Berlin/Kalkar. Beim AfD-Bundesparteitag in Kalkar rechnet Jörg Meuthen öffentlich mit seinen innerparteilichen Gegnern ab und erntet dafür Buhrufe.
Jörg Meuthen kennt seine Partei. Seit fünf Jahren steht der 59-Jährige als einer von zwei Bundessprechern an der Spitze der AfD , viele kleine und größere Auseinandersetzungen seiner streitlustigen Parteifreunde hat er in dieser Zeit erlebt und selbst mit ausgetragen. Man kann also davon ausgehen, dass Meuthen wusste, auf welchen Kampf er sich einlässt, als er am Samstag beim Bundesparteitag der AfD in Freizeitpark „Wunderland Kalkar“ auf die Bühne trat und zur Eröffnung des Treffens erst einmal kräftig austeilte.
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Meuthen: AfD läuft Gefahr Erfolge zu verspielen
Eigentlich, sagt Meuthen am Samstagmittag, habe er über Sozialpolitik sprechen wollen – das soll das hauptsächliche Thema das Parteitags sein, die AfD hatte sich vorgenommen, eine Lücke im Programm zu schließen. Doch stattdessen gäbe es Wichtigeres zu bereden, sagt der Parteichef und meint: Grundsätzlicheres. Denn die Partei laufe Gefahr , ihre Erfolge zu verspielen – „und das liegt nun wahrlich nicht an unseren politischen Gegnern.“
Es folgt eine Abrechnung , mit allen, denen Meuthen vorwirft, der Partei zu schaden: „ Politkasperle “, Mitglieder, „die nur allzu gerne rumkrakeelen und rumprollen“, die, die sich daneben benähmen und dann die Solidarität der Partei fordern würden. Gemeint sind damit unter anderem jene Bundestagsabgeordneten, die kürzlich Hausausweise ermöglicht hatten für Youtuber , die dann im Reichstagsgebäude Abgeordnete anderer Parteien bedrängten.
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Corona-Politik: Meuthen setzt zum Frontalangriff auf die AfD-Bundestagsfraktion an
Die Rede ist eine Kampfansage an das ganz rechte Lager der Partei. Die Anhänger des offiziell aufgelösten „ Flügels “ und der Parteichef liegen über Kreuz, spätestens seit Meuthen als treibende Kraft das Ende der Parteikarriere des ehemaligen „Flügel“-Frontmanns Andreas Kalbitz vorangetrieben hat . Die Vertreter dieses Lagers fühlen sich denn auch angesprochen – Buh-Rufe sind die Antwort auf Meuthens Rede, viele bleiben demonstrativ mit verschränkten Armen sitzen, als Meuthen fertig ist. Andere dagegen jubeln dem Co-Parteichef stehend zu.
Auch den Kurs, den seine Partei und vor allem die Bundestagsfraktion in den letzten Monaten in der Corona-Politik eingeschlagen hatte, greift Meuthen frontal an: Auch wenn der Umgang der Regierung mit der Krise „zum Teil unglaublich dilettantisch“ sei, frage er sich, ob es „wirklich klug“ sei, von einer Corona-Diktatur zu sprechen – so wie es Fraktionschef Alexander Gauland mehrfach getan hatte. Der verließ den Parteitag am Sonntagvormittag vorzeitig – im Krankenwagen. Berichten zufolge muss er wegen einer geplatzten Ader behandelt werden. Mehr dazu: AfD-Fraktionschef Gauland verlässt Parteitag im Krankenwagen
Und auch die Nähe zu den Querdenker -Demonstrationen, die einige AfD-Politiker in den vergangenen Monaten gesucht hatten, hält der Parteichef für wenig hilfreich. Dort würden sich neben besorgten Bürgern auch Zeitgenossen engagieren, die „zum Teil offen systemfeindliche Positionen“ pflegen.
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AfD-Chef Gauland: „Wir müssen gegen den Verfassungsschutz kämpfen“
Gauland, der sich auch von einem Seitenhieb Meuthens auf „schwärmerische“ Bismarck-Verehrer gemeint fühlen darf, kontert im Interview mit dem Fernsehsender Phoenix: Meuthens Rede sei in Teilen „spalterisch“ gewesen, sagt der Fraktionschef . Dass er damit dieselbe Vokabel wählt wie ein Parteitagsantrag, der Meuthen für seine Rolle beim Rauswurf von Andreas Kalbitz hart attackiert, dürfte kein Zufall sein.
Auch „zu viel Verbeugung vor dem Verfassungsschutz “ sieht der Ehrenvorsitzende der AfD in Meuthens Ausführungen. Doch die Verfassungsschützer sieht Gauland als Gegner der AfD: „Wir müssen gegen den Verfassungsschutz kämpfen.“
Sehr wahrscheinlich, dass Meuthen mit seiner Breitseite gegen die radikalsten Teile der Partei auch an die Beamten des Verfassungsschutzes gedacht hat, die den Parteitag aufmerksam verfolgen dürften. Denn die Behörde wird absehbar eine Entscheidung treffen, wie sie mit der AfD zukünftig umgehen will. Sollte der Verfassungsschutz nach der informellen Prüfung der letzten beiden Jahre zu dem Schluss kommen, dass die Partei offiziell als Verdachtsfall für verfassungsfeindliche Umtriebe geführt wird, könnte das Mitglieder und potenzielle Wähler verschrecken, fürchtet Meuthen.
Einige AfD-Landesverbände stehen bereits unter einer solchen näheren Beobachtung durch den Verfassungsschutz. In Brandenburg seien bereits V-Leute in der AfD aktiv, sagte Jörg Müller , Präsident des dortigen Landesamts für Verfassungsschutzes, der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“.
Mit seiner Rede habe Meuthen „aus einem sachpolitischen Parteitag einen machtpolitischen Parteitag gemacht“, analysiert Politikberater Johannes Hillje, der die Partei seit langem beobachtet. Das Hauptmotiv sei dabei die Angst vor dem Verfassungsschutz. „Meuthen empfindet die extremistischen Umtriebe mittlerweile als Gefahr für die Partei.“ Das Signal, das mit der Attacke des Parteichefs von diesem Parteitag ausgehe, sei Spaltung. „Interner Streit ist eine schlechte Voraussetzung vor dem Superwahljahr 2021.“
AfD-Delegierte lassen Meuthen ihren Groll spüren
Wie viele der 540 Delegierten ihm grollten, spürte Meuthen auch, als die Partei am Abend vakante Posten im Bundesvorstand nachbesetzte. Mit Carsten Hütter und Christian Waldheim konnten sich zwei Kandidaten, die Meuthens Lager zugerechnet werden, nur mit hauchdünnen Mehrheiten durchsetzen. Doch auch im völkischen Lager kann man nicht zufrieden sein damit, wie der Samstag verlief.
Den Beisitzer-Posten, den zuletzt Andreas Kalbitz innehatte, gewann die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar . Die gehörte 2019 zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes, der den radikalen thüringischen Landeschef Björn Höcke scharf kritisiert hatte. Der Ex-„Flügel“ und seine Anhänger verlieren damit eine Stimme im Vorstand der Partei.
Der eigentliche Zweck des Parteitags, der ursprünglich im Frühjahr 2019 hätte stattfinden sollen und dann zweimal verschoben wurde, geriet bei all dem ein wenig in den Hintergrund. Die Debatte über die sozialpolitische Ausrichtung der Partei am Samstagnachmittag war wesentlich ruhiger verlaufen.
AfD-Parteitag: Debatte über sozialpolitische Ausrichtung verläuft ruhig
Der eigentliche Zweck des Parteitags, der ursprünglich 2019 hätte stattfinden sollen und dann zweimal verschoben wurde, geriet bei all dem ein wenig in den Hintergrund. Die tatsächliche Debatte über die sozialpolitische Ausrichtung der Partei am Samstagnachmittag verlief wesentlich ruhiger.
Der Leitantrag wurde am frühen Samstagabend beschlossen. Unter anderem fordert die Partei Freiheit beim Zeitpunkt des Renteneintritts, die Abschaffung von Politikerpensionen, eine Altersvorsorge für Selbstständige und eine Stärkung der privaten Vorsorge vor.
Die Leitlinien zur Gesundheitspolitik sehen unter anderem vor, die gesetzliche und die private Krankenversicherung zu stärken, die ambulante Versorgung von Patienten zu verbessern, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel zu senken und die stationäre medizinische Versorgung im ländlichen Raum zu erhalten. Am Sonntag soll der Parteitag weitergehen – und mit ihm wohl der Streit auf der offenen Bühne.
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