigt. „Am rechten Rand hat die Partei ausmobilisiert, sich dabei aber auch für viele Menschen in der Mitte unwählbar gemacht“, sagt Hillje. Ihre Basis am rechten Rand aber drohe die Partei zu verlieren, wenn sie sich stärker in Richtung Mitte bewege. „Ich würde Meuthen aber auch nicht unterstellen, dass er die Partei tatsächlich entscheidend in Richtung Mitte bewegen will“, sagte Hillje. „Es ging ihm hier vor allem um Stil, nicht um Inhalte.“
Nach Einschätzung von SPD -Chefin Saskia Esken hat Meuthen „seinen Kampf, der AfD den letzten Rest eines bürgerlichen Anstrichs zu bewahren, längst verloren“. Der vom Verfassungsschutz beobachtete „Flügel“ sei entgegen der offiziellen Darstellung nicht aufgelöst, sondern habe „längst die Macht in der AfD übernommen“, sagte sie dieser Redaktion.
Sind die extremistischen Kräfte um Björn Höcke geschwächt?
Als Erfolg kann das völkische Lager um den den thüringischen Landeschef Björn Höcke den Parteitag jedenfalls nicht verbuchen. Drei Vorstandsposten wurden in Kalkar neu besetzt, in allen drei Fällen unterlagen die Kandidaten des Höcke-Lagers – wenn auch jedes Mal knapp. Mit der Wahl von Joana Cotar, die den Beisitzerposten des geschassten Andreas Kalbitz übernimmt , verliert der radikalste Teil der Partei sogar eine Stimme im Bundesvorstand.
Höcke selbst, nach Kalbitz’ Rauswurf die alleinige Galionsfigur des „Flügels“, machte angesichts dieser Bilanz am Wochenende einen großen Bogen um die Parteitagsbühne und hielt sich im Hintergrund. Parteichef Meuthen stichelte im TV- Sender Phoenix, Höcke sei ein reiner Landespolitiker - und sollte „vielleicht den Ball da ein klein wenig flacher halten.“
Welche Beschlüsse hat der Parteitag getroffen?
Zwischen der umstrittenen Rede des Parteichefs am Samstag und der hitzigen Debatte darum am Sonntag hat die Partei getan, wozu sie eigentlich nach Kalkar gekommen war: Sie hat sich ein sozial- und rentenpolitisches Programm gegeben. Dabei bekannte sich die Partei grundsätzlich zur Umlage-finanzierten Rente, forderte aber unter anderem Freiheit beim Zeitpunkt des Renteneintritts, die Abschaffung von Politikerpensionen und eine Altersvorsorge für Selbstständige. Eltern sollen für jedes Kind 20 000 Euro an Beiträgen zur Rentenversicherung aus Steuermitteln erstattet bekommen – damit will die Partei für mehr „ Lastengerechtigkeit “ zwischen Familien und Kinderlosen herzustellen.
Keine Zustimmung erhielt die Forderung, das auf deutsche Staatsbürger zu beschränken. In der Gesundheitspolitik will die AfD die gesetzliche und die private Krankenversicherung stärken, die ambulante Versorgung von Patienten verbessern, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel senken und die stationäre medizinische Versorgung im ländlichen Raum erhalten.
War die Veranstaltung ein Superspreading-Event?
Dass die Partei trotz tausender neuer Corona-Fälle am Tag darauf bestanden hatte, einen Präsenzparteitag mit mehr als 500 Delegierten abzuhalten, hatte vor dem Treffen fürs großes Kopfschütteln gesorgt. Die Stadt Kalkar hatte als Auflagen unter anderem regelmäßiges Lüften und das Tragen von Masken auch am Platz verordnet . Das Ordnungsamt der Stadt war im Saal präsent und hatte angekündigt, Verstöße zu ahnden und die Veranstaltung im Zweifel auch abzubrechen. Dazu kam es aber nicht, die meisten Delegierten hielten sich, wenn auch zum teil missmutig, an die Auflagen .
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